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Waffen in den USA
Schusstraining im Pfadfinder-Camp

Meine Waffe, meine Kultur: So sehen es viele Amerikaner, ganz gleich welchem politischen Lager sie angehören. Diesem Gedanken fühlen sich auch die Pfadfinder in den USA verbunden. Sie sehen den richtigen Umgang mit Waffen als Teil einer Realität, die sich nicht wegdiskutieren lässt.

Von Detlev Karg | 07.02.2020
Sherman Oaks Boy Scouts salutieren während der Nationalhymne am Nationalfriedhof in Los Angeles
Die Waffenlobby der USA, die National Rifle Association, ist seit über 100 Jahren Partner der Boy Scouts of America (imago images / ZUMA Press)
Joan und Daniel Suk sitzen auf ihrem Sofa in dem braun getäfelten Empfangszimmer ihres Schießsportzentrums in Flemington im US-Bundesstaat New Jersey. Ein wenig süffisant erzählen sie, dass Barack Obama der beste Waffenverkäufer in der Geschichte der USA war. Mit dem Amtstantritt Donald Trumps hingegen brachen die Waffenverkäufe ein. Das war der Trump Slump, so nennen sie es. Wie kann das sein?
Wer sich das fragt, hat die Rechnung ohne die Amerikaner gemacht. Denn wenn Politiker auch nur die Absicht äußern, die Waffengesetze in den USA zu verschärfen, decken sich viele US-Bürger erst recht mit Schusswaffen ein. Eine Waffe gehört dazu, damit wachsen schon Kinder auf.
Boy Scouts "keine paramilitärische Organisation"
Jugendliche, man könnte sagen, sie sind fast noch Kinder, schießen mit Kleinkalibergewehren auf Zielscheiben. Nichts Ungewöhnliches in den USA, aber für deutsche Beobachter vielleicht doch. Denn es sind Pfadfinder, die für das nächste Abzeichen schießen, den so genannten Rifle Merit Badge. Und das sei auch ganz normal, sagt mir Magne Gundersen, er leitet das "Washington Crossing Council der Boy Scouts of America" im US-Bundesstaat Pennsylvania. Ein Council ist vergleichbar einem Bezirk, zu dem in diesem Fall über 8.000 Pfadfinder gehören.
"Der Grundgedanke der Boy Scouts of America ist es natürlich überhaupt nicht, als paramilitärische Organisation zu agieren, sondern Jungen und neuerdings auch Mädchen zu zeigen, wie man Feuerwaffen ordentlich handhabt und benutzt."
Schusstraining mit Luftgewehren
Los geht es mit dem so genannten BB Shooting, das ist die eine Variante amerikanischer Luftgewehre. BB das steht für Ball Bullet, kleine und meist sehr leichte Metallkügelchen. Genau damit üben die Sieben- bis Neunjährigen an einem verregneten Sonntag im Vereinsheim der Pfadfinder im Camp Ockanickon nahe dem Delaware River in Pennsylvania. Das Zeitfenster konnten die Eltern vorab über Facebook buchen, und so tummeln sich an diesem Tag über 150 Kinder mit ihren Eltern in dem Pfadfinderheim.
Das "BB Shooting" wie es auf englisch heißt, ist harmlos und die nur rund 25 Dollar teuren Luftgewehre für die Anfänger sind es auch. Aber alles läuft so streng ab, als handele es sich um scharfe Waffen. Safety, dieses Wort höre man immer wieder. Alle Kinder tragen Schießbrillen, Ohrenschützer sind freilich nicht nötig. Und es gibt einen, der alles im Griff hat: Bob Fisher, der an diesem Sonntag ehrenamtlich das Schießen beaufsichtigt.
Er darf das, weil die National Rifle Association ihn zertifiziert hat. Und neben dem Lernen der wichtigsten Regel - die Mündung immer weg von sich und anderen halten - wird zunächst einmal das richtige Auge jedes Schützen gefunden: "Winkel deine Hände an, so dass ein Dreieck entsteht, schau auf meine Nase, schau genau hierhin, du bist linksäugig!"
Schrotflinten mit Tontauben, aber Bogenschießen
Hier in Pennsylvania können sie das. Doch nur wenige Meilen entfernt im Bundesstaat New Jersey ist das verboten. Nicht einmal Luftgewehre sind ohne Prüfung der Behörden zulässig, und das gilt auch für die dortigen Pfadfinderkinder, obwohl sie ebenfalls zum "Washington Crossing Council" gehören. Also machen sie sich einmal im Monat auf die rund einstündige Autofahrt nach Pennsylvania. Rund die Hälfte der Kinder ist an diesem Sonntag aus New Jersey angereist.
Der Sport steht ganz im Vordergrund, und so bieten die Pfadfinder im ganzen Land Sommercamps an, in denen Jugendliche ab vierzehn Jahren dann auch größere Kaliber schießen dürfen, wie Schrotflinten mit Tontauben, aber auch das Bogenschießen gehört dazu. Und dafür wird natürlich auch im Internet die Werbetrommel gerührt.
Waffenlobby NRA seit über 100 Jahren Partner der Boy Scouts
Wir sind zurück im Camp Ockanickon bei den Anfängern. Für sie ist das Schießabzeichen kein Pflichtabzeichen mehr, anders als in früheren Jahren. Denn die National Rifle Association ist seit über 100 Jahren Partner der Boy Scouts of America.
Und natürlich spielen auch geschäftliche Interessen eine Rolle. Weshalb die Verbindung der beiden doch recht einflussreichen Verbände von vielen auch kritisch gesehen wird. Sie hätten vieles gern restriktiver, so wie eben in New Jersey wo der Verkauf aller Waffen auf das Strengste limitiert und das Tragen derselben ohnehin verboten ist.
Pizza und Waffen
Dennoch hat auch hier so mancher Teenager Interesse am Schießsport. Dem kann man in New Jersey einzig und allein in Schießsportzentren nachgehen. Joan Suk betreibt mit ihrem Mann Daniel das Tactical Training Center in Flemington, in Zentral-New Jersey.
"Wir veranstalten ein Sommercamp, eine Woche lang. Am ersten Tag dürfen die Jugendlichen noch gar nicht schießen, sie müssen sich alles über Sicherheit anhören. Dann, wenn sie sicher mit der Waffe umgehen können, kommen sie mit den Eltern zu uns. Wir haben einmal im Monat unsere Teenage Night, da gibt’s dann auch Pizza für alle und die Jugendlichen können alle Arten von Waffen ausprobieren. Natürlich lassen wir nicht jeden an jede beliebige Waffe, das hängt ganz von den körperlichen Fähigkeiten ab und vom Alter. Es sind eben viele Leute in diesem Land mit dem Schießen aufgewachsen, das gehört zu unserer Geschichte."
Ob die jungen Pfadfinder, die 20 Meilen entfernt in Pennsylvania das Luftgewehr kennen lernen, einmal das Schießen zu ihrem Hobby machen werden, ist dabei gar nicht einmal ausgemacht.
Pfadfinderchef Magne Gundersen kann jedenfalls darauf verweisen, dass bisher noch kein Boy Scout zum Täter wurde: "Das war noch kein Problem. Wenn wir auf die Schießereien an High Schools schauen, die sehr sehr schlimm sind – bis zum heutigen Tage war kein Pfadfinder an einem Amoklauf in einer Schule beteiligt. Wir hoffen, dass es unsere Ausbildung ist, die dazu beiträgt. Besser, als dass sie irgendwann mal eine Waffe kaufen und falsch einsetzen, es geht um Sicherheit."
Mir wird auf dieser Reise zu beiden Seiten des Delaware River klar: Waffen gehören untrennbar zur Alltagskultur vieler Amerikaner, wie der Pickup, das Barbecue und das Baseballspiel. Und so mag für manchen der Gedanke richtig sein, dass es in diesem Land zumindest nicht verkehrt ist, sich mit Waffen gut auszukennen, unter Aufsicht, verantwortungsvoll, und eben schon als Kind oder Jugendlicher.