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Votum des Europaparlaments zur Stammzellforschung

Simon: Mit deutlicher Mehrheit hat gestern das Europäische Parlament dafür gestimmt, die Forschung an embryonalen Stammzellen mit EU-Geld zu fördern. Mehr noch: Bei der Förderung will das Parlament keinen Stichtag. Das geht gegen eine Vorlage der EU-Kommission, die nur Forschung an Embryonen fördern wollte, die vor dem 27. Juni letzten Jahres erzeugt worden sind. Damit wollte die Kommission verhindern, dass Embryonen nur zu Forschungszwecken erzeugt werden. Ob Parlamentsentscheidung oder EU-Kommissionsvorschlag - beide gehen weiter als das entsprechende deutsche Gesetz. Hierzulande dürfen Forscher nur mit Stammzellen arbeiten, die vor dem Januar 2002 eingeführt worden sind, alles andere ist strafbar. Wolf-Michael Catenhusen ist als Staatssekretär im Forschungsministerium mit diesem Thema seit Jahren befasst. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.

Moderator: Doris Simon |
    Catenhusen: Guten Morgen.

    Simon: Herr Catenhusen, wie bewerten Sie das Votum des Europäischen Parlamentes?

    Catenhusen: Ich denke, das ist für die deutsche Regierung, aber auch für große Teile der deutschen Öffentlichkeit ein enttäuschendes Ergebnis, denn es zeigt sich doch, dass wohl in der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten deutlich andere Vorstellungen über den Umfang des Schutzes menschlichen Lebens, insbesondere in der Frage der Nutzung von Embryonen zu Forschungszwecken bestehen.

    Simon: Diese Entscheidung des Parlamentes ist ja nun nicht das letzte Wort. Das entscheidende Wort bei der Förderung der Stammzellforschung haben am 3. Dezember die EU-Forschungsminister. Einige Länder, darunter Portugal, Spanien, Österreich, Luxemburg, sind gegen alle diskutierten Vorschläge. Wird die Bundesregierung, in dem Falle Frau Bulmahn, entsprechend der deutschen Gesetzeslage gegen die Vorschläge von Parlament und Kommission stimmen?

    Catenhusen: Deutschland hat sich seit dem letzten Jahr bemüht, nicht nur die deutsche Gesetzeslage zur Grundlage der Position in Brüssel zu nehmen, sondern auch Verbündete für die deutsche Position zu gewinnen. Es ist immerhin gelungen, und das wird wohl auch am 3. Dezember deutlich werden, dass eine so genannte qualifizierte Minderheit gegen die Position der Kommission ist. Unser Problem bei den weiteren Fragen wird sein, dass gerade das auf deutschen Vorschlag im letzten Jahr hin eingeführte Moratorium Ende diesen Jahres ausläuft. Die Frage ist, ob man aus einer Minderheitsposition heraus dauerhaft noch dafür sorgen kann, dass die deutsche Position de facto zum Tragen kommt, nämlich dass Forschungsprojekte, bei denen Embryonen zu Forschungszwecken zerstört werden, nicht mit EU-Mitteln gefördert wird.

    Simon: Wenn dieses Moratorium ausläuft, was bedeutet das konkret? Kann dann in allen EU-Ländern gemacht werden, was jeweils Gesetzeslage ist?

    Catenhusen: Das ist die offene Frage, denn theoretisch könnte das bedeuten, dass nach Auslaufen des Moratoriums keine automatische Verlängerung erfolgt, sondern dass dann möglicherweise die Kommission sogar im Rahmen ihrer Kompetenzen vollendete Tatsachen schaffen kann. Wir bauen natürlich darauf mit den Ländern, die mit uns kooperieren, dass es schwierig sein sollte bei einem erkennbaren ethischen Pluralismus in Europa, einer Minderheit, die das Verbot der Embryonen zur Nutzung bei Forschungszwecken vorsieht, dennoch EU-Gelder in diesem Bereich zur Verfügung zu stellen. Die Frage ist wichtig, wie man mit einem weltanschaulichen Pluralismus in der Frage der Forschungsförderung der EU umgeht.

    Simon: Könnten Sie denn damit leben, dass zum Beispiel in Deutschland weiterhin im nächsten Jahr die Bestimmungen gelten, so wie sie sind, so wie sie das Parlament letztes Jahr nach langer Diskussion verabschiedet hat und in den anderen Ländern, etwa in Belgien oder den skandinavischen Ländern, völlig frei Stammzellenforschung betrieben wird?

    Catenhusen: Die Situation ist real heute schon gegeben, wenn es um die Forschungsgelder aus nationalen Töpfen geht. Wir wissen natürlich auch, dass jeweils die nationale Gesetzgeberin und Europa deutlich auseinander klaffen, das heißt, den Realzustand, wie Sie ihn beschreiben, gibt es heute. Die Frage ist nur, wenn es eine vergemeinschaftete Förderungsform der Union gibt, ob es einen gewissen Respekt oder eine Zurückhaltung in Fragen gibt, wo es um den Schutz des menschlichen Lebens geht und wo es so tief greifende Unterschiede gibt, oder macht sich die EU de facto zur Vorreiterin für ethische Standards in Europa? Das wäre eine Entwicklung, die sicherlich aus deutscher Sicht sehr problematisch wäre.

    Simon: Diese Forschung, die Deutschland ja laut Gesetzeslage nicht will, würde ja zu einem guten Teil auch aus deutschen Beiträgen an die EU finanziert.

    Catenhusen: Ja, das ist de facto so. Man muss natürlich aber auch wissen, dass nach der Rechtsauffassung der Europäischen Union in dem Moment, wo ein Forschungsrahmenprogramm der EU beschlossen worden ist, nämlich seit Juni letzten Jahres, dies Gemeinschaftsgelder sind, in die zwar alle eingezahlt haben, in denen aber sozusagen keine direkte Rückverfolgbarkeit des Geldes ist und in denen es auch keine Vetomöglichkeiten des Bundes gibt, so ähnlich wie der deutsche Steuerzahler. Wenn er sein Geld in den Topf gezahlt hat, kann er nicht mehr darüber entscheiden, wie groß die Bundeswehr ist. Das ist leider so, aber dennoch denke ich, unser Versuch wird auch bis zum 3. Dezember darin bestehen, das Moratorium, was wir jetzt haben, fortzusetzen und einfach dafür zu werben, dass auch Länder mit anderen ethischen Überzeugungen in der Gesetzgebung die deutsche Position respektieren und hier wirklich vielleicht auch eine Arbeitsteilung vorsehen. Arbeitsteilung könnte ja darin bestehen, dass Forschung embryonaler Stammzellen durchaus mit EU-Mitteln gefördert werden, dass aber dort, wo es darum geht, Embryonen zu Forschungszwecken zu zerstören, es einfach weiterhin der Frage der nationalen Förderungsentscheidung vorbehalten bleibt. Das wäre doch ein sinnvoller Kompromiss aus unserer Sicht.

    Simon: Es hat ja in der letzten Zeit unterschiedliche Signale aus der Bundesregierung zu diesem Thema gegeben. Es gibt den Vorstoß von Frau Zypries. Nun gibt es Kritiker, die gesagt haben, es sieht fast so aus, als ob hier mit Hilfe der EU eine Regelung erreicht werden sollte, die man in Deutschland über den Bundestag so nie bekommen würde. Die Bundesregierung hätte sehr viel energischer auftreten können. Was sagen Sie dazu?

    Catenhusen: Ich halte diese Kritik für abwegig und auch für eine völlige Verkennung der Situation, dass die deutsche Diskussion und die mit breiter Mehrheit getragene deutsche Gesetzgebung in der Europäischen Union nicht mehrheitsfähig ist. Es kommt zur Zeit darauf an, das Kunststück fertig zu bringen, als Minderheit durchzusetzen, dass die Mehrheit der Europäischen Union den deutschen Standpunkt respektiert. Ich bin sehr froh, dass die deutsche Verhandlungsposition und die deutsche Verhandlung in Brüssel sehr stark aus dem Parlament auch wohlwollend begleitet werden, weil sie wissen, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung von der Grundlage des deutschen Gesetzes ausgeht und das Bündnis gefunden hat mit einer Reihe von Mitgliedsstaaten. Wir stehen in Deutschland ja nicht alleine. Wir haben aber zur Zeit keine Chance, die Mehrheit zu bekommen. Das heißt, das Kunststück besteht darin, aus der Minderheit heraus Erfolge zu erzielen.