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Vorziehen der Steuerreform

Lange: Außer Spesen nichts gewesen? Fast sieht es so aus. Da hat eine hochrangig besetzte Kommission nun rund ein Jahr darüber beraten, wie die Finanzen der Kommunen so reformiert werden können, dass sie nicht auf Gedeih und Verderb den Schwankungen der Konjunktur ausgeliefert sind. Einig ist man sich nun in einem Punkt, bei dem man sich schon vorher einig war: Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe sollen zusammengefasst werden. Aber in allen anderen Punkten Fehlanzeige. Die Kommission ist gestern ohne eine gemeinsame Empfehlung auseinandergegangen. Woran lag's? Diese Frage geht jetzt an Stefan Articus. Er ist Mitglied dieser Kommission in seiner Eigenschaft als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Guten Morgen Herr Articus.

    Articus: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Also Herr Articus, warum gibt es kein gemeinsames Ergebnis und fragen wir gleich weiter: wer ist Schuld daran?

    Articus: Ich bewerte das Ergebnis sehr viel positiver als es heute allgemein kommuniziert wird. Wir haben mit einem solchen Ergebnis, wie es gestern erzielt wurde, ehrlicherweise gar nicht gerechnet. Der einzige der gegen die Reform der Gewerbesteuer war waren die Vertreter der Wirtschaft. Alle anderen, die Länder, der Bund und die Kommunen, waren sich einig, dass die Reform der Gewerbesteuer der richtige Weg sei, um die Einnahmen der Städte zu verstetigen, so dass man zwar sagen muss, es gab keinen umfassenden Konsens, aber es gab ein absolut eindeutiges Mehrheitsvotum.

    Lange: Wie soll diese Reform der Gewerbesteuer nun aussehen?

    Articus: Die Reform der Gewerbesteuer hat zwei Seiten. Sie geht einmal dahin, dass der Kreis der Steuerpflichtigen auf die Freiberufler ausgedehnt wird, was unter Popularitätsgesichtspunkten nicht gerade ein Schlager ist. Viele wehren sich dagegen und schreien auf, weil man annimmt, dass im Regelfall die Freiberufler deswegen höhere Steuern bezahlen sollen. Das ist aber nicht die Zielrichtung unserer Maßnahme. Die Zielrichtung unserer Maßnahme und unseres Vorschlages ist, dass die Freiberufler zum großen Teil auf jeden Fall statt Einkommenssteuer einen Anteil an die Gewerbesteuer bezahlen, weil sie die kommunale Infrastruktur auch mitnutzen. Das bedeutet, dass für die Freiberufler das, was sie an Gewerbesteuer bezahlen, im wesentlichen bei der Einkommenssteuer zu verrechnen ist. Es geht also hier nicht um Steuererhöhung, sondern um einen eigenen Steuerbeitrag an die Kommunen. Die andere Hälfte der Reform der Gewerbesteuer geht dahin, dass die Gestaltungsmöglichkeiten von Gewinnen und von Verlusten und vom Einsatz von Eigenkapital bei den großen internationalen Kapitalgesellschaften so verändert werden, dass sie sich auch wieder, vor allem dann, wenn sie gute Bilanzen haben, an dem Gewerbesteueraufkommen beteiligen.

    Lange: Und das ist alles, was den Kommunen dann auch helfen kann, aus ihrer finanziellen Klemme herauszukommen? Das kann es doch nicht gewesen sein.

    Articus: Nein, da haben Sie völlig Recht. Die Gemeindefinanzreform hat ja insgesamt auch sagen wir mal drei Schritte. Der erste Schritt ist, die Gewerbesteuer zu reformieren, was wie gesagt außer von der Wirtschaft gestern von allen geteilt wurde, auch von allen Ländern. Der zweite Schritt ist, die Ausgliederung der arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger aus der Sozialhilfe in ein neues Leistungsrecht, das vom Bund finanziert wird. Auch darüber war gestern Einigkeit. Da werden die Kommunen entlastet bei der Mitfinanzierung der Arbeitslosigkeit. Der dritte Schritt - auch darüber war gestern Einvernehmen - soll sein, dass ein weiterer Katalog von Aufgaben- und Ausgabenüberprüfungen in einer neuen Arbeitsgruppe, die aus den Innenministern des Bundes und der Länder, den Finanzministern und den kommunalen Spitzenverbänden besteht, abgearbeitet werden sollen. Ich sage es noch einmal: Das sind eigentlich Ergebnisse, mit deren Klarheit und mit deren richtiger Richtungsweisung wir vorgestern noch nicht gerechnet hatten.

    Lange: Wie geht es jetzt weiter? Die Bundesregierung will das nun auf eigene Faust regeln, trotz des Widerspruchs der Arbeitgeber.

    Articus: Ja! Die Bundesregierung hat - auch da ist sie unterstützt worden, auch von der Wirtschaft - gestern erklärt, dass sie jetzt auf der Basis dieser sagen wir mal Mehrheitsvoten den Gesetzgebungsprozess so vorantreiben wird, dass beide Gesetze, also zur Gewerbesteuer und zur Arbeitslosen- und Sozialhilfe, zum 1. Januar 2004 abgeschlossen sein werden.

    Lange: Wie optimistisch sind Sie, dass das halbwegs so dann auch durch den Bundesrat geht?

    Articus: Was den Bundesrat anbetrifft haben wir ja gestern ein Zeichen bekommen. Sowohl die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wie auch die Reform der Gewerbesteuer statt der ja mal vor einem Jahr noch von vielen geplanten Abschaffung der Gewerbesteuer war gestern wie gesagt mit Ausnahme der Wirtschaft Konsens. Ich gehe davon aus, dass beide Projekte im Sinne wie sie gestern sozusagen mehrheitlich verabschiedet worden sind auch den Bundesrat passieren.

    Lange: Ursprünglich war ja auch immer davon die Rede, dass diese ganze Steuererhebung insoweit entzerrt und reformiert wird, dass nun jede staatliche Ebene eigene Einnahmequellen bekommt, über deren Höhe sie dann auch selbst bestimmen kann. Ist dies das jetzt, oder ist das wieder völlig vom Tisch?

    Articus: Ich glaube das ist mit diesem Projekt natürlich nicht erreicht. Das ist ein gutes Ziel, das wir auch unterstützen. Wir haben ja in dem Leitbild der Stadt der Zukunft, das wir als Deutscher Städtetag vor vier Wochen auf unserer Hauptversammlung in Mannheim verabschiedet haben, gesagt, man muss bei den Aufgaben und bei den Einnahmen sehr viel klarere Trennungen zwischen den drei Ebenen der öffentlichen Hand, also Bund, Länder und Kommunen, erreichen. Aber das,, Herr Lange, ist ein Projekt, das lässt sich nur in einem längerfristigen Prozess erreichen. Etwa ein Anknüpfungspunkt dafür bildet die jetzt zu ersten Ergebnissen führende Föderalismusdebatte.

    Lange: Wenn jetzt diese Finanzreform so kommt, wie die Bundesregierung das plant, wie hängt das mit der dritten Stufe der Steuerreform zusammen? Ist die dann besser verkraftbar für die Kommunen?

    Articus: Die Frage ist sehr richtig. Dafür bin ich wirklich dankbar. Die Städte haben in diesem Jahr ein Rekorddefizit, also eine Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben, von zehn Milliarden Euro. Das ist eine unvorstellbare Situation. Sie haben Kassenkredite - das sind Kontokorrentkredite, wenn man es mal im Jargon von Privathaushalten beschreiben würde - von ungefähr zwölf Milliarden. Das heißt also, die Finanzlage ist wirklich mehr als bedrohlich. Wir können, obgleich wir uns grundsätzlich nie gegen Steuersenkungen gewehrt haben, weitere Mindereinnahmen nicht verkraften. Die Vorziehung der dritten Stufe des Steuersenkungsgesetzes von 2005 auf 2004 würde die Städte aber noch einmal mit dreieinhalb Milliarden zusätzlich belasten. Das können wir nicht verkraften. Deswegen haben wir gesagt, wenn Steuersenkung, dann wirklich nur mit einer hundertprozentigen Gegenfinanzierung. Gegenfinanzierung heißt, Leistungen abbauen, Aufgaben abbauen oder die Kreditaufnahme erhöhen, was die Kommunen nicht können. Sie dürfen keine weiteren Kredite mehr aufnehmen.

    Lange: Aber die höhere Gewerbesteuer - das verstehe ich richtig - würde Ihnen dann helfen?

    Articus: Nein, das ist es jetzt. Die höhere Gewerbesteuer, wenn die 2004 geltendes Recht ist, hat einen langen Vorlauf, ehe sie kassenwirksam wird. Vor 2005 fließt deswegen noch nichts in die Kassen. Die Mehreinnahmen, also die neuen Einnahmen, die wir erwarten, entsprechen auch nicht der Höhe dieser vorgezogenen Steuerentlastung. Deswegen sagen wir: wir brauchen, wenn diese Steuervorziehung kommt, vom Bund und von den Ländern bzw. vor allem vom Bund, weil er die Initiative ergriffen hat, jetzt eine echte Gegenfinanzierung, die unabhängig von der Gemeindefinanzreform läuft. Wir können es nicht vertragen, dass diese Gemeindefinanzreform, wie wir sie eben besprochen haben, nun auch noch belastet wird mit diesen Mindereinnahmen aus der Steuersenkung.

    Lange: Vielen Dank! - Das war Stefan Articus, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio