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Wagner in Salzburg

Der Regisseur Stefan Herheim wurde für seinen Bayreuther "Parsifal" gefeiert. In Salzburg zeigt er nun Wagners "Meistersinger von Nürnberg" als Biedermeiermärchen. Ebenfalls zu sehen ist Walter Braunfels "Jeanne d'Arc" mit Juliane Banse in der Hauptrolle.

Von Frieder Reininghaus | 03.08.2013
    In den Salzburger Festspielhäusern breiteten Anfang August zwei großformatige Werke ihre Engelsflügel aus. Zunächst eine Bekenntniskomposition aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs: "Jeanne d'Arc" von Walter Braunfels. Das aufwendig instrumentierte und mit großen Chören bestückte Werk, vor einem Dutzend Jahren unter Leitung von Manfred Honeck in Stockholm erstmals gespielt, wurde szenisch dann mit einem Regieansatz des schwer kranken Christoph Schlingensief an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt.

    Für Salzburg hätte sich eine szenische Realisation angeboten – aus mindestens ebenso plausiblen Gründen wie für Harrison Bitwistles "Gawain". Immerhin beanspruchte das vom Komponisten selbst angefertigte Libretto zu den "Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna", dass es "nach den Prozessakten von 1431" zustande gekommen sei (was freilich nur sehr teilweise der Fall ist).

    Überwiegend geht es um den Nachvollzug und die Reaktivierung von Wunderglauben wie um Verklärung und Auratisierung der Jeanne d'Arc über die von Benedikt XV. 1920 vorgenommene Heiligsprechung hinaus.

    Juliane Banse verkörperte die jungfräuliche Johanna mit stiller Leidensmine und schönem, aber in den dramatischen Höhen nicht durchschlagkräftigen Gesang – also eher die gläubig Erweckte als die militärisch erfolgreiche Vorreiterin.

    Befüllt wurde die Felsenreitschule nun also mit einem doppeltem Nachhall: dem des 100-jährigen Kriegs und dem einer in den 1940er-Jahren in nostalgischer Wehmut an bessere politische und künstlerische Zeiten entstandene Musik, die der Musikhistoriker Alfred Einstein als "zeitlos unzeitgemäß" charakterisierte.

    Der Dirigent Honeck mag gespürt haben, welche Mühen diese Musik aus dem Abseits in sich birgt: Die intendierte Sogkraft zugunsten mitfühlender Anteilnahme für das von oben bestimmte Schicksal der jungen Frau aus Domrémy muss sich ebenso abgerungen werden wie die Befeuerung des Wunderglaubens. Weil das Wiener ORF-Orchester wohl in seinen Ohren nicht richtig in die Gänge kam, stampfte er zum Schluss des ersten Teils so kräftig auf sein Podest, dass man glaubte, den Hammer Gustav Mahlers fallen zu hören.

    Im Großen Festspielhaus wartete die von Heike Scheele möblierte uns großzügig in die Breite gezogene Biedermeierwohnung auf den Auftrieb der "Meistersinger". Einem mit Orgelpfeifchen verzierten Schreibsekretär stehen Ikea-Bücherregale gegenüber und ein Puppen-Wagnertheater ganz rechts. Es rumpelt. Der Regisseur Stefan Herheim lässt Michael Volle, den Interpreten der Partie des Meisterschusters und Mustersängers Hans Sachs im Nachthemd auf die Bühne stürmen. Er greift hektisch zur Feder. Wie in bestimmten Schüben des Wahns hält er die Einfälle auf dem Papier fest – und Daniele Gatti bringt die Kapelle zum Einsatz: Leicht moussierend machen sich die Wiener Philharmoniker an die Arbeit. Ein kräftiger Schuss Italianità sorgt dafür, dass in der Ouvertüre Nebenstimmen hinausposaunen und ohnedies mehrfach der Eindruck entsteht, da würden die in bewährter mattseidener Eleganz aufspielenden Streicher von einer Banda aus den eigenen Reihen überrascht.

    Sachs zieht zum Ende des Orchester-Vorspiels einen Vorhang vor, auf den die Wohnung projiziert wird und so wie ein Bild von Spitzweg anmutet. Durch Martin Kerns Video-Kunst zoomt die Ansicht auf die Schreibkommode – und die zeigt sich in gewaltiger Vergrößerung als Orgelempore. Das ist ein rechter Coup de théâtre. Auch des Weiteren werden alle Spielorte und Illustrationen aus Bildmotiven der Biedermeierwohnung abgeleitet – durch Vergrößerung und Verkleinerung ergibt sich ein streckenweise unterhaltsamer, dann auch wieder besinnlicher Abend, der den Blick ganz dezidiert von der kontaminierten Rezeptionsgeschichte des Werks abwendet – in die "Gegenrichtung" gleichsam. Es ist, als hätte die Wagner als Vorlage dienende Oper "Hans Sachs" von Lortzing in Szene gesetzt werden sollen.

    Anna Gabler und Monika Bohinec als blondes Evchen und brünette Jungfer Lene winken in die 25. Parkettreihe denn auch eher wie Lortzing-Stimmen herüber, schlagen dort jedenfalls nicht als Wagner-Heroinen zu. Aus dem Männermenschenpark ragen hervor: der wunderbar souveräne Michael Volle als Sachs, der am Ende sosehr ein armer Irrer ist wie am Anfang; Peter Sonn als sein Lehrbub David und Markus Werba als Gegenspieler Beckmesser.

    Über das Für und Wider dieser sommerfrischen, allerdings überlangen Produktion ließe sich in gebührender Länge noch lange reden – Genießern ohne höhere oder tiefere Erwartungen an Musiktheater kann der Besuch unbedenklich empfohlen werden. Der Blick aufs Parkett verrät, dass es noch Karten gibt.