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Vorwürfe gegen Lech Walesa
Gutachten bestätigt Spitzeltätigkeit

Polens Institut für Nationales Gedenken (IPN) sieht die Zusammenarbeit des ehemaligen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Lech Walesa mit dem kommunistischen Geheimdienst als erwiesen an. Den Beweis soll ein graphologisches Gutachten erbracht haben. Schon im Vorfeld waren Experten von der Beweiskraft der Dokumente überzeugt.

Von Florian Kellermann | 31.01.2017
    Der ehemalige polnische Präsident Lech Walesa im Februar 2015.
    Der ehemalige polnische Präsident Lech Walesa (picture alliance / dpa / Markus Schreiber)
    Vor neun Jahren erschien in Polen ein Buch, das eine große Figur der jüngeren Geschichte ins Wanken brachte. "Der SB und Lech Walesa" heißt es. Die Autoren behaupteten, der Friedensnobelpreisträger habe in den 1970er-Jahren mit dem Geheimdienst im kommunistischen Polen zusammengearbeitet, dem sogenannten Sicherheitsdienst, kurz SB. Das war, bevor er zum legendären Anführer der unabhängigen Gewerkschaft "Solidarnosc" wurde.
    Einer der Autoren, der Historiker Slawomir Cenckiewicz, ist von seinen damaligen Vorwürfen gegen Walesa heute überzeugter denn je:
    "Es gibt Dokumente, aus denen hervorgeht, dass Lech Walesa ein geheimer Mitarbeiter des Geheimdienstes war, er hatte den Decknamen Bolek. Sein Kontakt mit dem SB begann im Dezember 1970 und dauerte bis zum Frühling 1976. Die Dokumente sind erschreckend, sie zeigen, dass Lech Walesa über viele Personen Bericht erstattete und das sehr umfangreich."
    Die Unterschrift auf den meisten Unterlagen gehört zweifelsfrei Walesa
    Heute verfügt das Institut für das nationale Gedächtnis, kurz IPN, über weit mehr Dokumente als vor neun Jahren. Das Institut ist für die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit zuständig. Die neuen Schriftstücke stammen vom letzten Premierminister im kommunistischen Polen Czeslaw Kiszczak. Nachdem Kiszczak gestorben war, hatte seine Frau sie dem IPN ausgehändigt.
    Fast ein Jahr brauchten Experten in Krakau, um zu prüfen, ob die Unterschriften auf den Dokumenten auch wirklich von Walesa stammen. Heute wird das IPN das grafologische Gutachten präsentieren. Schon vorab sickerte durch, dass die Experten die Unterschrift zumindest auf den meisten Unterlagen zweifelsfrei Walesa zuordnen können.
    Auch Personen, die kaum zu seinen Gegnern zählen, sehen Walesa in Erklärungsnot. Allerdings betonen sie: Selbst wenn Walesa in den 1970er-Jahren dem Geheimdienst berichtete, so habe er 1980, als er Anführer der Solidarnosc-Bewegung wurde, diese Zusammenarbeit längst hinter sich gelassen, sagt der Historiker Andrzej Friszke:
    "Wenn Walesa in den 1980er-Jahren Agent gewesen wäre, hätte die Solidarnosc-Bewegung keine solchen Erfolge erringen können. Wir wissen heute, dass die kommunistischen Machthaber während des Streiks in Danzig keinerlei Informationen aus dem inneren Zirkel der Anführer hatten und deren Strategie nicht kannten."
    Ein weiterer Sieg für Walesas Gegner
    Der heutige 73-jährige Walesa allerdings weist jegliche Spitzel-Vorwürfe zurück, auch für den Anfang der 1970er-Jahre. Vor Kurzem erschien er überraschend bei einer Diskussion des IPN:
    "Ich habe nachgewiesen, dass der Geheimdienst Dokumente über mich gefälscht hat. Ich bitte die Historiker: Hört endlich auf mit dieser Komödie! Ich war nicht für eine Sekunde auf der anderen Seite der Barrikade, keine Sekunde habe ich irgendjemanden verraten."
    Doch mit dem grafologischen Gutachten werden von heute an noch etwas mehr Polen an seiner Version zweifeln. Ein weiterer Sieg also für Walesas Gegner - unter ihnen auch Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der rechtskonservativen Regierungspartei PiS. Walesa und sein einstiger Vertrauter Kaczynski hatten sich in den 1990er-Jahren zerstritten, als Walesa Staatspräsident war.