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Wahl zur Kommissionschefin
Widerstand gegen Nominierung von der Leyens

Nach zähen Verhandlungen hat sich der EU-Rat auf das künftige europäische Spitzenpersonal geeinigt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurde als Kommissionspräsidentin vorgeschlagen. Das EU-Parlament muss der Entscheidung Mitte Juli noch zustimmen - doch dort formiert sich Widerstand.

Von Paul Vorreiter | 03.07.2019
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen könnte neue EU-Kommissionschefin werden (dpa-Bildfunk / Christian Charisius)
Die Mitgliedsstaaten geben kein gutes Bild ab, wenn sie stundenlang ohne Ergebnis verhandeln - das hatte Kanzlerin Merkel am Montag noch zugegeben. Gestern, nachdem das Personalpaket stand, sah EU-Ratspräsident Donald Tusk das Image des Rates wieder restauriert:
"Vor fünf Jahren brauchten wir drei Monate, um zu einer Entscheidung zu kommen und es waren immer noch einige dagegen. Diesmal waren es drei Tage und niemand stimmte dagegen, auch wenn sich Deutschland aufgrund von Schwierigkeiten in der eigenen Koalition bei der Nominierung der EU-Kommissionspräsidentin enthalten hatte."
SPD will von der Leyen nicht mittragen
Verteidigungsministerin von der Leyen - wenn vom EU-Parlament bestätigt - wäre die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission, zum ersten Mal seit 1958 fiele das wichtigste EU-Amt wieder an Deutschland. Die deutsche SPD will die CDU-Politikerin aber nicht mittragen, deswegen die Enthaltung. Ein Ja im Rat dagegen von den Visegrad-Staaten, also Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die gemeinsam mit Italien tags zuvor den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans an der Spitze der Kommission verhinderten. Der soll nun weiterhin Vize-Kommissionspräsident bleiben, dieses Amt soll auch die Liberale Margarete Vestager erhalten, die bisherige EU-Wettbewerbskommissarin.
Die Staats- und Regierungschefs empfehlen dem Parlament außerdem, das Amt seines Präsidenten für die ersten zweieinhalb Jahre in sozialdemokratische Hände zu legen, in der zweiten Hälfte an die christdemokratische EVP zu übergeben. Das wäre die Zeit für Manfred Weber, den Spitzenkandidaten. Zum Personalpaket gehört auch der liberale, belgische Premier Charles Michel als EU-Ratspräsident, der spanische, sozialistische Außenminister Josep Borrell als EU-Außenbeauftragter, die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, künftig an der Spitze der Europäischen Zentralbank.
Erleichterung in den Stimmen mancher Staats- und Regierungschefs über diesen Kompromiss.
"Ich bin auch sehr froh, zwei Frauen, zwei Männer, Gender Balance, hatten wir glaube ich noch nie", sagte Luxemburgs Premier, Xavier Bettel.
"Die Kriterien der Kompetenz, Erfahrung, Geschlechter-Parität und eines geografischen und politischen Gleichgewichts sind vom Rat berücksichtigt worden. Und ich freue mich über eine neue Mannschaft, die auch klar französischsprachig ist."
Viele EU-Parlamentarier unzufrieden mit Personalpaket
Eine Anspielung von Frankreichs Präsident Macron auf von der Leyens Französisch-Kenntnisse; die CDU-Politikerin ist in Brüssel geboren. Doch die Staats- und Regierungschefs haben nicht alle Aspekte gleichermaßen berücksichtigt, das Personalpaket bringt vor allem das EU-Parlament in eine schwierige Lage. Eine Mehrheit der Fraktionen hatte sich dafür ausgesprochen, nur einen der Spitzenkandidaten als Kommissionspräsidenten zu akzeptieren, also zum Beispiel Weber oder Timmermans.
Entsprechend die Reaktionen. Die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Iratxe Garcia, bezeichnete die Entscheidung als zutiefst enttäuschend. Ihre Fraktion habe das Prinzip verteidigt, wonach nur ein Spitzenkandidat der Parteien bei der Europawahl Kommissionschef werden soll. Die Europa-SPD werde diesem Vorschlag auf keinen Fall zustimmen, kündigte ihr Vorsitzender Jens Geier an. Ob genügend Sozialdemokraten das Personalpaket platzen lassen, ist aber fraglich.
Gar nicht Teil davon sind die Grünen, die in vielen westeuropäischen Ländern bei der Europawahl zugelegt haben. Fraktionschefin Ska Keller sprach von einer "grotesken Hinterzimmer-Lösung". Und eine Frage stellt sich auch noch: Hat das Spitzenkandidatensystem in Zukunft noch Bestand? Kanzlerin Merkel hofft auf Lehren aus der Vergangenheit:
"Ich glaube, es hat auch nicht zum Ergebnis in Richtung der Spitzenkandidaten beigetragen, dass zum Teil von Anfang an ein Spitzenkandidat, und das war Manfred Weber, als nicht geeignet und nicht wählbar dargestellt wurde. Das darf auch nie wieder passieren, denn es gebührt dem Respekt für diejenigen, die Wochen und Monate durch Europa gefahren sind, sich dem Wahlkampf gestellt haben."
Manfred Weber gibt auf
Manfred Weber, von der CSU, zog gestern noch Konsequenzen und stellte fest:
"Das Paket auf dem Tisch ist nicht mein Paket, sondern das vom Rat, aber ich bin loyal dazu, denn ich bin Parteipolitiker, EVP-Politiker und heute habe ich meiner Fraktion gesagt, dass ich mein Amt als Spitzenkandidat abgebe und weiter Fraktionsvorsitzender bleiben will."
Das Parlament soll in der Woche ab dem 15. Juli über von der Leyen als Kommissionspräsidentin abstimmen. Sollte das Europaparlament sie nicht wählen, müsste der Rat der Staats- und Regierungschefs einen neuen Vorschlag machen. Heute wählt das Parlament zunächst seinen Präsidenten. Vier Kandidaten stehen zur Wahl. Unter ihnen Ska Keller für die Grünen und der Italiener David-Maria Sassoli für die sozialdemokratische Fraktion.