Durak: Was finden Sie denn nun an diesem Bericht der Kommission, der Sie angehört haben, so falsch, dass Sie einen Gegenvorschlag machen?
Stolterfoht: Der Bericht befasst sich mit den drei wichtigen Bereichen der Sozialversicherungssysteme, Pflegeversicherung, Krankenversicherung und Rentenversicherung. Und ich habe, gemeinsam mit Frau Professor Müller, ein Minderheitenvotum abgegeben im Bereich Gesundheit und zwar deswegen, weil wir sicher sind, dass es überhaupt nicht ausreicht, sich nur Gedanken darüber zu machen, wie wir mehr Geld ins Gesundheitswesen kriegen, sondern wir müssen dieses mit Überlegungen dazu verbinden, wie ausgabenseitig Strukturreformen durchgeführt werden können. Also, wenn wir nur darüber nachdenken, mehr Geld her, dann haben wir die gleiche Runde, nämlich, wie schröpfen wir die Versicherten, alle paar Jahre wieder. Wir brauchen, beispielsweise in Bezug auf Einsparungen, auch Einsparungen im Pharmabereich, also bei den Medikamenten. Die Gewinnspannen der Pharmaindustrie sind ja nach wie vor enorm. Wir brauchen beispielsweise viel mehr Verhütung von Krankheiten und Rehabilitation, wenn man krank ist, nicht nur wegen der betroffenen Menschen, sondern auch um Kosten zu sparen. Wir haben dazu Vorschläge gemacht.
Durak: Frau Stolterfoht, Sie sind dagegen, die Versicherten zu schröpfen, viele mit Ihnen. Würden Sie das auch unter Schröpfen der Patienten subsumieren, was wir heute in der Bild Zeitung lesen. Danach soll die Regierung die Patientenzuzahlung bei der Krankenpflege erhöhen, zum einen sollen neben der zehn Euro Rezeptgebühr, je nach Verordnung, auch zehn Prozent der Kassensätze für die häusliche Krankenpflege vom Patienten zu tragen sein. Und auch bei der Krankengymnastik ist das geplant.
Stolterfoht: Ja, Zuzahlungen sind ja in unserem Gesundheitswesen schon lange üblich. Aber die ganzen Einsparungen, die jetzt beschlossen worden sind, zahlen zu neun Milliarden die Versicherten und nur zu einer Milliarden die, die am Gesundheitswesen verdienen. Das ist also ungerecht. Diese, was heute in der Bild Zeitung steht, ist davon ein Teil. Das ist auch logisch, wenn man sich nicht traut, sich mit den großen Gruppen des Gesundheitswesen anzulegen und das ist ja offensichtlich so, dann muss man, kann man nur ausweichen und kann bei den Versicherten einkassieren, wenn man nicht mehr genug Geld hat. Also, das ist sozusagen die logische Konsequenz mangelnden Mutes der Auseinandersetzung mit der Pharmaindustrie oder der privaten Versicherungswirtschaft, wenn es um die Bürgerversicherung geht.
Durak: Wie sieht denn, Frau Stolterfoht, Ihr Gegenvorschlag aus?
Stolterfoht: Wir haben gesagt, also, wir, die das Minderheitenvotum unterschrieben haben und dieses Papier eingereicht haben, wir wollen eine Bürgerversicherung auf der Einnahmeseite und auf der Ausgabeseite wollen wir eine bessere und billigere Versorgung mit Arzneimitteln. Wir wollen Geld in die Verhütung von Krankheiten stecken und zwar dadurch, dass wir den örtlichen Gesundheitsämtern Geld zur Verfügung stellen, die Kommunen können das im Moment nicht, weil sie aus dem letzten Loch pfeifen. Und die sollen, gemeinsam mit den Krankenkassen und den Anbietern von Gesundheitsleistungen, Präventionsprogramme machen, um Krankheiten zu verhüten, beispielsweise bessere Ernährung, mehr Bewegung und so weiter und so weiter. Und dieses spezifisch auf bestimmte Gruppen, die besonders anfällig sind für Krankheiten. Wir wollen mehr Rehabilitation und bessere Rehabilitation, dass die Menschen länger gesund bleiben und länger arbeitsfähig sind. Und wir meinen, dass nur integrierte Versorgung, das heißt die Kooperation von Krankenhäusern, Ärzten, Pflegediensten im Interesse des Patienten Geld spart.
Durak: Frau Stolterfoht, der Kanzler hat ja schon vorsorglich und beruhigend gesagt, die Vorschläge der Rürup-Kommission würden auf keinen Fall eins zu eins umgesetzt. Nun haben Sie ja, politisch sozusagen, einen näheren Draht zum SPD Vorsitzenden. Hoffen Sie oder denken Sie, dass Sie mit Ihren Vorschlägen da eher auf offene Ohren treffen?
Stolterfoht: Das weiß ich nicht. Ich vermute allerdings, dass gerade beim Thema Rente der Widerstand erheblich sein wird und dass deswegen die Vorschläge der Rürup-Kommission nicht so umgesetzt werden, wie sie im Bericht stehen. Klar ist aber, und das hat der Kanzler auch schon gesagt, dass den Rentnern schwere Zeiten bevorstehen, dass es Einschnitte geben wird.
Durak: Frau Stolterfoht, wir haben Sie auch als Vorsitzende des paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu diesem Gespräch eingeladen. Deshalb die Frage an Sie, ist die Reformpolitik der Bundesregierung, wie sie sich jetzt abzeichnet, im Sinne der Sozialschwachen?
Stolterfoht: Nein, eindeutig nicht. Wir haben darauf auch immer wieder hingewiesen. Also, die Gesundheitsreform, die jetzt kommt, geht zu Lasten der chronisch Kranken und die Rentenreform, die jetzt kommt, befürchten wir, wird zu Lasten derer gehen, die eh nicht besonders viel Rente haben oder besonders wenig Rentenansprüche erwerben werden in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren, nämlich der Klein- und Mittelverdiener.
Durak: Und was ist zu tun?
Stolterfoht: Ein Politikwechsel ist nötig. Ich denke schon, dass wir als reiches Land genügend Mittel haben, um nicht immer nur zu Lasten der Versicherten, der Kranken und der Klein- und Mittelverdiener die sozialen Sicherungssysteme zu reformieren.
Durak: Herzlichen Dank, das war Barbara Stolterfoht, Vorsitzende des paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Schönen Dank Frau Stolterfoht.
Stolterfoht: Bitte sehr.
Link: Interview als RealAudio