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Vorschläge zur Gesundheitsreform

Simon: Die Zahlen waren gewaltig. 40 Milliarden Euro Einsparungen im deutschen Gesundheitswesen und eine Senkung der Beiträge zu den gesetzlichen Krankenkassen um bis zu vier Prozent. Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen hat zu Beginn der Woche gewichtige Vorschläge für eine Reform des deutschen Gesundheitswesens präsentiert. Viele davon konzentrierten sich auf die Auslagerung von Leistungen. Seither werden diese Vorschläge im einzelnen auseinander genommen und kritisiert. Am Telefon begrüße ich Hans-Jürgen Ahrens, den Vorstandsvorsitzenden der Allgemeinen Ortskrankenkassen, der AOK. Guten Morgen!

    Ahrens: Guten Morgen, Frau Simon!

    Simon: Was glauben Sie, was wird von den Vorschlägen der Sachverständigen am Ende der Debatte überleben?

    Ahrens: Ich kann mir nur vorstellen, dass dieses Konzept Erfolg hat, wenn der Großteil der Vorschläge dann auch insgesamt umgesetzt wird. Das lebt natürlich davon, dass es sowohl auf der Einnahmenseite wie auf der Leistungsseite was macht und dass es von jedem etwas abverlangt. Es bedeutet auch, dass da alle mitmachen müssen, wie zum Beispiel die Regierung und die Opposition. Ich halte im Moment die Situation für ausgesprochen gut, um so etwas auf den Weg zu bringen.

    Simon: Was stimmt Sie da so positiv?

    Ahrens: Es erkennt jeder, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Die Bundesregierung weiß das sowieso. Sie weiß auch, dass sie etwas machen muss. Es geht mit den kleinen Schritten so nicht weiter. Wenn man zu einer Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen kommen muss, ohne sie zu verändern und ohne sie, wie einige sich das vorstellen, vom Kopf auf die Füße zu stellen, dann muss es auch zu ganz gravierenden Veränderungen kommen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage mit den versicherungsfremden Leistungen, mit den Verschiebebahnhöfen. Das wird die Regierung nicht alleine machen können. Die Opposition gehört dazu. Vieles von den Vorschlägen ist zustimmungsbedürftig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Opposition grundsätzlich einem solchen Vorgang verweigert. Sie kann sich auch nicht verweigern, dafür hat heute kein Mensch mehr Verständnis. Wenn man die Reaktion aus beiden Lagern sieht, dann stellt man fest, dass dort Einzelheiten kritisiert werden, dass aber von der Anlage her alle der Meinung sind, dass der Weg so sein müsste, wenn man solche Reformen durchführen will.

    Simon: Also Sie halten es nicht für ein Problem, dass man bei den Reformen im Gesundheitswesen eine Art große Koalition bilden muss?

    Ahrens: Ich glaube, wenn es für diese große Koalition einen günstigen Zeitpunkt gibt, dann ist das der jetzige. Wenn der jetzt verpasst wird, wenn man also weiter in die Legislaturperiode hineingeht, dann wird das sehr schwer. Dann stehen nämlich wieder Wahlen bevor und dann spielen wieder andere Gesichtspunkte mit.

    Simon: Sie sagten eingangs, dass bei diesen Vorschlägen der Sachverständigenrat wichtig sei, damit man die Vorschläge auch umsetzt. Wenn man sich dabei die von Ihnen auch angesprochenen Leistungsausgrenzungen anschaut, Stichwort private Absicherung gegen Zahnbehandlungen, dann geht es ja schon los, dass die Ministerin sagt, dass sie das eigentlich nicht möchte. Viele andere schreien auch auf. Für wie wichtig halten Sie zum Beispiel diesen einzelnen kleinen Punkt?

    Ahrens: Also es muss ja nicht die Zahnbehandlung sein. Der Hauptpunkt ist hier wirklich, dass diese Kommission sagt, dass die soziale Krankenversicherung so bleiben könne wie sie ist, aber es müsse etwas passieren. Jetzt müsse man mit den Leistungen anfangen. Man beabsichtigt ja, das rückgängig zu machen, dass wir weniger Geld für die Arbeitslosen bekommen, dass wir weniger Geld für die Rentner bekommen. Das ist sehr mutig, weil das ja irgendwo her kommen muss. Das wird der Staat machen müssen. Man sagt ja auch, dass bestimmte Leistungsbereiche gar nicht zu einer gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Das sind zum Beispiel die Sterilisation und die künstliche Befruchtung. Das muss da raus, und der Staat muss es finanzieren. Man will aber auch über Zahnbehandlungen, Unfälle und andere Dinge nachdenken. Ich bin allerdings der Meinung, dass man darüber diskutieren muss, bevor man Leistungskomplexe rausnimmt. Es muss diskutiert werden, wer dann die Leistungen bringt oder bezahlt. Man muss auch vorher prüfen, ob die Leistung, so wie sie jetzt erbracht wird, eigentlich in Ordnung ist. Man muss die Zielgenauigkeit der Leistung überprüfen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn der Professor Lauterbach in seinem Gutachten schreibt, dass jede dritte Röntgenaufnahme überflüssig ist und jede zweite nicht dazu geeignet ist, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, dann ist das ein teurer Vorgang, der der Gesundheit des Patienten überhaupt nichts nutzt. Man muss dann darüber reden, wie man so etwas verhindern kann. Es dürfen keine Leistungen erbracht werden, nur weil zum Beispiel ein Röntgengerät dasteht. Man muss jetzt feststellen, unter welchen Voraussetzungen geröntgt wird. Der Arzt kann natürlich auch röntgen, wenn er das für notwendig hält, auch wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, nur er bleibt dann beweispflichtig. Da gibt es ganze Bereiche, in denen das geschehen kann. Ich halte es auch für vernünftig, darüber nachzudenken, die Fahrtkosten, die normalerweise die Kasse bezahlt, zu streichen, wenn jemand aus der Familie den Patienten fahren kann oder wenn dem Patienten zugemutet werden kann, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, weil sein Krankheitszustand es nicht unbedingt erfordert, dass er das Taxi nimmt. Das ist etwas, worüber man diskutieren muss.

    Simon: Erfordert das denn nicht eine Bürokratie, die auch Geld kostet?

    Ahrens: Das glaube ich gar nicht mal. Bei den Leitlinien zu den Röntgenaufnahmen oder bei anderen Eingriffen da müssen sich die Beteiligten, das heißt die Krankenkassen und die Ärzte, einfach zusammen setzen. Wir sind dabei, in einigen Bereichen zu definieren, wie es das Ausland auch macht, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen erbracht werden sollen. Ich finde, man kann es auch dem Arzt zumuten, dass er bescheinigt, ob dieser Patient, der zu ihm kommt, ein Taxi haben muss oder nicht. Mit diesen Dingen würde ich mich zunächst einmal beschäftigen, bevor ich mich darum kümmere, ob ich nun ganze Leistungsbereiche herausnehme. Bei der Zahnbehandlung bin ich zum Beispiel sehr zurückhaltend. Die Zahnbehandlung ist ja neben der ambulanten Behandlung der niedergelassenen Ärzte ein Kernpunkt der Kassenleistungen.

    Simon: Können Sie dem Vorschlag der Grünen etwas abgewinnen, dass Ehepartner nicht mehr in jedem Fall frei in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert werden sollen?

    Ahrens: Ich kann dem etwas abgewinnen, dass man die Familienversicherung nicht antastet. Sie ist ja ein Kernpunkt der gesetzlichen Krankenversicherung. Man kann über mögliche Einschränkungen nachdenken, wenn also ein bestimmtes Einkommen bei einem der Partner vorliegt. Ich würde aber darüber nachdenken, was das finanziell bedeutet. Bevor man Leistungspakte anknabbert, das würde man hier tun, muss man sehen, ob sich das auch finanziell lohnt. Das muss dann auf den Prüfstand.

    Simon: Das waren jetzt ganz konkrete Punkt, vor allem in Sachen Leistungsausgrenzungen. Es gibt ja auch Leute, die für radikalere Maßnahmen sind. Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, hat ja gestern noch einmal für eine grundlegende Änderung insgesamt im Gesundheitswesen plädiert. Die gesamte deutsche Bevölkerung solle in die solidarische Versicherung einbezogen werden. Die privaten Krankenversicherungen, die sich ihre Kunden bisher aussuchen konnten, werden dann abgeschafft. Alle würden dann in die gesetzlichen Krankenkassen gehen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?

    Ahrens: Ich halte davon nichts. Ich bin auch nicht gerade ein Freund der privaten Krankenversicherungen.

    Simon: Die AOK würde davon ja profitieren.

    Ahrens: Das kommt darauf an. Ein solcher Vorschlag wäre dann eine Art Grundversorgung. Das würde dann nicht mehr der Leistungskatalog sein, den wir bisher haben, sondern das würde dann drastisch zusammen geschmolzen. Die private Krankenversicherung wird sich dann die Rosinen der Zusatzversicherung herauspicken. Im ersten Moment klingt es so, als würde man der gesetzlichen Krankenversicherung damit ein Geschenk machen, indem dort alle versichert würden, aber wenn man den Inhalt dieser Versicherung genau anschaut, dann würde man sehen, dass man sich für ganze Leistungsbereiche zusätzlich versichern muss. Diese Art von Grund- und Wahlleistungen lehne ich ab. Wer will denn auch definieren, was zu den Grundleisten gehört und was nicht. Bisher haben wir da ein ganz vernünftiges Kriterium. Das, was medizinisch notwendig ist, muss von der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Das ist ein gutes Kriterium, und das sollte auch so bleiben.

    Simon: Aber den grundlegenden Unterschied, dass sich die privaten Versicherungen aussuchen können, wen sie nehmen, das sind ja normalerweise Menschen mit wenigen Risiken, und die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet sind, jeden aufzunehmen, also auch die, die finanziell teure Behandlungen nach sich ziehen, finden Sie in Ordnung? Soll das so bleiben?

    Ahrens: Ich rege an, dass man darüber nachdenkt, warum es bei der Friedensgrenze zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Krankenversicherung einen Unterschied bei der Kranken- und Rentenversicherung gibt. Diese Friedensgrenze bedeutet, dass man bis zu einem gewissen Betrag gesetzlich versichert ist und darüber hinaus bei der privaten Versicherung versichert ist. Diese Grenzziehung kann man meiner Meinung nach anheben. Aber ansonsten würde es das System nicht aushalten, wenn wir jetzt alle Beamten in die gesetzliche Krankenversicherung nehmen würden. Da würden schon die Länder nicht mitmachen, weil die natürlich meinen, durch die Beihilfezahlungen besser zu stehen, als wenn sie die Hälfte des Beitrages zahlen. Ich glaube, das wird nicht zu leisten sein. Der Hauptpunkt der Kritik bei einem solchen Vorschlag ist für mich, dass wir da dann zu Grund- und Wahlleistungen kommen und das würde wahrscheinlich das System kaputt machen.

    Simon: Seit Wochen gibt es eigentlich jeden Tag neue Vorschläge, auch von verschiedenen Gremien. Sind diese vielen Vorschläge zur Gesundheitsreform, die wirklich regelmäßig kommen, ein Segen oder eine Plage?

    Ahrens: Die Plage ist eigentlich, dass in aller Regel Einzelvorschläge gemacht werden. Da spricht zum Beispiel jemand von Kopfprämien anstelle von Beiträgen. Dann sagt jemand, dass der Arbeitgeberanteil eingefroren werden soll. Es macht sich aber kaum jemand dann Gedanken darüber, welche weitergehenden Konsequenzen das hat. Mir gefällt an dem Vorschlag des Sachverständigenrates, dass man sich hier zumindest einmal die Mühe gemacht hat, ein ganzes Konzept vorzulegen, auch wenn er viele Giftzähne hat und ich nicht mit allem einverstanden bin. Das vermisse ich eigentlich bei all den Vorschlägen, die meist von sehr unterschiedlichen Motiven getragen sind, vielleicht auch von denen, die meinen, dass sie entweder damit verdienen oder dass sie damit weniger belastet werden. Die Vorschläge leiden eigentlich in der Regel darunter, dass sie vorschnell gemacht werden und dass sie kein Konzept haben. Jemand, der so etwas macht, der wird auch damit leben müssen, dass dann vielleicht sein Vorschlag, der gar nicht so schlecht ist, auch verbrennt.

    Simon: Vielen Dank, Herr Ahrens!

    Link: Interview als RealAudio