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Wahlen zum Europaparlament
"Man muss neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln"

Konservative und Sozialdemokraten haben im Europaparlament jahrzehntelang den politischen Takt vorgegeben. Mit dem Erstarken EU-skeptischer Parteien könnte sich das ändern, sagte der Politikwissenschaftler Josef Janning im Dlf. Diese Entwicklung biete aber auch Chancen.

Josef Janning im Gespräch mit Frederik Rother |
    Ein Frau steht im Regen mit einem blauen EU-Schirm vor dem Gebäudekomplex des EU-Parlaments in Brüssel
    "Neue Formen der Zusammenarbeit" - das Europaparlament in Brüssel (picture alliance/ dpa/ Thierry Monasse)
    Frederik Rother: "Volksbewegungen wie die Lega-Nord und die PiS werden einen neuen europäischen Frühling bewirken. Unsere Ansichten decken sich zu 90 Prozent." Das hat der italienische Innenminister Matteo Salvini gestern gesagt, als er seinen Amtskollegen in Polen besuchte. Dabei ging es auch um ein mögliches Bündnis zur Europawahl zwischen Salvinis Lega-Partei und der rechtskonservativen PiS. Andere rechte Parteien könnten dazukommen. Es sind Verbindungen wie diese, die deutlich machen: Die Europawahlen Ende Mai könnten anders verlaufen als die vorherigen und die Union verändern – zugunsten der EU-Skeptiker und Gegner. Über neue Konstellationen und Machtverhältnisse im Europaparlament kann ich jetzt mit Josef Janning sprechen. Er ist Direktor vom deutschen Zweig des "European Council on Foreign Relations", eine politikwissenschaftliche Denkfabrik in Berlin.
    Guten Morgen Herr Janning!
    Josef Janning: Guten Morgen, Herr Rother!
    Rother: Herr Janning, Sie haben vor kurzem ein Papier zu den Europa-Wahlen veröffentlicht. Darin sprechen Sie von einer Richtungswahl im kommenden Mai. Warum?
    Janning: Eine Richtungswahl wird es deswegen sein, weil dies könnte das erste Europäische Parlament werden, in dem die traditionelle Ordnung dieses Parlamentes, die bestimmt wurde vom Zusammenwirken der beiden großen Parteifamilien, der konservativen in der EVP auf der einen Seite und der Sozialdemokraten in der sozialistischen Fraktion auf der anderen Seite, nicht mehr trägt, indem sie nicht mehr den Pulsschlag und die Arbeitsordnung des Parlamentes bestimmt.
    EU-Skeptiker könnten zusammenarbeiten
    Rother: Wie konnte es denn soweit kommen? Was wurde falsch gemacht?
    Janning: Wir sehen ja in den Wahlen in vielen EU-Staaten, dass die Parteien der Mitte weiter an Zustimmung verlieren und dass die Ränder stärker werden. Wir sehen in den meisten EU-Staaten inzwischen eine populistische Strömung in Parteien und Bewegungen, die eine Gemeinsamkeit aufweist, nämlich in ihrer Europakritik. In der Kritik daran, dass auf europäischer Ebene Zuständigkeiten, Souveränität gebündelt wird, um dort zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen. Das ist für viele dieser politischen Akteure der Sündenfall Europas und das Europäische Parlament als Co-Gesetzgeber steht gewissermaßen symbolhaft für das was sie kritisieren.
    Rother: Matteo Salvini, wir haben es gerade gehört, war gestern in Polen und kann sich neue Bündnisse vorstellen. Wie gut ist denn das rechtspopulistische, das rechte, das rechtskonservative Lager organisiert? Bestehen da Chancen auf Zusammenarbeit?
    Janning: Diese Chancen bestehen durchaus. Es gibt in der Sache ja sehr, sehr viele Unterschiede und es ist schwierig, sich vorzustellen, dass Nationalisten gewissermaßen international gemeinsam agieren, weil das widerspricht ja ihrer eigenen Grundauffassung. Aber sie sind sich einig in dem einen Punkt: Dass sie ein anderes Europa, eine andere EU wollen. Eine EU, in der die Zuständigkeiten in erster Linie bei den Nationalstaaten liegen und in der Zusammenarbeit allenfalls auf freiwilliger Basis möglich sein wird, aber keine gemeinsamen, verbindlichen Entscheidungen aus Brüssel, keine Interventionsrechte für die europäischen Institutionen. An dieser Gemeinsamkeit können sie sich abarbeiten und die kann sie ein ganzes Stück weit tragen. Man sollte nicht unterschätzen, wie mobilisierend eine doch sehr einfache Formel wirkt gegenüber einer Europadebatte, die häufig sehr kompliziert und sehr ritualisiert geführt wird.
    Macrons gefährliche Strategie
    Rother: Wie sieht es denn auf der anderen Seite aus, kann beispielsweise jemand wie Emmanuel Macron, der französische Präsident, die Pro-Europäer anführen und auch vereinen?
    Janning: Macron hat sich ja dafür entschieden, diese Wahl zu einer Schwarz-Weiß-Auseinandersetzung zu machen. Auf der einen Seite er und die Europäisten, auf der anderen Seite Orbán und die Nationalisten. Ich halte das für eine gefährliche Strategie, denn dies ist etwas, was den nationalistischen Parteien sehr stark entgegenkommt, aber in der Mitte des politischen Spektrums, in der die meisten Wähler zu Hause sind, wahrscheinlich eher demobilisierend wirkt, weil so binär denken die meisten Menschen doch nicht. Und sie sind nicht bereit, sich um Europas Willen nun jeglicher Unterschiede zwischen ihnen und jeglicher Debatten, welche Art Europa man denn wie machen solle zu entledigen.
    Rother: Wenn wir noch mal auf die Auswirkungen schauen, was bedeutet ein EU-skeptischeres Parlament für die EU?
    Janning: Das bedeutet, dass die traditionelle Stützungsrolle des Parlaments gar nicht mehr so einfach zu gewährleisten sein wird. Ich glaube, dass nach wie vor die Pro-Integrationsparteien eine deutliche Mehrheit haben, aber sie werden nicht mehr wie selbstverständlich geführt werden von der EVP und der sozialistischen Fraktion, sondern da muss man neue Bündnisse, neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln. Ich glaube auch, dass das Parlament künftig nicht mehr aus dem Selbstverständnis heraus agieren kann, es sei der eigentliche Lordsiegelbewahrer der Idee Europas gegen die partikularistischen Interessen der Nationalstaaten, so funktioniert das nicht mehr. Das Parlament wird sehr viel stärker an seiner Rolle als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger in all ihrer Unterschiedlichkeit arbeiten müssen und dafür sorgen müssen, dass es lebendige, in der Sache gute und im Ton ansprechende, überzeugende Debatten in diesem Haus selbst gibt.
    Chancen für neuen Dialog
    Rother: Eine Kurze Frage noch zum Schluss. Bieten diese neuen Zeiten auch neue Chancen?
    Janning: Ja, es liegt natürlich eine Chance in einer Veränderung der Verhältnisse, eine Chance für einen neuen Dialog, für eine neue Frische in der Europadebatte. Wenn das gelingt, dann halte ich gewissermaßen die Verunsicherung des heutigen Systems eher für einen Gewinn als für eine Last.
    Rother: Sagt Josef Janning, Leiter des deutschen Zweigs vom "European Council on Foreign Relations". Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen!
    Janning: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.