Remme: "Streit ist was Gutes", so war es in der vergangenen Woche zu hören, als Vertreter aller Parteien im Bundestag auf 50 Jahre Parlamentarismus zurückschauten. Doch was ist, wenn die Parteien seit Jahren streiten und nichts dabei herauskommt: keine Belebung des Arbeitsmarktes und keine konjunkturelle Belebung, zumindest keine, die direkt auf die Bemühungen der deutschen Politik zurückgeführt werden kann. Vor einem Jahr hieß der Kanzler noch Helmut Kohl und der Vermittlungsausschuss wurde zur Sackgasse deutscher Reformpolitik. Jetzt heißt der Kanzler Gerhard Schröder und der Vermittlungsausschuss wird wieder zum Zentrum der Macht mit ungewissem Ausgang. Auch im Ausland werden die deutschen Reformbemühungen mit großer Aufmerksamkeit beobachtet: nicht nur die Absichten, vor allem auch die Hindernisse. Das Echo im europäischen Blätterwald war nach den letzten Wahlschlappen nicht zu überhören, Tenor: wie lange kann das noch so weitergehen? Am Telefon ist jetzt Norbert Walter. Er ist Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Guten Morgen Herr Walter.
Walter: Guten Morgen Herr Remme.
Remme: Herr Walter, viele der jetzt abgewanderten Wähler sind schlichtweg enttäuscht. Sie haben sich vom Regierungswechsel mehr versprochen. Sie auch?
Walter: Ja, ich habe mir mehr versprochen. Ich habe mir am Anfang weniger Fehler versprochen. Ich dachte, die Wahlversprechen seien so durchsichtig gewesen, dass niemand wirklich probieren würde, einige davon umzusetzen. Aber in der Zeit, in der Lafontaine Finanzminister war, sind eben doch einige dieser Wahlversprechen, die unvernünftig waren, umgesetzt worden. Dann musste Eichel das zum Teil zurücknehmen, zum Teil korrigieren, und das macht jetzt die Mühsal wohl aus.
Remme: Ist Deutschland aufgrund der Verhältnisse, wie ich sie eben geschildert habe, ein Risikofaktor im europäischen Umfeld?
Walter: Deutschland war ein Risikofaktor im europäischen Umfeld. Wir haben in den 90er Jahren eher wie eine Bremse gewirkt, sicherlich seit der Mitte der 90er Jahre. Wir haben aber auch schon in den 80er Jahren wie viele andere um uns unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Wir haben die Modelle, die es in anderen Kontinenten und an der Peripherie Europas gab, nicht wahrgenommen. Wir sind stur bei unserem Konzept geblieben, und noch immer scheint es so, als ob Populismus für alte Lösungen die Wähler begeistert.
Remme: Wenn Sie sagen "war ein Risikofaktor" sehen Sie Indizien dafür, dass sich das geändert hat?
Walter: Ich sagte war und ist ein Risikofaktor. Ich wollte nur sagen, es ist kein neues Phänomen.
Remme: Gerade vor der Wahl galt Gerhard Schröder, der Kanzler, der Automann, als Mann der Wirtschaft. Hat dieser Ruf gelitten?
Walter: Ich denke, in der breiten Öffentlichkeit unzweifelhaft. Ob unter den internationalen Kollegen des Bundeskanzlers, ob bei der Elite, das weiß ich nicht. Die eigentliche Frage ist aber, lässt die "alte Dame", lässt die SPD den Modernisierer in der deutschen Sozialdemokratie wirken oder wird hier ein Tony-Blair-Ansatz gestoppt.
Remme: Gibt es denn Ihrer Meinung nach Aspekte der Politik von Hans Eichel, die korrekturbedürftig sind?
Walter: Wenn man eine solche Hausaufgabe hat wie sie Hans Eichel hatte, dann ist klar, dass man Großaufräumarbeiten hat und dass dann die Feinheiten bei der Arbeit sicherlich leiden. Die Feindynamik leidet auch bei Eichels Konzept noch, aber nunmehr zu kritisieren, dass die Spreizung der Steuersätze zwischen Unternehmenssteuer und privater Einkommenssteuer zu groß ist und am Ende wohl nicht so aufrecht erhalten wird oder andere Kleinigkeiten, wenn ich das so sagen darf, zu kritisieren, bringt alles durcheinander. Es verstellt den Blick auf das wichtigste. Das wichtigste ist jetzt zuerst einmal die Stabilitätsorientierung dieser Politik, die schwer genug ist, gesetzlich zu verankern und umzusetzen.
Remme: Wenn wir bei diesen Risiken noch einmal bleiben, die die bundesdeutsche Regierung, die bundesdeutsche Politik darstellt. Welche Auswirkungen hätte denn das vor allen Dingen auch im europäischen Umfeld, wenn sich nichts ändert, wenn sich zum Beispiel Regierung und Opposition auch im nächsten Jahr noch weitgehend blockieren?
Walter: Wenn die deutsche Lokomotive nicht zieht, wenn die deutsche Wirtschaftspolitik nicht nur nicht Anschluss gewinnt, sondern weit dahinter zurückbleibt, was erforderlich ist, dann besteht Gefahr, dass am wichtigsten Standort in Europa Investitionen schwach bleiben, Arbeitslosigkeit hoch bleibt und dass natürlich dann der Gesamtraum wirtschaftlich Schwäche erleidet, dass die Finanzmärkte dieses Raumes Schwäche erleiden, das heißt die Aktienmärkte schwach sind, die Zinsen unnötig hoch sind, weil man eine Risikoprämie zahlen muss für falsche und unsichere Politik.
Remme: Sehen Sie dort eine Art Frist, bis zu der handfeste zählbare Resultate vorliegen müssen?
Walter: Ich weiß welche Fragen die internationalen Investoren mir täglich mit immer größerer Dringlichkeit stellen. Die Frage lautet: wird Eichels Sparpaket durchkommen und wenn ja und wie. Wenn diese Frage im vierten Quartal zügig und vom Vermittlungsausschuss nicht mit Blockadepolitik, sondern konstruktiver Sicht, nämlich auch der Sicht, dass die CDU ja einmal wieder an der Regierung sein könnte und dann das, was sie jetzt nicht mitträgt, als Last selbst zu bewältigen hätte, wenn diese Erkenntnis auch dort greift und nicht nur immer das Gewinnen der nächsten Landtagswahl mit populistischen Thesen in den Köpfen und den Herzen schwingt, dann gibt es eine Chance im vierten Quartal.
Remme: Als Bänker müssen Sie sich ja nicht um Amt und Mandat sorgen, aber gibt es Ihnen zu denken, wenn die Politik der Regierung beim Wähler so offen auf Ablehnung stößt?
Walter: Ja, ich bin in Sorge darüber, und ich vermute auch, dass immer wieder falsche Schlussfolgerungen von den politischen Kräften, auch jetzt von der Opposition, der CDU gezogen werden. Ich denke mir, dass der Wähler eben nicht will, dass wir mit dem jetzigen nicht durchhaltbaren Rentensystem weitermachen, aber auf der anderen Seite ist es halt eben auch klar, dass es besser gewesen wäre, wenn der Wahlkampagnen-Mann Schröder nach der Erkenntnis, die Eichel ja in Politik umgesetzt hat, auch gesagt hätte, Reue, Reue, ich weiß, ich habe Fehler gemacht bei den Wahlankündigungen, ich weiß, ich habe Fehler gemacht bei den ersten Schritten meiner Regierung. Es hätte mehr Glaubwürdigkeit erzeugt und es würde auch der heutigen Opposition schwerer fallen, sich gegen den neuen Kurs so zu stellen, wie sie es derzeit tun.
Remme: Norbert Walter war das, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Link: (Norbert Walter zum Start des Euro (4.1.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/141.html)
Walter: Guten Morgen Herr Remme.
Remme: Herr Walter, viele der jetzt abgewanderten Wähler sind schlichtweg enttäuscht. Sie haben sich vom Regierungswechsel mehr versprochen. Sie auch?
Walter: Ja, ich habe mir mehr versprochen. Ich habe mir am Anfang weniger Fehler versprochen. Ich dachte, die Wahlversprechen seien so durchsichtig gewesen, dass niemand wirklich probieren würde, einige davon umzusetzen. Aber in der Zeit, in der Lafontaine Finanzminister war, sind eben doch einige dieser Wahlversprechen, die unvernünftig waren, umgesetzt worden. Dann musste Eichel das zum Teil zurücknehmen, zum Teil korrigieren, und das macht jetzt die Mühsal wohl aus.
Remme: Ist Deutschland aufgrund der Verhältnisse, wie ich sie eben geschildert habe, ein Risikofaktor im europäischen Umfeld?
Walter: Deutschland war ein Risikofaktor im europäischen Umfeld. Wir haben in den 90er Jahren eher wie eine Bremse gewirkt, sicherlich seit der Mitte der 90er Jahre. Wir haben aber auch schon in den 80er Jahren wie viele andere um uns unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Wir haben die Modelle, die es in anderen Kontinenten und an der Peripherie Europas gab, nicht wahrgenommen. Wir sind stur bei unserem Konzept geblieben, und noch immer scheint es so, als ob Populismus für alte Lösungen die Wähler begeistert.
Remme: Wenn Sie sagen "war ein Risikofaktor" sehen Sie Indizien dafür, dass sich das geändert hat?
Walter: Ich sagte war und ist ein Risikofaktor. Ich wollte nur sagen, es ist kein neues Phänomen.
Remme: Gerade vor der Wahl galt Gerhard Schröder, der Kanzler, der Automann, als Mann der Wirtschaft. Hat dieser Ruf gelitten?
Walter: Ich denke, in der breiten Öffentlichkeit unzweifelhaft. Ob unter den internationalen Kollegen des Bundeskanzlers, ob bei der Elite, das weiß ich nicht. Die eigentliche Frage ist aber, lässt die "alte Dame", lässt die SPD den Modernisierer in der deutschen Sozialdemokratie wirken oder wird hier ein Tony-Blair-Ansatz gestoppt.
Remme: Gibt es denn Ihrer Meinung nach Aspekte der Politik von Hans Eichel, die korrekturbedürftig sind?
Walter: Wenn man eine solche Hausaufgabe hat wie sie Hans Eichel hatte, dann ist klar, dass man Großaufräumarbeiten hat und dass dann die Feinheiten bei der Arbeit sicherlich leiden. Die Feindynamik leidet auch bei Eichels Konzept noch, aber nunmehr zu kritisieren, dass die Spreizung der Steuersätze zwischen Unternehmenssteuer und privater Einkommenssteuer zu groß ist und am Ende wohl nicht so aufrecht erhalten wird oder andere Kleinigkeiten, wenn ich das so sagen darf, zu kritisieren, bringt alles durcheinander. Es verstellt den Blick auf das wichtigste. Das wichtigste ist jetzt zuerst einmal die Stabilitätsorientierung dieser Politik, die schwer genug ist, gesetzlich zu verankern und umzusetzen.
Remme: Wenn wir bei diesen Risiken noch einmal bleiben, die die bundesdeutsche Regierung, die bundesdeutsche Politik darstellt. Welche Auswirkungen hätte denn das vor allen Dingen auch im europäischen Umfeld, wenn sich nichts ändert, wenn sich zum Beispiel Regierung und Opposition auch im nächsten Jahr noch weitgehend blockieren?
Walter: Wenn die deutsche Lokomotive nicht zieht, wenn die deutsche Wirtschaftspolitik nicht nur nicht Anschluss gewinnt, sondern weit dahinter zurückbleibt, was erforderlich ist, dann besteht Gefahr, dass am wichtigsten Standort in Europa Investitionen schwach bleiben, Arbeitslosigkeit hoch bleibt und dass natürlich dann der Gesamtraum wirtschaftlich Schwäche erleidet, dass die Finanzmärkte dieses Raumes Schwäche erleiden, das heißt die Aktienmärkte schwach sind, die Zinsen unnötig hoch sind, weil man eine Risikoprämie zahlen muss für falsche und unsichere Politik.
Remme: Sehen Sie dort eine Art Frist, bis zu der handfeste zählbare Resultate vorliegen müssen?
Walter: Ich weiß welche Fragen die internationalen Investoren mir täglich mit immer größerer Dringlichkeit stellen. Die Frage lautet: wird Eichels Sparpaket durchkommen und wenn ja und wie. Wenn diese Frage im vierten Quartal zügig und vom Vermittlungsausschuss nicht mit Blockadepolitik, sondern konstruktiver Sicht, nämlich auch der Sicht, dass die CDU ja einmal wieder an der Regierung sein könnte und dann das, was sie jetzt nicht mitträgt, als Last selbst zu bewältigen hätte, wenn diese Erkenntnis auch dort greift und nicht nur immer das Gewinnen der nächsten Landtagswahl mit populistischen Thesen in den Köpfen und den Herzen schwingt, dann gibt es eine Chance im vierten Quartal.
Remme: Als Bänker müssen Sie sich ja nicht um Amt und Mandat sorgen, aber gibt es Ihnen zu denken, wenn die Politik der Regierung beim Wähler so offen auf Ablehnung stößt?
Walter: Ja, ich bin in Sorge darüber, und ich vermute auch, dass immer wieder falsche Schlussfolgerungen von den politischen Kräften, auch jetzt von der Opposition, der CDU gezogen werden. Ich denke mir, dass der Wähler eben nicht will, dass wir mit dem jetzigen nicht durchhaltbaren Rentensystem weitermachen, aber auf der anderen Seite ist es halt eben auch klar, dass es besser gewesen wäre, wenn der Wahlkampagnen-Mann Schröder nach der Erkenntnis, die Eichel ja in Politik umgesetzt hat, auch gesagt hätte, Reue, Reue, ich weiß, ich habe Fehler gemacht bei den Wahlankündigungen, ich weiß, ich habe Fehler gemacht bei den ersten Schritten meiner Regierung. Es hätte mehr Glaubwürdigkeit erzeugt und es würde auch der heutigen Opposition schwerer fallen, sich gegen den neuen Kurs so zu stellen, wie sie es derzeit tun.
Remme: Norbert Walter war das, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Link: (Norbert Walter zum Start des Euro (4.1.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/141.html)