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Vorwürfe gegen Beckenbauer
"Das ist für ihn Majestätsbeleidigung"

Die FIFA-Ethikkommission hat Anklage gegen Franz Beckenbauer erhoben. Ein solches Vorgehen sei die Fußball-Legende nicht gewohnt, sagte der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer im Deutschlandfunk. In der Vergangenheit hätten Vorwürfe ihn nicht daran gehindert, wie ein Kaiser aufzutreten. Nun könnte sein Ruf zumindest mittelfristig Schaden nehmen.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 22.10.2015
    Der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer
    Der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer (dpa / picture-alliance / Horst Galuschka)
    "Bisher hat man den Eindruck gehabt, er kann machen, was er will, und trotzdem wird er angebetet", sagte Gebauer. Nun sei Beckenbauer zum ersten Mal im Sport angeklagt. Es gelte aber die Unschuldsvermutung. "Wir wissen gar nicht, was der Tatbestand ist, dessen er angeklagt ist." Die FIFA-Ethikkommission hat in ihrer Anklage keine Details genannt. Sie hatte Beckenbauer zuvor aber im Zusammenhang mit der WM-Vergabe an Russland und Katar befragt.
    Gebauer sagte weiter, Wenn er für alle Fußballaktivitäten gesperrt würde - und damit auch die Spiele des FC Bayern nicht mehr im Stadion schauen könnte - könne er das aber auch mittelfristig wegstecken. Der Philosoph betonte, falls zudem Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 an Deutschland auftauchten, hätten diese ein ganz anderes Gewicht.
    Mit Blick auf die FIFA insgesamt sagte Gebauer: "Es wird bestochen, was das Zeug hält." Das ganze Spitzenpersonal scheine korrupt zu sein und die Hälfte des Exekutivkomitees sei angeklagt. "Die FIFA-Zentrale war offenbar eine Art Schutzraum, so wie ein Luftschutzbunker, in dem man machen konnte, was man wollte." Derzeit tue sich in der Führung des Fußball-Weltverbands ein "völliges Vakuum" auf.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die FIFA-Ethikkommission hat gestern etwas getan, was lange Zeit unmöglich war. Sie hat eine Liste von Fußballfunktionären veröffentlicht, gegen die ermittelt wird beziehungsweise gegen die Untersuchungen laufen. Solche Informationen der Organisation waren bisher streng geheim. Für uns in Deutschland besonders interessant: Auch der Name Franz Beckenbauer steht auf dieser Liste. - Gunter Gebauer ist jetzt am Telefon, Sportphilosoph an der FU Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Gebauer.
    Gunter Gebauer: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Gebauer, was heißt das für Franz Beckenbauer, für den Kaiser?
    Gebauer: Das heißt, dass er zum ersten Mal tatsächlich im Sport angeklagt wird. Das heißt, dass der von ihm bis dahin zumindest symbolisch beherrschte Verband FIFA ihn anklagt. Das ist er nicht gewohnt. Wir haben ja auch gesehen, dass er im letzten Sommer 2014 es verweigert hat, einen Fragebogen auszufüllen, der ihn befragt hat nach seinen Aktivitäten bei der Bewerbung von Russland. Er war ja nun für Russland kurze Zeit später tätig, war oder auf der Payroll oder ist es immer noch von Gazprom.
    Das hatte von vornherein schon mal ein ziemliches Geschmäckle. Und es wurde einfach nachgefragt, was es damit auf sich hatte, und er hat verweigert, diesen Fragebogen auszufüllen, weil die Fragen auf Englisch waren. Man kann auch anders damit umgehen. Er hat eine Strafe von 90 Tagen Sportabstinenz bekommen, ist schmollend zuhause geblieben und nicht nach Brasilien gefahren. Daran kann man sehen, das ist für ihn Majestätsbeleidigung.
    Armbrüster: Jetzt wissen wir allerdings bislang nur, dass sein Name tatsächlich auf dieser Liste steht und dass ein Urteil folgt. Er ist noch nicht verurteilt. Muss dann nicht eigentlich gelten, im Zweifel für den Angeklagten?
    Gebauer: Ja selbstverständlich. Wir wissen gar nicht, was der Tatbestand ist, dessen er angeklagt ist. Wir können ihn jetzt nicht schuldig sprechen. Aber Tatsache ist, er wird angeklagt. Das ist eine völlig neue Situation. Das ist er nicht gewohnt.
    Franz Beckenbauer hebt während einer Rede die rechte Hand und zeigt mit dem Finger auf etwas.
    Eine Geldstrafe würde Beckenbauer "locker wegstecken", sagte Gebauer. (picture-alliance/ dpa / Felix Hörhager)
    Armbrüster: Bröckelt damit das Bild vom Kaiser?
    Gebauer: Es gab oft Gelegenheiten, dass hier und da so ein Steinchen aus seine Statue gefallen ist. Das hat ihn nicht daran gehindert, weiterhin wie ein Kaiser aufzutreten, und seine Bewunderer ebenfalls nicht daran gehindert, ihn weiterhin anzuhimmeln. Das ist ja ganz eigenartig mit Beckenbauer. Bis jetzt haben wir den Eindruck gehabt, er kann machen, was er will, er kann auch Dummheiten erzählen, er kann auch nichtssagende Dinge von sich geben. Das sind wir ja auch gewohnt von seinen Spielkommentaren. Und trotzdem wird er angebetet. Trotzdem haben wir das Gefühl, dass selbst einfachste Sätze wie "schauen wir mal" oder so was mit tieferer Bedeutung aufgeladen werden.
    "Es ist zumindest eine Beschädigung seines Rufes"
    Armbrüster: Und jetzt könnte es sein, dass er tatsächlich auch mit einer einfachen Geldstrafe davon kommt?
    Gebauer: Das könnte sein. Aber es ist zumindest eine Beschädigung seines Rufes. Ich glaube, wenn es nur eine Geldstrafe sein wird, wird er das locker wegstecken. Das würde mal zwischendurch bedeuten, Beckenbauer hat auch mal was abgekriegt, aber es ist dann in einem Jahr spätestens vergessen. Die Frage ist: Was passiert, wenn es mehr ist.
    Armbrüster: Was könnte denn dann passieren?
    Gebauer: Er könnte zum Beispiel für ein Jahr oder neun Monate oder vielleicht auch längere Zeit gesperrt werden für alle Aktivitäten, die mit Fußball zu tun haben. Das heißt, er könnte die Spiele seiner eigenen Mannschaft weder sehen, noch kommentieren. Er würde vom Fußball ferngehalten werden. Das ist schon symbolisch eine ziemliche Strafe für ihn. Aber auch das, glaube ich, kann er wegstecken, wenn man das mittelfristig betrachtet.
    Armbrüster: Es geht ja nun in diesem aktuellen Fall um Beckenbauers Rolle bei der WM-Vergabe nach Russland und nach Katar und nicht etwa - darüber wurde ja in den letzten Tagen besonders viel gesprochen hier bei uns - um die WM-Vergabe nach Deutschland, die möglicherweise gekauft wurde. Könnte da noch etwas auf Beckenbauer zusätzlich zukommen?
    Gebauer: Wenn die Vorwürfe, die im "Spiegel" erhoben worden sind, auch nur annähernd stimmen, dann kommt zusätzlich noch etwas auf ihn zu. Das wäre ja auch dann von einem ganz anderen Gewicht, weil das ja die WM betrifft, die er selber organisiert hat. Man muss sagen, er hat große Verdienste um die Ausrichtung dieser WM. Ob er auch entsprechende Verdienste (und dann eher im Zwielicht) hat bei der Einwerbung dieser WM, das wissen wir nicht genau. Wir wissen nur, er hat sie eingeworben, aber ob es mit schwarzen Kassen passiert ist, das wissen wir nicht. Das wird nur behauptet. Sollte etwas daran sein, sollten auch entsprechende Dokumente vorgelegt werden - das ist ja nicht ganz ausgeschlossen -, dann allerdings sitzt er auf einem heißen Stuhl.
    "FIFA-Zentrale war offenbar so eine Art Schutzraum"
    Armbrüster: Die beiden anderen prominenten Namen, Herr Gebauer, auf dieser Liste, das sind die anderen prominenten europäischen Namen. Das sind Michel Platini und natürlich auch von FIFA-Chef Sepp Blatter. Was heißt das denn für die, dass der Name da jetzt draufsteht?
    Gebauer: Die sind es ja inzwischen schon gewohnt. Die konnten ja damit rechnen, denn sie sind ja schon vorher zumindest Untersuchungsgegenstand für Untersuchungskommissionen gewesen. Sie konnten auch damit rechnen, dass da irgendetwas passieren würde. Es ist ja auch eine sehr merkwürdige Angelegenheit, dass da zwei Millionen Euro oder Dollar - ich weiß es nicht ganz genau -, jedenfalls eine ganz beträchtliche Summe plötzlich hin- und hergeschoben wird für Verdienste, die jetzt im Nachhinein konstruiert werden für einen Vorgang, der elf Jahre vergangen ist, und Platini sagt, na ja, er hat sich immer selbst zu helfen gewusst finanziell, er war auf diese zwei Millionen ja gar nicht angewiesen.
    Das ist ja ziemlich großkotzig, was da erzählt wird, eine Angelegenheit unter Männern und so weiter. Das überspielt ja nur, dass da offenbar Geld hin- und hergegangen ist, was ganz und gar illegal war: auch wieder schwarze Kasse, ähnlich wie mit dem DFB, falls die Geschichte stimmen sollte. Also man kann sagen, die FIFA-Zentrale war offenbar so eine Art Schutzraum, so wie ein Luftschutzbunker, in dem man machen konnte was man wollte, draußen auf der freien Wildbahn, in der Wirtschaft, und vor Kriminalgerichten, vor Finanzgerichten und so weiter werden Fälle verhandelt, aber die FIFA geht das alles überhaupt nichts an.
    Armbrüster: Sind diese Vorwürfe, bei denen es ja um Korruption geht, sind das alles Vorwürfe, die sich nur auf die Vorgänge in der Zentrale, sozusagen in der internationalen Fußballverwaltung beziehen, oder müssen wir auch davon ausgehen, dass auch das tatsächliche Fußballspiel auf dem Rasen zum Beispiel bei einer WM davon betroffen ist?
    Gebauer: Ich glaube, das sind zwei verschiedene Dinge, und das finde ich eigentlich an der ganzen Angelegenheit so erstaunlich. Die Funktionäre, jedenfalls in der Spitzenfunktion, die Zugriff auf riesenhafte Geldmengen haben, schieben hin und her. Es wird bestochen, was das Zeug hält. Das ganze Spitzenpersonal scheint korrupt zu sein.
    Die Hälfte des Exekutivkomitees ist inzwischen angeklagt. Das muss man sich mal vorstellen: von 22 Leuten elf Leute. Jetzt ist auch noch der Vizepräsident angeklagt und so weiter. Da ist überhaupt nichts mehr an der Spitze, was irgendwie noch leitungsfähig ist. Und auf dem Rasen sehen wir ein Spiel, das nun allerdings von Millionen und Millionen Augen beobachtet wird, von Fernsehkameras, von kritischen Journalisten und so weiter, von Beobachtern, FIFA-Beobachtern, Schiedsrichtern, die ja alle jetzt nicht in dieser Korruption mit drinstecken, und ich finde, dieses Spiel ist einigermaßen einwandfrei. Es gibt natürlich alle möglichen komischen Entscheidungen, aber das war beim Fußball immer so. Am Wochenende haben wir gerade gleich zwei Handspiele gehabt beziehungsweise Fehlentscheidungen: ein Handspiel, ein nicht gesehenes Abseits.
    So etwas kann passieren. Das geschieht ja auch in der Hitze des Spiels. Da kann man nicht so ohne Weiteres von Korruption reden. Wir haben in der Spitze des Fußballs, da wo das ganz große Geld überhaupt erst generiert wird, eigentlich, meiner Beobachtung nach jedenfalls, ein relativ sauberes Spiel. Es passieren Nickligkeiten, unangenehme Fauls, das wollen wir gar nicht schönreden, aber was die Ergebnisse angeht, das Erzielen von Ergebnissen, das Erzielen von Toren und so weiter, habe ich den Eindruck - und da bin ich natürlich nicht der einzige; das wird ja von so unendlich vielen Menschen beobachtet -, haben wir eigentlich eine erstaunlich saubere und auch zunehmend beobachtete und korrekte Szene.
    Was anderes ist es, was dann in der vierten Liga passiert, wo die Bestechungsfälle stattfinden von asiatischen Wettern und so weiter. Da wird nicht mehr beobachtet. Aber das ist ja nicht das, was uns so sehr interessiert. Da wird ja auch kein Geld gemacht, nur auf der Ebene der Sportwetten.
    Armbrüster: Aber was ist denn zum Beispiel mit den millionenschweren Transfers, die wir regelmäßig sehen?
    Gebauer: Ja, da haben Sie vollkommen recht.
    Armbrüster: Liegt da nicht der Verdacht nahe, dass da auch unsauber gearbeitet wird?
    Gebauer: Das sieht man ja manchmal. Der Neymar-Transfer beschäftigt ja heute Gerichte in Spanien, dass da schwarzes Geld geflossen sein soll, noch mal zusätzlich eine zweistellige Millionen-Summe. Wir sehen nicht, was sonst an Transfergeldern bezahlt werden. Wir kriegen nur offizielle Summen mitgeteilt, die in astronomische Höhen schnellen. Es sind ganz viele Spielerberater, Vermittler und so weiter tätig. Von einigen weiß man, dass sie auch im Trüben fischen, vielleicht sogar von ganz vielen. Das ist eine zwielichtige beziehungsweise, sagen wir mal, eine Zone, die im Zwielicht liegt, von der wir nicht genau wissen, was da im Einzelnen passiert. Und da es sich um immense Summen handelt, die eben nicht transparent sind - aber das ist nicht der grüne Rasen; das ist das, was darum herum geschieht -, da würde ich sagen, auch gerade bei den im Augenblick immens steigenden Kosten, die da anfallen, da könnte man erwarten, dass da einiges noch auf uns zukommt an Enthüllungen.
    "Ein völliges Vakuum, was sich da im Augenblick auftut"
    Armbrüster: Herr Gebauer, ganz kurze Antwort bitte auf diese letzte Frage. Wenn diese ganze Liste jetzt tatsächlich öffentlich gemacht wurde, heißt das, dass die Guten, die Sauberen in der FIFA jetzt mächtiger werden?
    Gebauer: Das glaube ich überhaupt nicht. Erst mal wissen wir gar nicht, wer überhaupt die Guten sind. Wir wissen gar nicht, ob es überhaupt noch Saubere gibt. Und wir wissen auch gar nicht, wer in der Zukunft die FIFA führen wird. Ich denke, das ist ein völliges Vakuum, was sich da im Augenblick auftut.
    Armbrüster: Der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer heute Morgen hier bei uns in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank für das Interview.
    Gebauer: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.