Es ist eine brisante Grundsatzfrage: Soll das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mitregieren – und zu welchem politischen Preis? In drei ostdeutschen Bundesländern stellt sich derzeit diese Frage, nachdem Wagenknechts neues Bündnis in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September 2024 aus dem Stand Wahlerfolge einfahren konnte. Die möglichen Koalitionspartner CDU und SPD müssen nun klären, ob und wie weit sie dem BSW entgegenkommen wollen.
Wagenknecht stellt Bedingungen auf, die in der Landespolitik sonst kaum Thema sind: Keine Waffenlieferungen an die Ukraine, keine US-Raketen in Deutschland - die Forderungen stehen quer zur Außenpolitik der möglichen Bündnispartner CDU und SPD. Weil CDU-Chef Friedrich Merz unlängst die Lieferung von Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine andeutete, verlangt Wagenknecht sogar eine Abgrenzung der CDU-Landesverbände von der Position des Parteichefs. Was in den drei Ost-Ländern passiert, könnte Auswirkungen auf den Bundestagswahlkampf haben.
Was ist die Strategie von Sahra Wagenknecht?
Wagenknecht steht für den Politikwissenschaftler Benjamin Höhne für „soziale Gerechtigkeit“, eine „konservative Gesellschaftspolitik“, aber auch „autoritäre“ Positionen - etwa bei den Themen Migration oder Gendern. Bei diesen gehe vieles in die Richtung, die schon auch von den Rechtspopulisten bekannt sei, so Höhne. Es sei aber unklar, was sie eigentlich antreibe. Wagenknecht habe auch kein Problem damit, „antisystemische Einstellungen in der ostdeutschen Bevölkerung zu nutzen, vielleicht sogar noch zu verstärken“.
Wagenknecht sei der Einzug in den Bundestag wahrscheinlich wichtiger als die Beteiligung an den Landesregierungen in Ostdeutschland, sodie Einschätzung des Parteienforschers. Falls das BSW doch bei den Landesregierungen mitmacht, bestehe laut Höhne aber immer die Möglichkeit, dass Wagenknecht wieder aussteigt – sei es, wenn die BSW-Umfragewerte sinken oder die deutsche „Außen- und Sicherheitspolitik nicht die Impulse bekommt, die sie sich erhofft“.
Wagenknecht sagt dazu: „Regierungen, die sich für mehr Diplomatie einsetzen, den sozialen Zusammenhalt stärken und die Menschen durch Bodenständigkeit und Bürgernähe überzeugen, wären ein großer Gewinn für unser Land. Selbstverständlich möchte das BSW solche Regierungen auf den Weg bringen.“ Aber das gehe nur, wenn die anderen Parteien das auch wollten.
Wie verhalten sich die BSW-Landesverbände - etwa in Thüringen?
Die Landesverbände des BSW lassen klar erkennen, dass sie mitregieren wollen. Frontfrau Wagenknecht machte aber aus Berlin schon ihren Einfluss geltend: In Thüringen hat sie interveniert, um ihre außenpolitischen Forderungen durchzusetzen.
Die Gespräche für sogenannte „Brombeer-Koalitionen“ in den ostdeutschen Ländern ziehen sich also. Auch in Sachsen werden die Sondierungen von CDU, BSW und SPD begleitet von Störgeräuschen. Der SPD-Landesvorsitzende Henning Homann warf Wagenknecht „Kasperletheater“ vor.
In Thüringen, wo die Sondierung schon abgeschlossen ist und nun eigentlich Koalitionsverhandlungen anstehen, hakt es ebenfalls. Positive Signale kommen derzeit nur aus Brandenburg. Dort empfehlen die Sondierungsgruppen von SPD und BSW ihren Parteispitzen, Koalitionsgespräche aufzunehmen.
Thüringens BSW-Landeschefin Katja Wolf kündigte Nachverhandlungen für eine Präambel zum Thema Frieden an - also zum Lieblingsthema von Wagenknecht. Auf die Frage, ob Wagenknecht Druck ausgeübt habe, sagte Wolf, man stimmte sich eng ab. "Von daher passt da kein Blatt zwischen Berlin und uns", sagte Wolf im Deutschlandfunk. Aber nicht nur "Berlin" habe das gewünscht, sondern auch der BSW-Landesvorstand in Thüringen.
Parteienforscher Höhne schätzt die Situation so ein, dass die Landesverbände des BSW "faktisch vielleicht so unfrei sind, wie in keiner anderen Partei ein Landesverband". Das Bündnis Sahra Wagenknecht sei "so konfiguriert, dass dort von oben nach unten durchregiert wird, um das salopp auszudrücken". Der Politologe spricht von einer "zentralistischen Steuerung" und wenigen "handverlesenen Mitgliedern".
Man sehe das "alte rechte Organisationsmodell" eines "charismatischen Führers an der Spitze" mit einem "schlanken Apparat", so Höhne. Beschlüsse würden "top-down gefasst". Hier sei das BSW weit weg von den Vorgaben in Artikel 21 des Grundgesetzes. Dort heißt es, dass die innere Ordnung der Parteien "demokratischen Grundsätzen entsprechen" muss.
Wie wird die mögliche Zusammenarbeit mit dem BSW in der CDU gesehen?
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Thüringens CDU-Chef Mario Voigt äußern sich vorsichtig-optimistisch und offen. Sie benötigen die BSW-Stimmen in ihren Landtagen, um zu regieren. So geht es auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der ebenfalls mit dem BSW sondiert.
Voigt betont mit Blick auf Wagenknechts Maximalforderungen, man dürfe sich gegenseitig nicht überfordern. Gleichzeitig unterstreicht er die klassischen CDU-Positionen: Westbindung und Verankerung in der NATO. Reichlich Kritik hatte ein Gastbeitrag von Kretschmer, Voigt und Woidke in der „FAZ“ für ein stärkeres diplomatisches Engagement Deutschlands im Ukraine-Krieg ausgelöst – Lob kam von Wagenknecht.
Auf der anderen Seite sprachen sich tausende CDU-Mitglieder bei einer Unterschriften-Aktion dagegen aus, dass ihre Partei Koalitionen mit dem BSW eingeht. Zu den vehementesten Gegnern einer Zusammenarbeit zwischen CDU und BSW gehört der Bundeschef der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Dennis Radtke. "Jede Zusammenarbeit mit dem BSW wäre für die CDU toxisch", sagt der Europaabgeordnete. Auch eine Kooperation in einem Bundesland mit "der stalinistischen Kaderpartei BSW" sei undenkbar und "schadet der CDU in ganz Deutschland", so Radtke. Man könne „nicht mit Putin-Helfern koalieren oder kooperieren". Gerade in Ostdeutschland ist der Umgang der CDU mit dem BSW und mit der AfD umstritten.
Ob die sogenannte „Brandmauer“ zur AfD Bestand hat, bleibt abzuwarten. Auch mit der Linken hat die CDU per Bundesparteitagsbeschluss eine Zusammenarbeit ausgeschlossen – mit dem BSW nicht.
Welche Folgen sind für die Bundestagswahl absehbar?
Schon jetzt deutet sich an, dass das BSW auch den Bundestagswahlkampf aufmischen wird – und dabei unter anderem in Konkurrenz zur AfD tritt. Bereits bei der Europawahl hatte das BSW erfolgreich abgeschnitten.
Auf die Frage, ob sie eine Option zur Regierungsbeteiligung im Bund nach der nächsten Wahl sehe, sagte Wagenknecht: „SPD, Grüne und FDP bilden die schlechteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik und mit Friedrich Merz als Bundeskanzler droht ein großer europäischer Krieg. Unser Land braucht eine seriöse Alternative dazu.“
Kann sie sich selbst eine Position in einer Regierung vorstellen? „Unter Merz oder Scholz wohl kaum.“ Wird sie selbst Kanzlerkandidatin? Wagenknecht: „Wir müssen sehen, wo wir in einem halben Jahr stehen.“
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