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Wahlen in Ruanda

Probst: Am Telefon ist Andreas Mehler. Er ist Leiter des Instituts für Afrika-Kunde in Hamburg. Guten Tag, Herr Mehler.

    Mehler: Guten Tag.

    Probst: Wir haben es eben gehört: Kagame als haushoher Favorit, kein Zweifel an seiner Wahl. Die Wahl selber - kaum mehr als eine Formsache? Kann man das so kurz und bündig sehen?

    Mehler: Das ist wahrscheinlich wahr. Unter den Voraussetzungen, die RPF selber geschaffen hat, dürfte es keine großen Unglücke geben.

    Probst: Wenn Sie sagen, "die Voraussetzungen, die Kagames Partei selber geschaffen hat", klingt das schon etwas nach Kritik an den herrschenden Zuständen.

    Mehler: Das sind sicher die ersten Mehrparteien-Wahlen im unabhängigen Ruanda. Wir hatten bis 1991 eine Einparteiendiktatur. Dann kam Bürgerkrieg und Genozid. Dann installierte die siegreiche patriotische Front eine Fassade an Demokratie, bestimmte selbst, welche Parteien zugelassen oder verboten werden und herrschte mit Übergangsinstitutionen - und das ganze neun Jahre lang. Das ist ja eine ganze Menge und zeigt, wie unsicher die Regierungspartei ursprünglich war. Jetzt wagt sie es, und zwar aus zwei Gründen: Sie hat alle Trümpfe in der Hand, vor allem die Manipulations- und Repressionsmöglichkeiten des Staates. Und zweitens: Die Unterstützung von außen lässt nach. Jetzt wäre ein Mandat vom Volk ein wichtiges Argument für Kagame, auch in internationalen Belangen.

    Probst: Wenn Sie sagen: "Repressionsmittel an der Hand". Werden sie in der Praxis angewandt? Lässt sich das von außen beurteilen?

    Mehler: O ja. Es ist deutlich, dass die Anhänger von Twagiramungu doch sehr stark unter Druck gesetzt worden sind. Es gibt verschiedene Vorfälle von Einschüchterungen. Einige Parteimitglieder mussten ins Exil fliehen, andere verschwanden sozusagen. Am Samstag wurden noch einmal zwölf Anhänger festgenommen. Die Repression ist sehr nachvollziehbar im Moment vorhanden. Ruanda ist heute ein unfreies Land.

    Probst: Dann muss man also auch Zweifel daran haben, dass die Wahlen fair, frei und demokratisch sind.

    Mehler: Das ist ganz bestimmt so. Es ist natürlich so, wie im Bericht vorhin schon gesagt: Die Regierung genießt einen Bonus auf Grund des Genozids. 1994 hatte die Weltgemeinschaft weggeschaut und trägt Mitverantwortung an den Ausmaßen des Völkermords. Damit hat aber die Regierung auch gespielt und in dem Sinne auch Demokratie vorenthalten. Jetzt scheint sich so langsam auch international durchzusetzen, dass hier nicht ein ganz freies Spiel gespielt wird. Einige Geber sind jetzt bereit - die Niederlande als erste, auch Großbritannien - Wahlhilfe einzustellen, Unterstützung zurückzufahren. Das zeigt das wahre Bild im Moment

    Probst: Kann man denn sagen, dass Kagame - es klang in dem Bericht eben so ein bisschen an - in den zurückliegenden Jahren - er ist ja der starke Mann seit dem Ende des Genozids in dem Lande - eine Politik betrieben hat, die wirklich auf einen Ausgleich zwischen Mehrheit und Minderheit der Volksgruppen hinausgelaufen ist? Er selbst kommt ja von der Minderheit.

    Mehler: Kagame steht vordergründig für nationale Einheit, das heißt die Negierung der Polarisierung zwischen Hutu und Tutsi. Das tut er natürlich auch aus guten Gründen: Wenn nur nach ethnischer Zugehörigkeit gewählt würde, hätte er selbst keine Chance, weil er aus dieser Minderheit kommt. Andererseits ist es ein heikles Thema nach diesem Genozid. Es mag viele Hutu geben, die das nicht wieder erleben wollen, was damals zum Teil in ihrem Namen geschah. Trotzdem ist die Frage in Ruanda, ob die Menschen den Präsidenten wirklich als einen einenden Faktor sehen. Es ist schon so, dass massiv die Minderheitsethnie die Schaltstellen der Macht besetzt. Die Tutsi sind massiv in den Schaltstellen vertreten, überproportional zu ihrem demographischen Gewicht.

    Probst: Abgesehen von einem internationalen Gericht, das sich mit den Verbrechen von damals beschäftigt, wie weit ist denn im Lande selber etwas geschehen, diese Vergangenheit zu bewältigen, aufzuarbeiten?

    Mehler: Es sind einige Einrichtungen, so zum Beispiel eine Versöhnungskommission eingerichtet worden. Auch da hat man aber die Frage, wie sie denn tatsächlich besetzt sind. Es gibt nicht so etwas wie eine neutrale unabhängige Zivilgesellschaft. Nachdem Parteien zum Teil verboten wurden, wie auch die Partei von Twagiramungu, ist es ein bisschen unklar, was denn an Freiräumen wirklich da wäre. Man organisiert also Dialoge, aber auf welcher Grundlage? Das ist vollkommen unklar.

    Probst: Hat sich das Land von der wirtschaftlichen Seite her so weit erholt, dass die Menschen eine tatsächliche Besserung, einen Fortschritt sehen?

    Mehler: Es ist tatsächlich so, dass die Armutsziffern nach unten gegangen sind. Es gab eben eine massive Entwicklungshilfe für Ruanda. Ein bisschen aus einem schlechten Gewissen heraus für das Zuschauen beim Genozid von allen möglichen Seiten. Das hat eine Rolle gespielt. Offensichtlich hat man auch Gewinne aus der Kriegsführung im Nachbarland Kongo hier zum Wirtschaftswachstum in Ruanda mit herangezogen. Dabei ist unklar, wie die Kostenseite aussieht. Man hatte sich ja ein militärisches Abenteuer im Nachbarland Kongo geleistet. Das geht auch mit Kosten einher. Zunächst einmal aber auch Gewinne. Wichtiger von der positiven Seite aus gesehen ist für Kagame: Ruanda ist heute einer der sichersten Staaten des Kontinents. Das ist bestimmt eine Leistung. Vom Charakter dieser Sicherheit her müsste man aber eigentlich eher von Friedhofsruhe sprechen.

    Probst: Zu den heutigen Präsidentschaftswahlen und der Lage in Ruanda war das Andreas Mehler vom Institut für Afrikakunde in Hamburg. Herr Mehler, danke.

    Mehler: Bitte.