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Wählerfrust in Prag

Es gehört viel dazu, die Tschechen auf die Palme zu bringen. Doch die beiden großen Volksparteien in Prag haben es geschafft: Zwar haben sie die Kommunalwahlen verloren, doch konservative Bürgerdemokraten und Sozialdemokraten machen nun weiter, als wäre nichts gewesen.

Von Christina Janssen | 19.11.2010
    Neue Wahlen fordern mehrere Tausend Demonstranten auf dem Prager Wenzelsplatz. Viele junge Leute sind gekommen und Familien mit Kindern. Sie sind wütend und enttäuscht:

    "Das ist ein großer Verrat an den Wählern, mit dem Wahlergebnis hat diese Koalition nichts zu tun. Ich wollte, dass Prag endlich eine Stadt wird, wo transparente Verhältnisse herrschen statt Korruption und Unrecht. Aber das hier, das ist die Arroganz der Macht, das hat in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz."

    "Wir wollten den Wechsel in Prag - und haben ihn nicht bekommen. Ich möchte nicht, dass wir hier in kommunistische Zeiten zurückfallen, aber was die Prager Politiker jetzt machen, das erinnert genau daran."

    Bei den Kommunalwahlen im Oktober kamen die Bürgerdemokraten in ihrer einstigen Bastion Prag auf gerade mal 23 Prozent - ein Fiasko für die Konservativen. Die Sozialdemokraten schnitten, wie meist in Prag, mäßig ab. Weiter regieren wollen die beiden Parteien trotzdem in der reichen Hauptstadt.

    "Diese Koalition dient nur dem Zweck, dass die großen Parteien weiter ihre schmutzigen Geschäfte machen können. Die Prager Politiker haben sich mit öffentlichen Geldern bereichert. Im Grunde herrscht hier schon lange Zeit eine Mafia."

    Der Spitzenkandidat der neuen Partei TOP09 um Außenminister Karel Schwarzenberg, hatte versprochen, das zu ändern. Und so ging Zedenk Tuma, der frühere Chef der Tschechischen Nationalbank, mit fast einem Drittel der Wählerstimmen als klarer Sieger aus dem Urnengang hervor. Ihn halten die politisch ernüchterten Prager auch nicht unbedingt für einen Säulenheiligen, aber für solide. Trotzdem soll nun alles weiter gehen wie gehabt: Bürger- und Sozialdemokraten haben sich in einer Nacht- und Nebelaktion geeinigt. Darauf scheint Prags künftiger Oberbürgermeister, der Frauenarzt Bohuslav Svoboda, besonders stolz zu sein:

    "Die Verhandlungen haben unter äußerster Geheimhaltung in meiner Geburtsklinik stattgefunden. Niemand hat davon gewusst. Wir haben von den Sozialdemokraten ein sehr gutes Angebot bekommen. Viel besser als das von TOP 09. Deswegen haben wir es angenommen und unterzeichnet."

    Ein Geburtswunder im Kreißsaal, spotten Kommentatoren. Dabei will eine Tageszeitung erfahren haben, dass der Deal lange vor den Wahlen abgesprochen war - was in Prag niemanden ernsthaft verwundern würde. Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg, dessen wirtschaftsliberale Partei TOP09 von den Prager Platzhirschen ausgebootet wurde, flüchtet sich in Zynismus: Im Kreißsaal, so der beliebte Politiker, seien die "Hoffnungen der Prager abgetrieben worden ... "

    "Wir sehen nun 'bewährte' Leute im Rathaus,"

    so Schwarzenberg ironisch.

    "Leute, die sich um die Zustände in Prag äußerst verdient gemacht haben, die hier schon über viele Jahre an der Macht sind und die das nun sicherlich erfolgreich fortsetzen werden."

    Kommentatoren sprechen indessen von politischem "Selbstmord" der Bürgerdemokraten: Denn auf nationaler Ebene müssen sie - den Prager Zerwürfnissen zum Trotz - mit Schwarzenbergs TOP09 weiter regieren. Es sei fraglich, wie lange das noch gut gehe, meint Erik Tabery, Chefredakteur der angesehenen Wochenzeitung Respekt:

    "Ohne Zweifel wird das Folgen für Stabilität der Regierungskoalition haben. Man kann davon ausgehen, dass die Spannungen zwischen den Bürgerdemokraten und TOP09 weiter wachsen. Und wenn es dann zu einer Krisensituation kommt, könnte die Koalition platzen und durch eine Große Koalition abgelöst werden - das würde sich dann geradezu anbieten."

    Kein Wunder, dass Premier Petr Necas das Prager "Geburtswunder" überhaupt nicht behagt. Er halte die Entscheidung - so Necas wörtlich - für einen "falschen Schritt".

    Die Demonstranten auf dem Wenzelsplatz bringen das auf ihre Weise zum Ausdruck: Prag, rufen sie, ist nicht Palermo.