Heinlein : Herr Stein, trotz des Terrors der vergangenen Nacht, hat Mahmud Abbas Ihr Vertrauen?
Stein: Ich glaube, dass wir seine Nominierung als einen positiven Schritt in die richtige Richtung bewerten können. Letzten Endes kommt es glaube ich aber nicht nur auf die Worte an, sondern auf die große Herausforderung, die vor ihm steht. Das ist eigentlich die Auseinandersetzung mit den Terrororganisationen, die für mich unvermeidbar ist, die ja mit seiner prinzipiellen Entscheidung, dem Terror Einhalt zu gebieten, nicht einverstanden sind.
Heinlein : Was wird denn die Regierung Scharon unternehmen, um Mahmud Abbas zu helfen, diese Herausforderung zu bewältigen?
Stein: Das ist ja die zweite Frage, die Sie stellen können. Die erste und die allerwichtigste Frage ist: Was wird Abu Masen unternehmen, um seine Absicht zu bekräftigen, dem Terror Einhalt zu gebieten. Das ist die große Frage und ich hoffe, wir alle hoffen, dass nach seinen klaren Worten wir auch Taten sehen. Sollte es dazu kommen, wird er uns auch bereit finden, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Heinlein : Was sind diese erforderlichen Maßnahmen von israelischer Seite aus gesehen?
Stein: Ich glaube zunächst werden wir abwarten, bis wir sehen, dass er entschlossen ist, den Terrororganisationen Einhalt zu gebieten, die ja heute schon klar und unmissverständlich gesagt haben, dass sie mit seinem Kurs nicht einverstanden sind. Deshalb werden wir zunächst Maßnahmen überlegen, die ja nicht unbedingt etwas mit dem Bereich der Sicherheit zu tun haben. Das scheinen mir heute aber nach dem gestrigen Anschlag zunächst theoretische Fragen. Die Bereitschaft Israels den Palästinensern entgegenzukommen hat der Ministerpräsident und alle anderen schon gestern und vorgestern zum Ausdruck gebracht, aber auf die Sicherheit kommt es letzten Endes an.
Heinlein : Dennoch ganz praktisch gefragt, Herr Botschafter: Werden der symbolischen Räumung einzelner Siedlungsvorposten weitere Schritte folgen?
Stein: Die Entscheidungen, die in dieser Frage getroffen werden müssen, werden auch getroffen. Darauf hat auch die Regierung hingewiesen. Ich komme aber immer wieder darauf zurück: Für uns Israelis ist wichtig zu sehen, was der Unterschied zwischen Arafat und Abu Masen ist. Auch von Arafat haben wir im Laufe der Geschichte mehrere Erklärungen und Absichten gehört. Es kommt letzten Endes auf eine strategische Entscheidung an, ob die Palästinenser bereit sind, ob Abu Masen bereit ist, gegen die Terrororganisationen vorzugehen und ihnen den Kampf anzusagen, die nicht bereit sind, auf eine politische Lösung einzugehen, oder ob er nur versuchen wird, einen Waffenstillstand mit diesen Organisationen herbeizuführen. Das werden wir entschieden ablehnen. Wir sind eben nicht bereit, dass es zu einem Waffenstillstand kommt. Wir sind bereit, mit ihm zu verhandeln, wenn er uns beweist, dass es ihm ernst ist, das zu tun, wofür er sich gestern verpflichtet hat.
Heinlein : Wenn er das tut, wird sich denn die israelische Armee aus den seit dem Sommer besetzten palästinensischen Städten im Westjordanland zurückziehen? Das ist ja eine Kernforderung, die Mahmud Abbas bei seiner Antrittsrede aufgestellt hat.
Stein: Ich glaube das ist in der Tat auch eine Kernforderung. Da muss man sich einfach nur die Frage stellen: Was machen wir eigentlich dort? Ich glaube wir sind dort, weil bis heute niemand bereit war, die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen. In diesem Fall waren wir ja nicht bereit, diese Verantwortung den Terrororganisationen zu überlassen. Sobald aber dieser Entschlossenheit, von der Abu Masen gestern gesprochen hat, auch Taten folgen werden, haben wir glaube ich im Prinzip gar nichts dort zu suchen.
Heinlein : Wird es denn auch Taten von israelischer Seite geben, quasi als Hilfe für Mahmud Abbas, dieses große Ziel, ein Ende des Terrors, zu erreichen?
Stein: Dazu hat Ministerpräsident Scharon auch erklärt, dass er bereit ist, mit Abu Masen zu sprechen. Ich gehe davon aus, dass in diesem Gespräch Ministerpräsident Scharon Abu Masen klar und unmissverständlich etwas zu diesem Thema, aber auch zu anderen Themen sagen wird. An der Bereitschaft Israels, weitere Gespräche zu führen, soll man eigentlich nicht zweifeln.
Heinlein : Wird denn der Hausarrest für Jassir Arafat aufrecht erhalten, denn ein Ende dieses Hausarrestes wäre ja eine symbolische Geste und das wäre doch ganz einfach zu machen?
Stein: Gar nichts, was mit Arafat zu tun hat, wird für uns eine symbolische Geste sein. Das ist eigentlich die große Herausforderung, Arafat gleichzeitig zu unterstützen, ihm Sympathie zu bekunden, geht ja eben nicht mit der Entschlossenheit und dem Willen, Abu Masen zu helfen, einher. Für mich ist Arafat zu helfen und gleichzeitig Abu Masen ein totaler Gegensatz. Deshalb müssen diejenigen, die heute so für Abu Masen eintreten, alles tun, um Arafat zu schwächen.
Heinlein : Welchen politischen Nutzen hat denn Israel von dieser Isolierung Arafats, denn er spielt ja ohnehin jetzt nur noch eine symbolische Rolle?
Stein: Symbolische Rolle hin oder her, wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass Arafat durchaus - leider sage ich - in der Lage war, das Leben von Abu Masen zu erschweren. Er war ja mit seiner Nominierung nicht allzu sehr zufrieden. Deshalb sage ich: Keine symbolische Geste in Richtung Arafat würde Abu Masen helfen. Deshalb kommt es darauf an, Abu Masen alle Hilfe zu geben, damit er mit seiner großen Herausforderung, mit seiner großen Aufgabe fertig wird, gegen die Terrororganisationen voranzugehen.
Heinlein : Frage zum Schluss, Herr Stein. Noch in dieser Woche soll der Friedensplan des Nahostquartettes jetzt endlich vorgelegt werden. Wird Israel die darin vorgeschlagene Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren?
Stein: Ministerpräsident Scharon - und das ist auch nicht neu - hat sich voll hinter die Vision des amerikanischen Präsidenten vom Juni letzten Jahres gestellt. Diese Vision sieht die Gründung eines palästinensischen Staates vor, der friedlich neben Israel existieren soll. Insofern glaube ich, an der Absicht haben wir keinen Zweifel gelassen. Es kommt jetzt eben nicht auf die Absicht an, die am Ende des Tages als Folge der Verhandlungen geschehen soll, sondern wie kommen wir dorthin, denn wir werden ja nicht dulden, dass theoretisch ein Palästinenserstaat, der neben uns steht, ein Staat sein kann, wo Terror legitim sein wird. Insofern glaube ich, die Absicht und das Ziel bleiben. Dafür hat sich der Ministerpräsident auch ausgesprochen. Die Frage ist aber: Wie kommen wir dorthin. Das ist heute die große Aufgabe. Wenn man den Terror bekämpfen wird, dann öffnet man den Weg für die Wiederaufnahme der politischen Gespräche und das wollen wir eigentlich hoffen.
Heinlein : Shimon Stein war das, der israelische Botschafter in Berlin. - Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
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