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Waffenexporte an die Türkei

Remme: Heute Abend trifft sich der Koalitionsausschuss von SPD und Grünen, eine Runde, die ins Leben gerufen wurde, um mögliche Konflikte innerhalb der Koalition schon im Vorfeld zu entschärfen. So weit die Idee. In der Realität müssen sich die Akteure aber zusammenfinden, um die für alle längst sichtbaren Risse zu kitten. Ein Thema dieser Woche: das umstrittene Panzergeschäft mit der Türkei. Für die Grünen unvorstellbar, für den Kanzler offenbar unverzichtbar. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Reinhard Bütikofer, hatte in der vergangenen Woche eine außerparlamentarische Kampagne gegen das Geschäft angekündigt. Nicht nur für die SPD scheint es absurd, wenn eine Regierungspartei Unterschriften sammeln würde, um ein Vorhaben zu kippen, an dem man selbst beteiligt ist. - Reinhard Bütikofer ist jetzt am Telefon. Guten Morgen Herr Bütikofer!

    Bütikofer: Guten Morgen Herr Remme. Das war eine schöne Einleitung.

    Remme: Herr Bütikofer, was wollten Sie mit diesem Vorschlag erreichen?

    Bütikofer: Es geht uns ja nicht darum, gegen uns selbst zu Felde zu ziehen, sondern es geht uns darum - und da denken wir einfach vom Endergebnis her, das wir für richtig halten -, dass die Praxis dieser Regierung mit ihren Zielen auch übereinstimmt. Die Ziele, auf die wir uns was Waffenexporte betrifft festgelegt haben, und zwar rot/grün gemeinsam, waren, dass Menschenrechte dabei ein Entscheidungskriterium sein müssen. Im Falle der Türkei ist die Menschenrechtssituation so, dass das nicht zusammenpasst. Auch der Ministerpräsident der Türkei hat das unlängst eingeräumt, dass was Menschenrechte betrifft in seinem Land einiges im Argen liegt. Wir sind nicht bereit, nun einfach uns still hinzusetzen, Däumchen zu drehen oder Pfötchen zu geben und zuzugucken, dass im Widerspruch zu dieser Vereinbarung der Koalition Waffen geliefert werden sollen an die Türkei.

    Remme: Ihre Parteifreundin Angelika Beer sagt, eine Unterschriftenaktion gibt es auf keinen Fall. Ist Ihre Idee vom Tisch?

    Bütikofer: Sie zitieren Frau Beer falsch, aber darum geht es jetzt gar nicht. Es geht heute zunächst einmal darum, dass wir mit der SPD gemeinsam sehen, wie weit wir zu einer Gemeinsamkeit zurückfinden. Herr Struck hat signalisiert, dass es eine Gemeinsamkeit darin geben kann, dass Parlamentarier beider Regierungsfraktionen gemeinsam im Bezug auf die allgemeinen Rüstungsexportrichtlinien die Sache noch einmal überarbeiten. Das halten wir für einen guten Vorschlag. Wie das Ergebnis im einzelnen heute Abend aussehen mag, das müssen wir anschließend bewerten. Ich würde mich sehr freuen, wenn es zunächst einmal gelänge, auch deutlich zu machen, dass die Entscheidung des Bundessicherheitsrates tatsächlich nicht eine Vorentscheidung über dieses Geschäft mit den 1.000 Leo-zwei-Panzern ist. Wir werden aber für unseren Teil festhalten, dass unter den gegebenen Menschenrechtsbedingungen in der Türkei das Geschäft mit den 1.000 Panzern für uns nicht akzeptabel ist. Wenn es nötig ist, dafür - und ich sage noch einmal -, für ein Ziel, auf das sich rot/grün mal geeinigt hat, die politische Unterstützung aus der Öffentlichkeit, aus der Gesellschaft zu mobilisieren, dann sehe ich daran überhaupt nichts Anstößiges.

    Remme: Und da schließen Sie auch eine Unterschriftenaktion nicht aus?

    Bütikofer: Lassen Sie uns sehen, wie weit wir gemeinsam kommen. Ich würde es vorziehen, dass wir gemeinsam, ohne uns darum zu streiten, einen Weg finden. Sehen Sie, es ist so viel gegen diese Regierung mobilisiert worden. Vielleicht muss man auch mal, damit die Regierung bei ihrer Reformtagesordnung bleibt, für die Regierung mobilisieren.

    Remme: Die "Süddeutsche Zeitung" charakterisiert das Panzergeschäft heute Morgen als aktive Sterbehilfe, die den Grünen zu Teil wird, und weiter heißt es, "es ist keine Krise vorstellbar, die das Grünen-Führungspersonal als Koalitionskrise zugeben würde". Was ist an diesem letzten Satz falsch?

    Bütikofer: Daran ist falsch, dass es für uns tatsächlich Ziele und Werte gibt, die für uns so hoch angesiedelt sind, dass wir sagen, dafür stehen wir und daran vorbei ist mit uns nicht zu handeln.

    Remme: Ein Beispiel?

    Bütikofer: Ein Beispiel ist dieses.

    Remme: Mit "dieses" meinen Sie den vorliegenden Streitfall?

    Bütikofer: Das ist der vorliegende Streitfall. Ein anderes Beispiel ist die Frage um den Atomausstieg. Auch dort ist bekannt, dass mit den Grünen nichts zu machen ist, dass man dieses gemeinsame rot/grüne Projekt jetzt einfach sterben ließe.

    Remme: Das heißt, Sie sagen mit anderen Worten, wenn dieses Geschäft zu Stande kommt, dann ist das ein Fall, den die Grünen in dieser Regierung nicht mitmachen werden?

    Bütikofer: Ich mache jetzt keine Spekulationen über eine Situation in einem Jahr, sondern ich sage: Wir wollen jetzt alle Kräfte mobilisieren, um dieses zu verhindern. Ich rechne dabei auch darauf, dass große Teile der Sozialdemokratie uns in der Sache unterstützen. Ich habe keine Lust, mich von dem einen oder anderen Journalisten jetzt vor allem in hypothetische Diskussionen verwickeln zu lassen, aber ich sage genauso klar, dass es Gründe für die Grünen gibt, die so wichtig sind, dass wir dazu stehen. Die Grünen sind nicht um jeden Preis in der Regierung!

    Remme: Warum stellen Sie den Unwillen oder die Unfähigkeit der SPD zum Kompromiss in einer solchen Grundsatzfrage nicht bloß und gehen in die Opposition, Herr Bütikofer?

    Bütikofer: Weil ich in dieser Frage noch die Chance sehe, die Entwicklung herumzudrehen, die Chance sehe, gemeinsam mit Kräften aus der Gesellschaft, gemeinsam mit großen Teilen der SPD im Endergebnis das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich eine Außenpolitik, die die Menschenrechte ernst nimmt. Lassen Sie mich das noch einmal unter einem Rückgriff auf eine andere für uns schwierige Debatte sagen. Wir haben die Debatte über den Kosovo-Krieg geführt, die uns gerade als Grüne nicht leicht gefallen ist, geführt unter Verweis auf die Notwendigkeit, in der Außenpolitik dem Ziel der Menschenrechte hohe Priorität einzuräumen. Wir haben in jener Debatte immer gesagt, ihr werdet es sehen, dass es uns dabei wirklich ernst ist, dass das jetzt nicht eine irgendwie rhetorische Ausrede ist, um Camouflage zu organisieren. Ihr werdet es daran sehen, dass wir auch in der Türkei, wenn es darauf ankommt, an diesem Kriterium festhalten. Wenn wir jetzt zulassen würden, dass das Ziel der Menschenrechte nichts gilt, würden wir nachträglich unsere gesamte Argumentation, warum wir bereit waren, im Kosovo auch zu militärischen Mitteln zu greifen, völlig destruieren, völlig kaputtschlagen.

    Remme: Stimmen Sie zu, dass dieser Streit eigentlich für den Zusammenhalt der Koalition viel gefährlicher ist als der im Kosovo?

    Bütikofer: Ich weiß nicht, ob er gefährlicher ist, weil die Kriterien so klar und so einsichtig sind, dass ich eigentlich darauf rechne, dass letztendlich auch die Mehrheit beim Koalitionspartner sich dazu finden wird.

    Remme: Vielen Dank! - Das war der Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Reinhard Bütikofer..

    Link: (Interview mit Willi Pietczek (SPD)==>/cgi-bin/es/neu-interview/436.html)