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VW-Abgas-Skandal
Wittke: Tests müssen verschärft werden

Dass die Messpraxis bei Abgasuntersuchungen in Deutschland mangelhaft ist, hat Oliver Wittke (CDU), Mitglied des Verkehrsausschusses, im Deutschlandfunk bestätigt. Die Bundesregierung setze sich darum bei der EU für eine Änderung der europäischen Vorschriften ein. Wittke sagte im DLF, er gehe davon aus, dass davon die gesamte europäische Autoindustrie betroffen sein werde.

Oliver Wittke im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.09.2015
    Oliver Wittke, (CDU), MdB, Mitglied Verkehrsausschuss Bundestag.
    Oliver Wittke verteidigt die Dieseltechnologie. (picture alliance / dpa / Martin Gerten)
    Die Frage, ob die Messpraxis bei Abgasuntersuchungen in Deutschland mangelhaft und Manipulation möglich sei, bejahte Oliver Wittke (CDU) im Deutschlandfunk. Er wehrte sich aber gegen Vorwürfe der Grünen, die er als "scheinheilig" bezeichnete. Wenn die Bundesregierung davon gewusst habe, sei das auch den Grünen bekannt gewesen, so Wittke.
    Als Lösung des Problems sieht der Verkehrspolitiker eine schnelle Änderung der EU-Vorschriften für die Abgasprüfung. Perspektivisch geht er davon aus, dass die Tests verschärft werden und Abgaswerte auch in Alltagssituationen untersucht werden müssen, um Manipulationen zu vermeiden. Von VW forderte Wittke Transparenz und eine schnelle Aufklärung des Skandals, lobte aber gleichzeitig die Arbeit des Konzerns im Allgemeinen und brach eine Lanze für Diesel-Autos: "Die Dieseltechnologie ist eine gute", sagte Wittke.
    Das gesamte Interview können Sie hier nachlesen.
    Jasper Barenberg: Nicht nur 500.000 Dieselfahrzeuge in den USA, nein elf Millionen PKW von Volkswagen sind weltweit mit der Software ausgerüstet, die Abgaswerte manipulieren kann. Umso wichtiger die Frage, ob Manipulation auch hierzulande an der Tagesordnung sein könnte, mehr noch, ob der Betrug in den USA möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs ist. Die Grünen im Bundestag jedenfalls sehen allen Grund auch für Kritik an Verkehrsminister Alexander Dobrindt.
    Am Telefon ist Oliver Wittke, für die Union Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages. Schönen guten Morgen, Herr Wittke.
    Oliver Wittke: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Sie haben gehört, was die Grünen kritisieren. Ist diese Kritik angebracht?
    Wittke: Nein, natürlich nicht, denn die Grünen beziehen sich auf die Antwort auf eine kleine Anfrage, die die Bundesregierung vor einiger Zeit gegeben hat. Und wenn es so gewesen wäre, dass die Bundesregierung gewusst hätte, wie skandalös das Verhalten von VW in den USA gewesen ist, dann hätten es die Grünen auch gewusst, denn die haben diese kleine Anfrage nicht nur gestellt, sie haben auch die Antwort bekommen. Von daher kann ich das nur mit gleicher Münze zurückgeben, was Herr Krischer gesagt hat. Das Verhalten der Grünen ist scheinheilig.
    Verhalten der Grünen ist scheinheilig
    Barenberg: So wie ich es verstanden habe, bezieht sich das, was die Grünen sagen, gar nicht auf die Situation in den USA, sondern auf die Situation hier, und da habe die Bundesregierung, so die Antwort auf die Anfrage, eingeräumt, dass die Messpraxis hierzulande - ich gehe mal davon aus, es geht um europäische Verfahren - mangelhaft ist und dass Manipulationen möglich sind. Ist das der Fall, oder ist das nicht der Fall?
    Wittke: Das ist so, ganz genau, und darum setzt die Bundesregierung sich seit einiger Zeit auch bei der Europäischen Union dafür ein, dass die Verfahren geändert werden. Das kann man nur europaweit regeln. Da kann es keinen Alleingang in Deutschland geben. Aber ich sage noch einmal: Die Antwort, die jetzt quasi als Kronzeuge zitiert wird für ein mögliches Wissen der Bundesregierung, die war den Grünen auch bekannt. Dann hätten die Grünen das schon vor Monaten wissen müssen, hätten Alarm schlagen müssen. Das haben sie genauso wenig getan wie Herr Dobrindt und die Bundesregierung, und daher, noch einmal, ist dieses Verhalten der Grünen scheinheilig.
    Barenberg: Es geht ja noch weiter. Es betrifft nicht nur die Grünen, sondern wir haben heute Morgen hier im Deutschlandfunk mit Jürgen Resch gesprochen, dem Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, ein Verbraucherschutzverband, der auch sagt, die Bundesregierung weiß schon seit Jahren von der Möglichkeit solcher Manipulationen.
    O-Ton Jürgen Resch: "Wir kritisieren diese Praxis seit vielen Jahren und die Bundesregierung weiß es tatsächlich seit auch vielen Jahren, hat es jetzt ja auch zugegeben, dass die Industrie diese Praxis anwendet."
    VW-Verhalten in den USA ist klar kriminell
    Barenberg: Wenn das der Fall ist, Oliver Wittke von der CDU, warum ist dann seit Jahren nichts geschehen?
    Wittke: Die Bundesregierung hat bei der Europäischen Kommission in Brüssel interveniert. Die Bundesregierung drängt darauf, dass europaweit die Praxis geändert wird. Das betrifft ja im Übrigen nicht nur VW, das betrifft nicht nur deutsche Automobile, sondern das ist ein europaweites Problem, das angegangen werden muss. Das ist wahr. Aber das ist nicht zu vergleichen mit dem, was jetzt in den USA geschehen ist. Das was in den USA bei VW geschehen ist, ist ganz klar kriminell. Das muss aufgeklärt werden. Da ist betrogen worden. Das tut erstens der Dieseltechnologie, die eine gute ist, nicht gut. Das tut der Automobilindustrie und auch dem Konzern von VW nicht gut, der ein guter ist, der nach wie vor erstklassige Automobile baut, und darum müssen wir das Vertrauen zurückgewinnen. Dazu muss es absolute Transparenz geben und dazu muss VW aufklären und muss noch eine Reihe von Fragen beantworten.
    Barenberg: Gehört zu diesen Fragen auch, wie viele der elf Millionen Fahrzeuge, die mit dieser Software ausgerüstet sind, tatsächlich Manipulationen dieser Art vorweisen?
    Wittke: Ja aber natürlich! Und vor allem gehört dazu die Antwort auf die Frage, wo hohe Normen, die egal ob es in den USA oder in Europa der Fall gewesen ist vorgegeben waren, nicht eingehalten wurden. Denn wenn Abgasnormen nicht eingehalten werden, dann ist das nicht in Ordnung. Dann ist das Betrug und das muss aufgeklärt werden. Aber ich warne jetzt davor, gleich eine ganze Branche, gleich eine ganze Technologie wie die Dieseltechnologie zu verdammen. Bei VW wird erstklassige Arbeit geleistet. In der deutschen Automobilindustrie wird erstklassige Arbeit geleistet. Und darum müssen wir aufpassen, dass wir jetzt nicht in der Panik des Augenblicks das Kind mit dem Bade ausschütten.
    Abschalteinrichtungen sind nicht in Ordnung
    Barenberg: Zu dieser ausgezeichneten Arbeit von VW und von anderen Autoherstellern gehört auch hier in Europa, dass es in den neueren Modellen sogenannte Abschalteinrichtungen gibt, die es möglich machen, den Ausstoß von Schadstoffen rauf oder runterzuregeln. Das finden Sie in Ordnung?
    Wittke: Das ist nicht in Ordnung. Das findet die Bundesregierung nicht in Ordnung. Darum drängen wir darauf, dass wir eine Änderung der europäischen Verfahren bekommen, dass das künftig nicht mehr möglich ist. Und das machen wir nicht erst seit zwei Tagen, seitdem die Vorgänge in den Vereinigten Staaten bekannt sind, sondern das wird seit Längerem so gefordert.
    Barenberg: Und wann werden da Fakten geschaffen?
    Wittke: Ich gehe davon aus, dass nach den aktuellen Vorkommnissen das Verfahren jetzt deutlich beschleunigt wird. Wenn man dem Ganzen irgendwas Gutes abgewinnen will, dann sicherlich, dass auch Europa jetzt sehen muss, dass dort gehandelt werden muss. Und da ist dann eben nicht nur ein bestimmtes Modell von VW betroffen, sondern da wird die gesamte Automobilindustrie in Europa von betroffen sein.
    Debatte kommt nicht zufällig zum jetzigen Zeitpunkt
    Barenberg: Wie glaubhaft finden Sie denn, was der VW-Konzern jetzt sagt, dass es zwar um elf Millionen Fahrzeuge geht, um elf Millionen Motoren weltweit, dass diese Software aber nicht aktiv ist und nicht manipuliert wird? Finden Sie das glaubhaft in dieser Situation?
    Wittke: Nein. Da wird noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten sein. VW wird beispielsweise auch erklären müssen, warum die Abschaltung in den vergangenen anderthalb Jahren in den USA nicht mehr stattgefunden hat. Das heißt, es muss ja jemandem aufgefallen sein, dass man sich dort illegal verhalten hat. Und da muss aufgeklärt werden, warum nicht die Öffentlichkeit viel eher informiert worden ist. Da muss aufgeklärt werden, wer wann davon wusste im VW-Konzern, dass betrogen worden ist. Ich glaube, da kommen noch eine Vielzahl von Fragen auf den Konzern zu.
    Aber ich bleibe bei meiner Aussage: Die Dieseltechnologie ist eine gute, VW ist ein guter Konzern und auch die Automobilindustrie in Deutschland macht eine erstklassige Arbeit. Und wenn ich mir eine Bemerkung auch noch erlauben darf. Es kommt ja nicht von Ungefähr, dass die Debatte zum jetzigen Zeitpunkt, nachdem einigen in den Vereinigten Staaten das schon seit anderthalb Jahren bekannt war, auch den Behörden schon so lange bekannt war, plötzlich aufkommt, wo die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt, die weltweit größte Leistungsschau der Automobilbranche stattfindet, wo ein neues VW-Modell in den USA vorgestellt werden soll, wo der Vertrag von Herrn Winterkorn verlängert werden soll. Das sind verdammt viele Zufälle auf einmal. Da spielen auch wirtschaftliche Interessen in den Vereinigten Staaten eine Rolle. Auch das muss man mit im Auge haben.
    Barenberg: Und offenbar, Herr Wittke, ja auch, dass VW über ein Jahr lang ignoriert hat und verschleppt hat, sich mit der amerikanischen Umweltbehörde da auseinanderzusetzen.
    Wittke: Völlig richtig.
    Barenberg: Wenn Sie noch eine Anmerkung hatten, dann erlaube ich mir noch eine Frage. Da geht es auch noch mal um die europäischen Regeln. Das ist ja in den USA überhaupt nur enthüllt worden und herausgekommen, weil es dort nicht nur Tests unter Laborbedingungen gibt, sondern auch Tests im Alltag. Wie streng sollen die Regeln sein, die wir künftig in Europa gerade für diese Stickoxide brauchen?
    Wittke: Das werden wir jetzt diskutieren müssen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Tests verschärft werden müssen, dass sie auch unter Echtbedingungen und nicht nur auf Testständen stattfinden. Wir sehen, dass es Missstände gibt. Das darf nicht wieder vorkommen. Wir brauchen absolute Transparenz und wir brauchen eine Aufklärung dieses aktuellen Skandals. Aber die Reihenfolge lautet, erst einmal zu analysieren, was falsch gelaufen ist. Das ist voll umfänglich zur jetzigen Stunde noch überhaupt nicht möglich. Und danach müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Ich glaube, wir müssen da viel Vertrauen wieder wettmachen, das verloren gegangen ist in den vergangenen Tagen, und das wird sowohl für die Industrie, aber auch für die Politik noch viel Arbeit bedeuten.
    Barenberg: Abweichungen beispielsweise bei diesen gefährlichen Stickoxiden von 25 Prozent über dem Grenzwert, das ist für Sie für die Zukunft nicht mehr akzeptabel?
    Wittke: Absolut nicht.
    Barenberg: ... sagt Oliver Wittke von der CDU, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages. Danke für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Wittke.
    Wittke: Ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.