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Wagner: Behandlung von HIV-Infizierten hat große Fortschritte gemacht

Professor Ralf Wagner vom Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Regensburg hat die großen Fortschritte bei der Behandlung von HIV-Infizierten herausgestellt. Dazu gehörten Medikamente, die man in gut aufgesetzten Programmen auch den Entwicklungsländern zur Verfügung stellen müsste. Von einem Impfstoff gegen den Virus sei man aber noch große Schritte entfernt, sagte Wagner vor der am Sonntag in Mexiko-Stadt beginnenden 17. Welt-AIDS-Konferenz.

Ralf Wagner im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Morgen beginnt in Mexiko-Stadt die 17. Welt-AIDS-Konferenz. Während die ersten AIDS-Fälle Anfang der 80er Jahre einen Schock auslösten, ist die Krankheit zumindest hierzulande in den Hintergrund getreten. Zu Unrecht finden AIDS-Aufklärungsstellen und sprechen von einer gefährlichen Sorglosigkeit gegenüber dem tödlichen HI-Virus. In Deutschland lebten 2007 nach Schätzungen 59.000 HIV-infizierte Menschen. Etwa 500 sterben jedes Jahr an der Krankheit. Infizierte leben aber in den westlichen Industrieländern länger und besser mit der Immunschwäche, als noch vor Jahren. Das gilt nicht genauso für Osteuropa, Afrika und Asien, wo sich HIV explosiv ausbreitet. Große Hoffnungen setzte man bei der Entdeckung des tödlichen Virus auf einen Impfstoff, der bald entwickelt sein sollte. Heute wissen wir, diese Hoffnung war falsch. 26 Jahre später gibt es immer noch keine Impfung. Sie wäre die einzige Möglichkeit, der Epidemie ein Ende zu setzen. Nach wie vor wird deshalb dazu geforscht und einige Aufmerksamkeit bekam in letzter Zeit die Arbeit des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Regensburg. Einer der führenden Forscher dort ist Ralf Wagner und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag.

    Ralf Wagner: Hallo. Grüß Gott.

    Kaess: Herr Wagner, sind wir weiter, was die Entwicklung eines Impfstoffes angeht, oder muss man mittlerweile sagen, wir werden nie einen haben?

    Wagner: Wir sind ein großes Stück weiter gekommen in den letzten vergangenen Jahren, allerdings ist die Prognose, wann wir den Impfstoff verfügbar haben werden, sodass wir auch diesen Impfstoff großen Bevölkerungsteilen, großen Populationen zugängig machen können, hier sind wir sicherlich noch ein großes Stück von unserem Ziel entfernt.

    Kaess: Wo stehen wir im Moment? Gibt es ein konkretes Mittel, das gerade getestet wird?

    Wagner: Wir haben Impfstoffe in der klinischen Testung der Phase 1 und der klinischen Testung der Phase 2. Diese Impfstoffe basieren auf Kandidaten, die wir im Tierexperiment, in nichthumanen Primaten, in Rhesusaffen erfolgreich getestet haben. Hier waren wir in der Lage, nicht vor Infektion, aber zumindest vor Ausbruch der Krankheit zu schützen. In den Phase-1- und Phase-2-Studien, da gucken wir zunächst auf die Sicherheit der Impfstoffe, wir schauen uns aber auch schon Immunparameter an und dort haben wir zumindest erste Indikationen gefunden, dass wir Immunantworten auslösen können, wie wir sie auch bei langzeitüberlebenden HIV-infizierten Patienten sehen. Also, demjenigen Personenkreis, der in der Lage ist, das Virus über lange Zeiträume so zu kontrollieren, dass eben die Krankheit nicht ausbricht.

    Kaess: Aber das war jetzt etwas medizinisch. Wenn ich das als Laie richtig verstehe, man kann verhindern mit so einem Impfstoff, dass die Krankheit zum Ausbruch kommt, aber nicht, dass sich jemand infiziert. Ist das richtig?

    Wagner: Das ist korrekt so, ja.

    Kaess: Wo wurden diese Tests durchgeführt? Nur in Deutschland und in Europa, oder auch auf den Kontinenten, die stärker betroffen sind, wie zum Beispiel Afrika?

    Wagner: Diese Tests werden zunächst aus ethischen Gründen und auch aus Gründen der Infrastruktur in den entwickelten Ländern, also in diesem Fall ganz konkret in London und Lausanne durchgeführt. Wir sind aber auf dem Weg, diese ersten Kandidaten auch in Entwicklungsländer zu bringen.

    Kaess: Wenn wir noch mal auf diese Unterscheidung schauen. Also zum einen die Krankheit, zu verhindern, dass die Krankheit ausbricht, und zum anderen zu verhindern, dass man sich überhaupt ansteckt. Kann man denn sagen, man hat definitiv schon ein Mittel, das verhindert, dass die Krankheit ausbricht?

    Wagner: Wir haben, und an der Stelle würde ich einfach präzise sein, weil uns Tierversuche manchmal auch in der Vergangenheit schon in die Irre geleitet haben, wir haben Kandidaten, wo wir den Ausbruch der Erkrankung in Rhesusaffen, in diesem Modellsystem, verhindern können. Diese Kandidaten haben wir quasi gespiegelt auf das Humane Immundefizienz-Virus, auf das humane AIDS-Virus, und gehen davon aus, dass die Analogie des Tiermodells auch in das menschliche System hineinträgt. Aber an dieser Stelle wäre ich relativ vorsichtig mit einer klaren Aussage.

    Kaess: Also, das heißt, eine Prognose, dass man bald ein Mittel haben wird, das verhindert bei Infizierten, dass die Krankheit ausbricht, das lässt sich daraus nicht ableiten?

    Wagner: Ich würde sagen, wir sind hier auf einem guten Weg. Wir müssen aber bestimmt die nächsten fünf bis zehn Jahre abwarten, ob wir in großen und ausgedehnten Studien das, was wir im Tierexperiment sehen können, im humanen System, im Menschen bestätigen können.

    Kaess: Und wie weit sind wir von der zweiten Variante entfernt, etwas zu finden, was verhindert, dass man sich überhaupt ansteckt?

    Wagner: Hier sind wir sicherlich noch ein großes Stück weit entfernt. Ich glaube, wir haben gelernt in den letzten Jahren hier, unsere Ziele bescheidener und realistischer zu definieren. Die Scientific Community, die wissenschaftliche Gemeinschaft, geht heute davon aus, dass tatsächlich das Ziel, wir schützen vor Ausbruch der Erkrankung, dass dieses Ziel erreichbar sein wird. Noch mal, hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Infektion per se zu verhindern, ist sicherlich ein deutlich höhergestecktes Ziel. Hier müssen wir noch große auch technologische Sprünge bewältigen und auf Sicht von 10 bis 15 Jahren würde ich prognostizieren, dass wir dieses Ziel nicht erreichen werden.

    Kaess: Das heißt, man bemüht sich auch gar nicht, oder man hat gar nicht mehr eine realistische Erwartung, dass man einen Impfstoff findet, der den Mensch zu 100 Prozent immun macht?

    Wagner: Doch, es arbeiten weltweit viele Arbeitsgruppen an diesem Thema, auch die eigene Arbeitsgruppe in Regensburg. Auch hier haben wir viel gelernt aus der HIV-Grundlagenforschung in den letzten Jahren. Wir haben das Hüllprotein des Virus strukturell viel besser im Griff, als noch vor vielen Jahren, wir haben den Infektionsvorgang viel besser im Griff. Dies ist die Basis, um jetzt mit rationalen Strategien Werkzeuge zu entwickeln, wo wir die Infektion verhindern können. Aber wenn Sie allein die Entwicklungszyklen, die Entwicklungszeiten bedenken, Kandidaten, die wir heute im Tierexperiment haben, in den frühen Phasen, bis wir die durch die komplette klinische Erprobung weiterentwickelt haben und am Ende ein Produkt in die Hand bekommen, da sind 10 bis 15 Jahre kein kurzer Zeitraum. Also ich denke, wir könnten happy sein, wenn wir in 10 bis 15 Jahren Kandidaten in der Hand hätten, die vor Infektionen schützen könnten.

    Kaess: Herr Wagner, haben Sie in den letzten Jahren oft Rückschläge einstecken müssen?

    Wagner: Wir haben natürlich Rückschläge einstecken müssen, gar keine Frage. Man muss im Lauf der Jahre doch eine hohe Frustrationstoleranz in diesem Bereich entwickeln. Es haben Tierexperimente nicht funktioniert in dem Sinn, wie wir uns das erwartet haben. Aber insgesamt, das große Bild ist doch, wir haben uns in großen Schritten in den vergangenen zehn Jahren voranbewegt, sodass ich sagen würde, die Frustration hielt sich in Grenzen und eigentlich die Freude über Fortschritte überwiegt deutlich.

    Kaess: Was sind die Probleme bei der Forschung?

    Wagner: Probleme bei der Forschung kommen natürlich aus der komplexen Biologie des Virus an sich. Das Virus, das wissen wir mittlerweile, ist extrem trickreich, manipuliert unser Immunsystem an ganz vielen Stellen. Ein Problem, das darf ich an dieser Stelle sagen, ist sicherlich auch die Finanzierung der Forschung aus der öffentlichen Hand. Hier würden wir uns breite aufgestellte Programme wünschen, die deutlich besser finanziert sind, vor allen Dingen auch aus Deutschland. Hier speisen wir unsere Forschung zu nicht unwesentlichen Teilen aus Programmen der Europäischen Union, auch aus Programmen von großen Stiftungen, beispielsweise der Bill & Melinda Gates Stiftung, auch aus, erstaunlicherweise, amerikanischen Forschungstöpfen. Und hier würden wir uns eben wünschen, dass wir auf nationaler Ebene mehr Unterstützung, auch besser strukturierte Programme sehen.

    Kaess: Warum glauben Sie, ist ein Interesse an einer stärkeren Finanzierung nicht so groß?

    Wagner: Darüber kann man geeignet spekulieren. Ich denke, das ist möglicherweise auch getrieben dadurch, dass in den vergangenen Jahren die Erfolge im Sinne eines Impfstoffs, den wir verfügbar haben, ausgeblieben sind. Man fokussiert möglicherweise auch die Forschung dann auf andere Bereiche, wo man vielleicht näher am Ziel ist. Ich denke aber, wir haben hier auch eine ethische und moralische Verantwortung, den vielen Infizierten und denen, die sich noch infizieren werden in den kommenden Jahren in den Schwellenländern, in den Entwicklungsländern. Und andere Länder machen ja auch tatsächlich vor, dass man mit deutlich höheren Budgets auch gute und weltweit seit kompetitive Forschung betreiben kann. Und wir können das hier in Regensburg und wir können das insbesondere in Deutschland auch, die Kollegen in Deutschland auch.

    Kaess: Sie sagen, man fokussiert sich auf andere Bereiche. Da wäre zum Beispiel die Behandlung der Krankheit, die bekommt man ja mittlerweile einigermaßen in den Griff. Brauchen wir denn überhaupt noch einen Impfstoff?

    Wagner: Das ist ein tatsächlich sehr guter Punkt. Die Behandlung der HIV-Infektion hat riesengroße Fortschritte gemacht in den vergangenen 15 bis 20 Jahren, tolle Beispiel, wie man Designermedikamente entwickelt hat. Hier ist auch ein Weg die Medikamente in gut strukturierten, auch logistisch sauber aufgesetzten Programmen die Medikamente in Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Das ist ein unbedingtes Muss. Nichtsdestoweniger, die Prävention ist immer besser, als die Behandlung. Denn auch die Medikamente haben, gerade bei einer Langzeiteinnahme, ganz erhebliche Nebenwirkungen und die Medikamente alleine werden das HIV-Problem in den Entwicklungsländern nicht lösen können.

    Kaess: Kann man auf der anderen Seite sagen, dass diese Behandlung das Virus resistenter gemacht hat?

    Wagner: Die Behandlung hat das Virus resistenter gemacht bei uns und sicherlich auch, wäre dies der Fall, möglicherweise in vermehrtem Umfang in den Entwicklungsländern. Nichtsdestoweniger, die Therapie hier für uns in den westlichen Ländern ist ein Segen und es ist auch ein Segen für die Entwicklungsländer. Noch mal würde ich unterstreichen an dieser Stelle, den Infizierten in den Entwicklungsländern Zugang zu einer Therapie zu verschaffen, ist ein unbedingtes Muss.

    Kaess: Gibt es mittlerweile Menschen, die gegen das HI-Virus resistent sind?

    Wagner: Das gibt es. Es sind gar nicht so aktuelle Arbeiten, das weiß man schon länger. Es gibt Menschen, gerade in dem kaukasischen Bevölkerungskreis, also hier auch in Deutschland, in Europa, in Amerika, es gibt Menschen, die entweder resistent sind gegen die HIV-Infektion, das ist eine genetische Prädisposition, das hat man quasi. Und es gibt auch Menschen, die in der Lage sind, das Virus immunologisch eben über einen sehr langen Zeitraum auf einem ganz niedrigen Niveau zu kontrollieren, eben so, dass das Immunsystem mit dem Virus umgeht, wie wir vielleicht auch mit Herpesviren umgehen können.

    Kaess: Herr Wagner, zuletzt noch: Bei Polio oder Keuchhusten hat es fast 40 Jahre gedauert, bis man einen Impfstoff gefunden hat. Sind wir bei AIDS zu ungeduldig?

    Wagner: Ja, definitiv. Wir haben Failures hinnehmen müssen, Fehlschläge hinnehmen müssen bei der Wirksamkeitstestung der ersten HIV-Impfstoffkandidaten. Dieses ist überhaupt nichts Außergewöhnliches, das passiert im Prinzip bei jeder Form der Medikamenten- und Impfstoffentwicklung, bei HIV besonders dramatisch, weil man sich natürlich einen sehr schnellen Zugang zu einem Impfstoff wünschen würde. Aber wie gesagt, so ein Fehlschlag ist in anderen Bereichen überhaupt nicht ungewöhnlich, und wir brauchen hier einen langen Atem, und wir brauchen Geduld, wie wir es in der Vergangenheit auch bei der Entwicklung anderer Impfstoffe brauchten.

    Kaess: Ralf Wagner vom Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Regensburg. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wagner.

    Wagner: Bitte sehr.