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Wahlkampf in der Schweiz
Sehnsucht nach Harmlosigkeit

Der Wahlkampf in der Schweiz läuft auf Hochtouren. Dabei werden harte Themen allerdings ausgespart. Kommentatoren beklagen einen "Show- und Klamauk-Wahlkampf". Und auch das Stimmvolk scheint sich nicht nach einer Veränderung zu sehnen.

Von Hans-Jürgen Maurus | 16.10.2015
    Die Schweizer Flagge weht nahe dem Jungfraujoch in den Berner Alpen in der Schweiz
    Man wolle ein Volk von Zwergen bleiben, urteilt der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss über den Wahlkampf und die mangelnde Euphorie der Schweizer. (picture alliance / ZB)
    So stieg die Schweizerische Volkspartei im Sommer in die heiße Phase des Wahlkampfs ein: mit dem "Freiheitssong".
    Daneben warb die SVP mit Slogans wie: Asylchaos stoppen. Masseneinwanderung beenden, Verkehrsstaus beseitigen, Arbeitsplätze sichern und vor allem: keinen EU-Beitritt. Mit Hardcore-Plakaten hielt sich die größte Schweizer Partei dieses Jahr aber merklich zurück, dafür landete SVP-Nationalrat Thomas Matter alias DJ Tommy gegen Ende des Wahlkampfs einen weiteren Hit mit dem Rap Titel: Welcome to the SVP, der es bis in die Schweizer Hitparade schaffte.
    Bunt ging's also im Schweizer Wahlkampf zu, kunterbunt. Harte Themen wie "starker Franken", "Energiewende", die ungelöste Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und die gefährdeten bilateralen Verträge wurden ausgespart. Schweizer Kommentatoren beklagten die Halligalli-Schweiz, den Show- und Klamauk-Wahlkampf mit Hüpfburgen, Straßentheater, Gipfeli, Fahnenmasten und Plüschhund, dazu Inhaltsleere und Leisetreterei.
    Verluste für die Grünen, Gewinne für die Konservativen?
    Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss spricht gar von der "Schweiz des Wahnsinns", befürchtet den dritten Rechtsrutsch in 16 Jahren und beklagt einen zunehmenden Kulturkampf. Dass die Konservativen zulegen, erwartet auch Parteienforscher Claude Longchamp, aber nicht nur die SVP:
    "Wir rechnen mit einer Verschiebung von etwa zweieinhalb bis drei Prozent nach rechts. Das ist für Schweizer Verhältnisse schon ganz ordentlich, aber es wird die Schweizer Politik nicht vollständig ändern. Profitieren davon wird die liberale Partei FDP und die nationalkonservative SVP. Da muss man bei beiden anfügen, dass sie die großen Verlierer von 2011 waren. Sie werden jetzt einen Teil von dem, was sie verloren haben, wieder kompensieren können."
    Und wer dürfte verlieren?
    "Auf der anderen Seite rechnen die meisten mit Verlusten für die Grünen. Insbesondere für unsere grüne Partei der Schweiz, das ist die Linke Partei. Etwas weniger Verluste für die grüne, liberale Partei - das ist eine Partei, die mehr in der Mitte politisiert. Bei allen anderen ist es ziemlich unsicher. Die aktuellen Umfragen sagen Veränderungen von einem halben Prozent voraus. Das ist zu wenig, um hier eine Aussage machen zu können."
    Verzicht auf Politik, auf Gestaltung, auf Zukunft
    Es bleibt also spannend, auch wenn keine drastischen Veränderungen im Machtgefüge des Landes zu erwarten sind. Denn einen echten Regierungswechsel gibt es in der Schweiz nicht. Alle wichtigen Parteien sind im Bundesrat vertreten. Das Reizthema Migration und Flüchtlingsströme wurde zwar im Wahlkampf angesprochen, doch ein Asylchaos, wie es die SVP sieht, hat die Schweiz bisher nicht erlebt, so Parteienforscher Longchamp:
    "Von diesen Flüchtlingsbewegungen haben wir in der Schweiz noch recht wenig gesehen. Auch der Begriff des ‚Asylchaos' ist eigentlich von den Verantwortlichen für die Schweizer Asylpolitik fundamental infrage gestellt worden. Ich denke nicht, dass wir in der Schweiz die gleichen Verhältnisse haben wie in Ungarn, Österreich oder Deutschland. Wir haben hier deutlich gemäßigtere Verhältnisse."
    Der Zürcher Tagesanzeiger kritisiert den Wahlkampf als Sehnsucht nach Harmlosigkeit, Politik und Stimmvolk seien sich einig: Das Ziel sei der Verzicht auf Politik, auf Gestaltung, auf Zukunft.
    Auch Lukas Bärfuss zieht ein vernichtendes Urteil. Man wolle hierzulande ein Volk von Zwergen bleiben, so Bärfuss - und sei immer erstaunter, dass man vom Ausland wie ein Zwerg behandelt werde. Ein Zwergenaufstand ist am Sonntag nicht zu erwarten, stattdessen wird es darum gehen, wer seine Wähler am besten mobilisieren kann. Und zwar die eigene Basis. Wo ein Wille ist, ist ein Weg, heißt es im Freiheitssong, doch wohin der Weg führen soll, das ist manchem Wähler schleierhaft.