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Wahlen in Lettland
Mehr Einfluss für die Russenpartei?

Lettland wählt heute ein neues Parlament. Gut 1,5 Millionen Wahlberechtigte entscheiden in dem baltischen Land über die 100 Sitze der Volksvertretung in Riga. Umfragen sehen die oppositionelle Partei Harmoniezentrum vorn. Die hat vor allem unter der starken russischen Minderheit viele Anhänger.

Carsten Schmiester | 06.10.2018
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    Wahlwerbung in Kurzeme. Das kleine Land ist tief gespalten ist zwischen der lettischen Mehrheit und der großen russischstämmigen Minderheit. (Michael Frantzen)
    (O-Ton: Stimmen in lettischer Sprache)
    Wer das jetzt nicht versteht, sollte sich keine Sorgen machen. Erstens: Es ist Lettisch. Zweitens: Es ist eine Fernsehdebatte zur Wahl, hier streiten sich Politiker der liberal-konservativen Nationalen Allianz und der neuen populistischen Partei "Wem gehört Lettland". Und selbst Letten verstehen wieder einmal nicht wirklich, worum es geht. Denn die Sache ist kompliziert oder chaotisch. Wie man es nimmt.
    "Zwei Letten, drei Parteien", heißt es in dem kleinen Knapp-Zwei-Millionen-Ländchen, das tief gespalten ist zwischen der lettischen Mehrheit und der großen russischstämmigen Minderheit, die immerhin 27 Prozent der Bevölkerung ausmacht: schlecht bis kaum integriert, moskaufreundlich. Ihre Partei, die sich Harmoniezentrum nennt, hat beste Chancen, wieder stärkste Kraft zu werden, und könnte diesmal mit den Populisten sogar an die Macht kommen. Bisher war sie immer von Koalitionen pro-lettischer und pro-europäischer Parteien in die Opposition geschickt worden. Aber selbst der Meinungsforscher Arnis Kaktins wagt keine Prognose:
    "Anders als in vielen westeuropäischen Ländern, wo es etablierte große Parteien mit stabilen politischen Strukturen, eigenen Ideologien und loyalen Wählern gibt, ist es in Lettland problematisch, von einer solchen Parteienlandschaft zu sprechen".
    Partei Harmoniezentrum eine der wenigen Konstanten
    Es geht gerne mal drunter und drüber. Keine Wahl ist mit der anderen wirklich zu vergleichen, denn:
    "Die Parteien wechseln ständig. Alte lösen sich auf und aus ihren Trümmern entstehen wieder neue. Die meisten Wähler sind deshalb völlig desorientiert. Bei jeder Wahl sollen sie über unbekannte Parteien abstimmen. Es sind zwar immer dieselben Gesichter, aber die tauchen in immer neuen politischen Umfeldern auf".
    Eine der wenigen Konstanten ist das Harmoniezentrum, oder besser die Angst davor, sagt Arnis:
    "Im Wahlkampf wird viel davon gesprochen, dass das Harmoniezentrum ein trojanisches Pferd Russlands sei. Wenn die an die Macht kämen, dann sei es vorbei mit der Unabhängigkeit Lettlands."
    Nils Usakovs vom Harmoniezentrum weist den Verdacht natürlich zurück und er beruft sich darauf, dass seine Partei viele Gegner hat, auch im vermeintlich eigenen Lager:
    "Ich finde es gut, dass wir bei diesen Wahlen von zwei Seiten kritisiert werden, von lettischen und russischen Nationalisten. Es kann passieren, dass man innerhalb von fünf Minuten erst von den einen, dann von den anderen angebrüllt wird".
    Viele Letten sind frustriert
    Vielen Letten ist dieses Gebrüll allerdings zuwider. Diese Frau hat dafür einen ganz praktischen Grund: Sie fühlt sich von der Politik vor allem im Stich gelassen:
    "Ich wüsste niemanden, für den ich stimmen könnte. Von der Regierung habe ich auf jeden Fall genug. Ich bin Rentnerin und muss arbeiten. Lassen Sie mich bloß in Ruhe damit".
    Auch diese Lettin ist frustriert, will aber wählen gehen.
    "Ich mache das nur, um gegen das Harmoniezentrum zu stimmen. Damit sie weniger Abgeordnete bekommen, das ist der einzige Grund. Die anderen Parteien sind alle gleich. Dieselben Leute, dieselben Versprechen. Jeder weiß, dass da sowieso nichts draus wird".
    Ob sie diesmal die neuen Populisten wählt? Möglich, sie sagt es allerdings nicht. Doch viele werden es tun und seit es aus Protest. Meinungsforscher Arnis hat da eine düstere Ahnung:
    "Wie immer das Wahlergebnis sein wird, ich glaube, wir werden in Lettland Parallelen zu den Verhältnissen in anderen westeuropäischen Ländern und nicht nur dort erkennen. Die traditionellen Parteien werden immer schwächer und es kommt etwas Neues, Populistisches, Unerwartetes, schwer Einzuschätzendes".