Donnerstag, 25. April 2024

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Wahl der EU-Kommission
"Die Kommission hat ein starkes demokratisches Mandat"

Nach der strengen Prüfung der Kandidaten durch das EU-Parlament könne sich die neue Kommission mit einem starken demokratischen Mandat an die Arbeit machen, sagte Manfred Weber, EVP-Fraktionschef im Europaparlament, im Dlf. Ursula von der Leyen als erste Frau an Kommissionsspitze sei zudem ein wichtiges Symbol.

Manfred Weber im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.11.2019
Manfred Weber (CSU), stellvertretender Parteivorsitzender der CSU, spricht beim Deutschlandtag der Jungen Union
Manfred Weber ist seit 2014 Vorsitzender der EVP-Fraktion (picture alliance / Harald Tittel)
Tobias Armbrüster: Monatelang haben sie in Brüssel und Straßburg gerungen und verhandelt bei der Zusammensetzung der neuen EU-Kommission. Das alles geht heute zu Ende. Am Vormittag kommt das Europaparlament zusammen, um über diese neue Kommission abzustimmen.
Mit dabei im EU-Parlament ist heute natürlich auch Manfred Weber von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) – der Mann, der sich selbst große Hoffnungen auf den Chefposten gemacht hatte. Aber dann haben die Staats- und Regierungschefs sich eben doch für Ursula von der Leyen entschieden. Schönen guten Morgen, Herr Weber!
Manfred Weber: Hallo! – Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Das Foto zeigt Ursula von der Leyen.
Die neue EU-Kommission - Von der Leyens Team für Europa
Die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen steht: 15 Männer und elf Frauen sollen ab dem 1. Dezember die Spitzenposten in Europa übernehmen.
Armbrüster: Herr Weber, wie glücklich sind Sie mit dieser Kommission?
Weber: Ich glaube, dass es ein guter Schritt ist, ein gutes Signal ist für Europa. Das Wichtigste vielleicht vorneweg, dass es uns gelungen ist, dass es Ursula von der Leyen gelungen ist, ein Wahlversprechen umzusetzen, nämlich eine Gleichberechtigung von Mann und Frau besser hinzukriegen. Wir haben einen deutlichen Schritt hin zur Gender Balance, zur Gleichberechtigung der Geschlechter gemacht. Und zum ersten Mal in der Geschichte Europas steht auch eine Frau an der Spitze. Insofern: Es ist da ein guter Schritt gelungen, und das ist ein wichtiges Symbol auch für die Modernität dieser neuen Kommission.
Armbrüster: Was hätten Sie denn anderes gemacht?
Weber: Ich habe die letzten Wochen in enger Abstimmung mit Ursula von der Leyen die Schritte besprochen. Wir sind beide in der gleichen Partei, in der Europäischen Volkspartei. Wir führen Europa. Wir haben auch einen Wählerauftrag, weil die Europawahlen ja mit über 40 Millionen Stimmen für die Europäische Volkspartei uns zur mit Abstand größten Fraktion gemacht haben. Deswegen unterstütze ich Ursula von der Leyen. Wir wollen jetzt miteinander anpacken.
Von der Leyens Schwerpunkte sind gut und richtig gesetzt
Armbrüster: Ich wollte wissen, was hätten Sie anders gemacht, wenn Sie es geworden wären?
Weber: Sie hören aber raus, dass wir uns eng abstimmen. Deswegen diskutieren wir die Themen, die anstehen, und wollen sie miteinander entscheiden. Insofern gibt es wenig Themen, wo ich jetzt Kritik anbringen würde. Ich will jetzt miteinander starten. Am 1. Dezember soll es losgehen. Man muss ja sehen: Im Mai war die Wahl. Wir haben jetzt viele Wochen und Hearings und Anhörungen hinter uns gebracht. Jetzt muss man durchstarten, jetzt muss es losgehen.
Armbrüster: Was erwarten Sie denn als erstes von dieser neuen Kommission?
Weber: Zunächst mal geht diese Kommission, wenn die Abstimmung heute Mittag gutgeht, wovon ich ausgehe, mit einem starken demokratischen Mandat an die Arbeit. Die letzten Wochen waren ja Prime Time fürs Europäische Parlament. Wir haben die Kommissare geprüft. Alle wurden auf Herz und Nieren wirklich geprüft, ob sie fähig sind, den Job zu machen. Und wie Sie im Vorbericht hörten, haben wir auch Kandidaten abgelehnt, weil sie beispielsweise nicht klären konnten, wo sie bestimmte Gelder herhatten. Da standen Korruptionsfragen im Mittelpunkt. Oder die französische Kandidatin ist als Verteidigungsministerin zurückgetreten wegen Ermittlungen, aber gleichzeitig wollte sie EU-Kommissarin werden, und das konnte nicht erklärt werden, wie das zusammengeht. Insofern haben wir unseren Job gemacht.
Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 10.09.2019 in Brüssel bei der Vorstellung ihrer neuen EU-Kommisssare.
EU-Parlament soll von der Leyens Team bestätigen
Exakt 134 Tage nach der Wahl von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin steht heute die Abstimmung des EU-Parlaments über ihr Personal auf der Tagesordnung. Die erste Frau an der Kommissionsspitze hat für ihre Amtszeit drei Kernaufgaben ausgemacht.
Die jetzt anstehende Kommission, die Kandidaten, die jetzt ins Amt kommen wollen, haben deswegen, wegen dieser Anhörungen auch ein starkes demokratisches Mandat. Und dann geht es jetzt ran an die Themen. Wenn Sie sich die Arbeitsstruktur der Kommission anschauen, die Ursula von der Leyen vorschlägt, dann wird schon durch die Arbeitsstruktur mit den drei speziellen aufgewerteten Vizepräsidenten deutlich, wo die Schwerpunkte liegen, nämlich im Klimaschutz, im Green Deal, in der Fragestellung der Digitalisierung, das Mega-Thema unserer Zeit, dass wir unsere Gesellschaften darauf vorbereiten müssen und die Rahmen setzen müssen, und das dritte, das klassische Thema Wirtschaft, Jobs, Stabilität des Euros. Das sind die drei Schwerpunkte und die sind gut und richtig gesetzt.
Das Parlament hat seinen Job selbstbewusst erledigt
Armbrüster: Herr Weber, Sie haben es jetzt schon selber gesagt. Das Europaparlament hat in den letzten Wochen und Monaten insgesamt drei Kandidaten abgelehnt. Ist das nicht eigentlich ein ziemlich armer Start für so eine Kommission?
Weber: Das müssen Sie die jeweiligen Mitgliedsstaaten fragen, weil die Vorschläge kommen ja von den Mitgliedsstaaten. Ich finde es zunächst mal stark, dass wir als Parlament unseren Job selbstbewusst erledigt haben. Wir als EVP haben immer dafür geworben, jedem Kandidaten eine Chance zu geben, dass er uns überzeugt, aber auch kritisch draufzuschauen.
Armbrüster: Herr Weber, entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Haben Sie sich nicht manchmal gefragt, warum werden uns solche Kandidaten überhaupt präsentiert, die solche Vergangenheiten haben und bei denen solche Dinge in den Akten stehen?
Weber: Ja, das fragt man sich schon manchmal. Beispielsweise in Rumänien hatten wir eine sozialistische Regierung, die uns da einen Kandidaten vorgeschlagen hat, der wie gesagt hunderttausende von Euro wahlkampfmäßig verwandt hat, wo nicht klar war, woher die Gelder waren. Das sind Fragen, wo man sich schon einmal den Kopf schüttelt und überlegt, wie kann das sein, so offensichtlich. Und es war ja dann eine breite Stimmung im Parlament, nicht nur eine Fraktion, die das kritisiert hat, sondern viele Kollegen haben das kritisiert.
Auch beim französischen Vorschlag, bei Emmanuel Macrons Vorschlag war die Frage im Raum, wenn jemand als Minister im nationalen Parlament zurücktritt, weil Ermittlungen gegen ihn stattfinden, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen stattfinden, aber er gleichzeitig sagt, er kann Kommissar werden in Europa, dann fragt man sich als Abgeordneter schon, wie will man das begründen. Das ist eine Frage, die die Bürger uns draußen stellen.
Ich verweise ausdrücklich darauf, dass es ein starkes Recht des Europäischen Parlaments ist – dieses Parlaments, das die Menschen so stark gewählt haben Ende Mai bei den Europawahlen, mit der hohen Wahlbeteiligung auch bei uns in Deutschland -, dass wir unseren Job gemacht haben, dass wir die abgelehnt haben, die nicht die Legitimität dafür haben.
EU-Parlament soll indirektes Initiativrecht bekommen
Armbrüster: Herr Weber, wird das EU-Parlament von den Politikern in den europäischen Mitgliedsländern so ernst genommen, wie es genommen werden möchte?
Weber: Ich glaube schon, ja. Wenn Sie sagen, Respekt und ernst nehmen, weiß heute jeder, dass das Europäische Parlament in allen Gesetzgebungsthemen gleichberechtigter Gesetzgeber ist. Es wird kein Gesetz in Europa beschlossen ohne Mehrheit der Abgeordneten. Und auch in Budget-Fragen - wir werden heute auch über das EU-Budget für 2020 abstimmen – hat das Parlament volle Kompetenzen wie jedes nationale Parlament. Das einzige was uns fehlt, um ein wirklich vollwertiges Parlament zu werden – und Europa ist ja immer am Wachsen, muss ja immer neue Schritte gehen -, ist das sogenannte Initiativrecht. Das heißt, eigenständig Gesetze auf den Weg zu bringen.
Da hat Ursula von der Leyen jetzt Zusagen gemacht, nämlich das indirekte Initiativrecht. Wenn das Parlament zukünftig Gesetze vorlegt und Initiativen startet, dann wird Ursula von der Leyen diese Gesetze auch einbringen, offiziell vorschlagen, das Initiativrecht der Kommission dafür nutzen. Wir bekommen ein indirektes Initiativrecht und werden damit zum vollberechtigten Parlament, Schritt für Schritt. Aber ich würde schon heute sagen, dass der Respekt da ist, dass jeder weiß, dass in Straßburg wesentliche Fragen unserer Zeit entschieden werden.
Brauchen feste Vereinbarung für die Wahl des Kommissionspräsidenten
Armbrüster: Herr Weber, ich habe das mit dem Respekt vor allen Dingen deshalb gefragt, weil Sie eben diese Kandidaten präsentiert bekommen haben, die ja manche als Zeichen von mangelndem Respekt sehen könnten. Aber wir erinnern uns natürlich auch an Ihre Geschichte. Sie wurden damals übergangen. Sie waren eigentlich der vom Parlament bestimmte Mann für diese Rolle des Kommissionspräsidenten und dann wurde Ihnen Ursula von der Leyen von den Staats- und Regierungschefs vor die Nase gesetzt. Was erwarten Sie von den Staats- und Regierungschefs jetzt, um diesen Schaden wiedergutzumachen?
Weber: Zunächst muss man rückblickend festhalten, dass es leider Gottes auch das Parlament selbst war, das sich ein Bein gestellt hat. Ich formuliere es mal so: Vor fünf Jahren hatte Jean-Claude Juncker nach der Europawahl einen Martin Schulz an seiner Seite. Der Gewinner war Juncker und Martin Schulz war mit 30 Mandaten Abstand Vertreter der zweitgrößten Fraktion. Martin Schulz hat sich dann 2014 hingestellt und sagte, okay, ich bin Nummer zwei, ich unterstütze Juncker und er wird Kommissionspräsident. Das Parlament war sich einig und konnte damit Juncker durchsetzen.
Im Juni/Juli diesen Jahres war es leider so, dass die Sozialdemokraten und auch große Teile der Liberalen nicht bereit waren, dem Wahlgewinner die Unterstützung auszusprechen. Das heißt, das Parlament hat sich selbst auch blockiert, und das hat die Tür geöffnet für Macron und Orbán, dann die gesamte Idee der Demokratisierung Europas zu beschädigen und zurückzudrehen. Das war der Hintergrund und ich glaube übrigens, dass das keine reine europäische Entwicklung sein wird. Auch in Deutschland erleben wir, dass die Sozialdemokraten sich heute schon verweigern jeder möglichen weiteren Zusammenarbeit mit der CDU/CSU in Deutschland. Wir erleben, dass Parteien eher darüber nachdenken, wie sie selbst überleben, wie sie selbst stärker werden, als dass sie überlegen, was in einer Demokratie die Prinzipien sind, nämlich dass die stärkste Fraktion den Regierungschef stellen darf. Die Entwicklung ist eine, die einen nachdenklich stimmen muss, die wir dort erleben.
Ich glaube, dass großer Schaden entstanden ist an der Demokratie, aber ich glaube auch, dass in Europa Niederlagen erst dann Niederlagen sind, wenn man nicht mehr aufsteht. Ich und meine Fraktion, wir wollen aufstehen. Wir wollen weiter kämpfen für das demokratische Europa. Und das bedeutet konkret: Bis 2024, bis zur nächsten Europawahl, brauchen wir einen verbindlichen Mechanismus zwischen Rat, den Staats- und Regierungschefs, und dem Europäischen Parlament, dass klargestellt wird, dass das Wahlergebnis entscheidet über die Zukunft der Kommissionsspitze. Wir brauchen dafür eine feste Vereinbarung.
"Es gilt, die Wahlversprechen abzuarbeiten"
Armbrüster: Und, Herr Weber, verraten Sie uns noch: Wie lange braucht Europa zum Regieren noch die stolze Anzahl von 26 Kommissaren?
Weber: Der Lissabon-Vertrag ermöglicht das heute schon, dass wir die Anzahl der Kommissare verringern. Das wäre heute schon möglich. Die Staaten sind aber dazu nicht bereit. Wir bräuchten dazu einen Beschluss der Mitgliedsstaaten. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass wir die Kommission effizienter gestalten, dass wir die Regelungen nutzen und uns auf weniger Kommissare konzentrieren, was in der Konsequenz aber auch bedeuten könnte, dass dann auch Deutschland, auch mal Frankreich, auch die größeren Staaten mal auf einen Kommissar verzichten müssten. Das muss man schon auch dazu sagen. Es kann nicht nur bei den kleinen diese Verantwortung abgeladen werden, auch mal auf einen Kommissar zu verzichten, und das ist genau das Spannungsproblem, der Spannungsbogen, den wir dabei spüren.
Jetzt geht es darum, heute der Kommission ein starkes Votum zu geben, ihr Unterstützung zu geben, und dann gilt es, die Wahlversprechen abzuarbeiten. Die Menschen in Europa haben uns ja im Wahlkampf klare Botschaften mit auf den Weg gegeben. Sie haben die Schwerpunkte neu verteilt. Beispielsweise die Idee, dass wir jetzt mit dem Klimapaket starten, dass wir deutlich machen, Europa ist bereits ambitioniert, aber wir müssen noch Gas geben im Klimakampf für ein gutes Klima, das ist eine der Lektionen, die wir im Wahlkampf mitgenommen haben. Das heißt, wir machen schon klar, dass die Bürger die Richtung vorgeben.
"Die Menschen wollen ein demokratisches Europa"
Armbrüster: Herr Weber, das klingt jetzt alles sehr selbstbewusst. Deshalb ganz zum Schluss noch diese Frage mit Bitte um eine kurze Antwort: Haben Sie wirklich den Eindruck, dass die Bürger in der EU dem EU-Parlament mehr Rechte geben wollen?
Weber: Absolut! 200 Millionen Menschen sind zur Wahl gegangen. Wir haben ein Wahlbeteiligungsplus von acht Prozent gehabt bei der Europawahl. Ein Drittel mehr, als wenn in Amerika ein Präsident gewählt wird, ist in Europa im Mai zur Wahl gegangen. Die Menschen wollen ein demokratisches Europa. Sie wollen entscheiden, wie es weitergeht, und sie wollen vor allem Europa, weil die rechten und linken extremen Kräfte im Parlament nicht gestärkt worden sind. Für mich ist es ein starkes Zeichen, das wir im Mai erlebt haben, und wir wollen es jetzt in Realität umsetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.