Archiv


Vorsitzendenjahre der SPD sind "Hundejahre"

Für den Journalisten Daniel Friedrich Sturm ist Sigmar Gabriel gerade für die Zeit in der Opposition der richtige SPD-Chef. Entscheidend sei, dass Gabriel sich eine Weile an der Parteispitze halten könne.

Daniel Friedrich Sturm im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Wenn ich mich jetzt nicht doch noch verrechnet habe, dann wird er nach Willy Brandt der 12. Vorsitzende der SPD sein: Sigmar Gabriel, vor zweieinhalb Wochen 50 geworden und Träger zahlreicher Spitznamen, "Harzer Roller", "Sigi Popp", "der Dicke aus Goslar" oder "Tricki Sigmar". Mit 40 war er in Niedersachsen der jüngste deutsche Ministerpräsident, zuletzt war er Bundesumweltminister und eines war er immer: frech und angriffslustig. Was ist er noch und vor allem was will er? Nun sind wir telefonisch verbunden mit Daniel Friedrich Sturm, Korrespondent der "Welt", der "Welt am Sonntag" und SPD-Kenner. Guten Morgen, Herr Sturm.

    Daniel Friedrich Sturm: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Ist Sigmar Gabriel der richtige Mann an der Spitze der SPD?

    Sturm: Ja! Wer sollte es denn jetzt sonst machen? Ich glaube schon, dass Gabriel gerade für die Zeit in der Opposition schon der richtige Mann ist. Das war ja doch auch als eine Möglichkeit im Raum in den vergangenen Monaten für diesen Fall der Opposition. Ich glaube nicht, dass die anderen, die da jetzt infrage gestanden haben, also Steinmeier, Frau Nahles oder Scholz, die besseren Kandidaten gewesen wären.

    Spengler: Wäre es nicht besser gewesen, wenn Steinmeier, der Versöhner, sage ich jetzt mal, der Ausgleichende, Parteichef geworden wäre und Gabriel stattdessen Fraktionschef, weil er ja angriffslustig ist?

    Sturm: Das kann man natürlich so sehen und da gibt es auch gewisse Plausibilitäten, aber ich glaube, das war jetzt einfach der Dynamik dieses Wahlabends geschuldet, dass Steinmeier ja in einer etwas autokratischen Art sich da gleich zum Fraktionsvorsitzenden ausgerufen hat, unter dem Jubel seiner Anhänger im Willy-Brandt-Haus. Das war ja eine etwas bizarre und auch etwas gespenstische Situation, wie die beiden Wahlverlierer da begrüßt worden sind, doch auch etwas merkwürdig. Ich kann mir vorstellen, dass Gabriel auch als Parteivorsitzender versuchen wird, den wahren Oppositionsführer zu geben. Er ist ja nun Mitglied des Bundestages, hat seinen Wahlkreis sehr ordentlich verteidigt, und wir werden es künftig ja mit drei Oppositionsfraktionen zu tun haben, Grünen, Linken und der SPD, und ich stelle mir gerade vor, wie das in einer Haushaltsdebatte ist, wenn Herr Steinmeier dann schon geredet hat und Herr Lafontaine und Herr Trittin auch schon. Dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es Sigmar Gabriel in den Fingern juckt, um dann auch noch reden zu wollen, und ich kann mir vorstellen, dass er dann bei dieser Rede Herrn Steinmeier deutlich übertrumpft und dass wir alle das senden und schreiben werden.

    Spengler: Und dann wird Frank-Walter Steinmeier nicht mehr viel übrig bleiben, als irgendwann zurückzutreten?

    Sturm: Bei der SPD ist es ja immer sehr schwierig, in die Zukunft zu blicken. Da tut sich ja manchmal in drei Tagen mehr wie bei anderen Parteien in drei Jahren. Deswegen würde ich jetzt diese Prognose nicht wagen. Aber dass Steinmeier da jetzt eine schwierige Aufgabe bevorsteht, ist wohl klar. Diese wirklich ja sehr deutlich dezimierte SPD-Fraktion zu führen und diese SPD erst mal in einen Oppositionskurs zu bringen nach elf Jahren Regierungsverantwortung, das ist natürlich schon sehr schwer. Ich kann mir vorstellen, dass er auch eine sehr konstruktive Opposition aufzustellen versucht ist, vielleicht analog der Opposition, wie sie Hans-Jochen Vogel verstanden hat, also jederzeit bereit sein, die Regierung übernehmen zu können, vernünftige Anträge machen, nicht lauter illusionäre Anträge, die man gleich in den Papierkorb werfen kann. Das wird natürlich ungleich schwerer als zu Vogels Zeiten. Damals gab es da noch eine Partei in der Opposition neben der SPD, die Grünen, damals mit fünf oder acht Prozent. Jetzt sind es die doch sehr selbstbewussten Linken und die erstarkten Grünen.

    Spengler: Das klingt jetzt gerade so, als könnten Gabriel und Steinmeier zu einem wunderbaren Duett finden, so nach dem Motto "guter Polizist, böser Polizist".

    Sturm: Ist ja gut möglich. Duette hat es ja auch schon gegeben und ich glaube, dass Gabriel und Steinmeier auch die Formulierung vermeiden werden, dass zwischen sie kein Blatt Papier passe. Es gibt ja außerdem auch noch Frau Nahles.

    Spengler: Gabriel ist der 13. SPD-Vorsitzende in 22 Jahren. Wie viele Jahre geben Sie ihm denn?

    Sturm: Das ist natürlich schwierig, zumal die Vorsitzendenjahre der SPD ja gewissermaßen Hundejahre sind. Diese asthmatischen Zustände an der Parteispitze jetzt in den vergangenen vier Jahren - man denke nur einmal daran: Müntefering hatte den Koalitionsvertrag 2005 ausgehandelt, Platzeck hat ihn unterschrieben, Beck wurde Vorsitzender, dann kam Müntefering, der ist nun auch wieder weg -, das geht natürlich so nicht weiter. Dieses unfreiwillige Rotationsprinzip, was sich da in der SPD breitgemacht hat, das ist natürlich doch sehr verschleißend und tut der Partei nicht gut. Ich glaube, die SPD braucht da jetzt wirklich eine längere Strecke. Ob sie sie bekommt, weiß ich nicht, aber im Grunde müssten Gabriel, Steinmeier und Frau Nahles doch so was wie eine Agenda 2020 für die SPD in den Blick nehmen und man muss es ja vielleicht nicht Agenda nennen.

    Spengler: Gehen wir weg von den Personen, gehen wir hin zu der interessanten Frage, wer oder was denn die SPD künftig noch sein kann, eingemauert zwischen einer sozialdemokratischen Union gewissermaßen und einer sozialistischen Linken. Hat sie überhaupt noch eine Chance?

    Sturm: Ja, das glaube ich schon. Dass die SPD jetzt von der Bildfläche verschwinden wird, das glaube ich nicht. Der scheidende Parteivorsitzende Franz Müntefering hat ja am Sonntag sehr das Wort von dem historischen Auftrag, von der historischen Mission verwendet und ich glaube, da ist ja auch ein bisschen was dran. Das ist etwas überhöht, aber das gehört natürlich auch sozusagen immer zur Folklore der SPD, die glorreiche Geschichte zu bemühen. Das ist jetzt vielleicht in diesen harten Zeiten noch etwas dringender als sonst. Aber dass sie verschwindet, glaube ich nicht. Die Frage ist einfach, wie sie sich jetzt künftig positionieren wird, und da gibt es ja jetzt erkennbar, gestern etwa in einem Interview von dem scheidenden Arbeitsminister Olaf Scholz im "Hamburger Abendblatt", das doch sehr große Bedürfnis, sich jetzt gegenüber der Linken zu öffnen. Aber man muss doch feststellen: bei der Bundestagswahl – und die ist doch gerade mal vier Tage her – hat es eine Mehrheit für Union und FDP gegeben und die von der SPD stets etikettierten Marktradikalen – die FDP ist ja fast so stark geworden wie die SPD selbst in Baden-Württemberg und Bayern -, da trennt die noch ein halber Prozentpunkt. Das muss man doch erkennen. Es ist ja weiß Gott nicht so, als habe es bei der Bundestagswahl einen Riesen Linksruck gegeben, und die SPD hat ja auch nur ein Fünftel der Wähler, die sie verloren hat, an die Linke verloren. Sie hat viel mehr Wähler verloren an Union und FDP.

    Spengler: Heißt das, Sie plädieren dafür, die SPD muss weiter die Mitte ansprechen und soll sich nicht öffnen zur Linken?

    Sturm: Ich kann mir nicht vorstellen... Es gibt ja das schöne Wort von der Konkurrenz, die das Geschäft belebt, aber was helfen jetzt zwei linke sozialdemokratische, sozialistische Parteien. Eine zweite Linkspartei ist jetzt gerade nicht nötig, die macht das ja schon. Ich glaube ja sowieso, dass die Wahlen in Deutschland in der Mitte gewonnen werden. Das hat ja vielleicht Frau Merkel auch gerade unter Beweis gestellt mit ihrem sozialdemokratisierten Kurs. Wenn Sie in die Geschichte gucken: Willy Brandt, Helmut Schmidt und nicht zuletzt Schröder 1998, das waren ja alles Wahlen in der Mitte, 1998 Wahlen in der neuen Mitte, damals mit diesem Etikett. Ich glaube, dass die SPD ganz dringend auf diese bürgerliche Mitte zugehen muss und da nicht nach links abdriften darf. Es gibt ja diese Theorie des Politikwissenschaftlers Raschke, der sagt, die Wahlen gewinnt derjenige, der die soziale Kompetenz hat, die ökonomische Kompetenz und die kulturelle Hegemonie. Diese drei Dinge gewinnt man sicher nicht, wenn man jetzt nach links blickt, und man muss einfach nüchtern konstatieren, dass die SPD unter anderem die kulturelle Hegemonie in den vergangenen Jahren verloren hat.

    Spengler: Ist es eine denkbare Perspektive, dass irgendwann SPD und Linke sich vereinigen?

    Sturm: Denkbar ist ja alles. Ich glaube, das ist schon möglich und es gibt ja auch einige in der SPD, die davon regelrecht träumen. Egon Bahr hat davon ja schon geträumt, als es die Linke noch gar nicht gab. Der war ja auch sehr bitter enttäuscht, als die SPD im Zuge der Vereinigung Deutschlands 1990 sich nicht auf die SED gestürzt oder gestützt hat – beides. Das hat die SPD, damals diese Ost-SPD, ja aus guten Gründen damals nicht getan. Ich glaube, diese Frage richtet sich in erster Linie an die Partei Die Linke. Ich glaube, Die Linke muss, um koalitionsfähig im Bund zu werden, einmal sich bekennen zu der deutschen Staatsräson - wenn man polemisch ist, der westdeutschen Staatsräson -, also zu EU und NATO und dazu, dass man den Sozialstaat nicht unendlich expandieren lassen kann, zu einer vernünftigen Haushaltspolitik. Die Linke braucht ja im Grunde so einen Godesberger Parteitag und davon hängt es dann eben ab, ob man koaliert. Man merkt es ja gerade, Sie haben es ja vorhin berichtet: In Thüringen gibt es jetzt keine rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen, anders als vermutet, weil dort eben die Basis nicht vorhanden ist.

    Spengler: ... ist die Meinung von Daniel Friedrich Sturm, SPD-Kenner, Korrespondent von "Welt" und "Welt am Sonntag". Danke schön, Herr Sturm.