Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Wahlkampf
Israel wählt am Dienstag

Israel wird am 17. März vorgezogene Neuwahlen abhalten. Zwei Kontrahenten stehen im Mittelpunkt: der polternde Amtsinhaber, Premierminister Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei, und der zurückhaltende Diplomat Isaak Herzog; Spitzenkandidat vom Mitte-Links-Bündnis. Die politischen Inhalte spielen im Wahlkampf schon fast eine Nebenrolle.

Von Christian Wagner | 14.03.2015
    Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach einer Rede beim American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) in Washington
    Benjamin Netanjahu sieht sich derzeit mit immer schlechteren Umfragewerten konfrontiert. (afp / Nicholas Kamm )
    Seit sechs Jahren ist Benjamin Netanjahu ununterbrochen im Amt. Mal hat er mit den religiösen Parteien regiert, zuletzt mit einer vermeintlich liberalen Zukunftspartei, aber durchgehend mit den Parteien der nationalistischen Rechten. Die eigene Basis, der Likud-Block, ist König Bibi währenddessen immer weiter weggeschmolzen. Jetzt, kurz vor der Wahl, versucht er - angesichts immer schlechterer Umfragewerte - die abgewanderten Wähler zurückzuholen:
    "Das zentrale Problem ist ja, dass mich ein Großteil der Bevölkerung in der Tat als Ministerpräsident will. Sie verstehen nur nicht, dass ich nicht automatisch gewählt werde; sie dürfen ihre Stimmen nicht auf andere Parteien verteilen. Denn so würden sie Tsipi Livni und Yitzhak Herzog zu Regierungschefs machen."
    "Ich oder die anderen" ist Netanjahus Slogan. "Alles, nur nicht Netanjahu" ist der Slogan der Opposition, an deren Spitze sich erst kurz vor diesen Neuwahlen Ex-Außenministerin Livni und Arbeitspartei-Chef Herzog gesetzt haben. Echte Themen für einen Wahlkampf hätte es jede Menge gegeben. Aber ein Streit darüber kam immer nur im Ansatz zustande.
    Die umstrittene Rede Netanjahus vor dem US-Kongress und der immer tiefere Graben zwischen ihm und US-Präsident Obama - das war der Anlass, über die Beziehungen zur wichtigsten Schutzmacht Israels zu reden. Wer sich bei der Wahl von Netanjahu abwendet, könnte das in der Hoffnung tun, dass Yitzhak Herzog als Ministerpräsident das Verhältnis mit der US-Regierung repariert und so Sicherheit garantiert. Die Bedrohung durch Atomwaffen im Iran will niemand kleinreden; aber Netanjahus Dauer-Warnungen davor hatten bei Israels Wählern zuletzt doch zu Ermüdungserscheinungen geführt.
    Neuer Dialog-Anlauf mit Palästinensern?
    Herzog verspricht mehr Dialog mit den Amerikanern und sträubt sich vorsorglich gegen eine große Koalition.
    "Ich habe nicht vor, mich mit Netanjahu im Amt des Regierungschefs abzuwechseln. Ich will ihn ablösen. Denn Netanjahu hat versagt. Er gibt es ja in Interviews wie diesem quasi zu. Ich aber werde Verantwortung übernehmen und Israel wieder Hoffnung geben."
    Abwechseln würde sich Herzog im Amt des Regierungschefs dagegen mit seiner Bündnispartnerin Livni. Sie könnte zunächst das fortsetzen, was ihr in der Koalition mit Netanjahu in den vergangenen zwei Jahren nicht gelungen ist: ein neuer Dialog-Anlauf mit den Palästinensern. Denen haben Herzog und Livni nicht viel anzubieten, vor allem kein Ende der Besatzung im Westjordanland. Dafür fehlt ihnen die Mehrheit, selbst wenn sie die Wahl überraschend deutlich gewinnen sollten. Mehr Bewegung könnte es nur geben, wenn US-Präsident Obama einen Machtwechsel in Jerusalem für einen neuen Nahost-Anlauf nutzt. Darüber wird in Israel schon spekuliert.
    Dabei haben sich ohnehin drängende Probleme aufgetürmt: Die palästinensische Autonomiebehörde sucht immer weiter nach staatlicher Anerkennung, auch auf der Ebene der Vereinten Nationen. Israels Regierung sieht sich bedroht und hat mit Strafmaßnahmen reagiert und bringt die Selbstverwaltung der Palästinenser damit an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs. Die Palästinenser wiederum drohen damit, im Westjordanland nicht mehr mit dem israelischen Militär zusammenzuarbeiten.
    Naftali Bennett und das "Jüdische Heim"
    Die drohende Destabilisierung im Westjordanland kümmert den bisherigen Wirtschaftsminister Naftali Bennett und sein "Jüdisches Heim" allerdings nicht.
    "Wir sind die einzige Partei, die einen Staat Palästina ablehnt. Schon mit unseren zwölf Mandaten konnten wir dem mit einer Volksabstimmung einen Riegel vorschieben. Außerdem haben wir den Wahnsinn gestoppt, dass inhaftierte palästinensische Attentäter durch Deals freikommen. Wir wollen in die Regierung, denn wir sind das Herz Israels."
    Genau das vermuten der bisherige Koalitionspartner Yair Lapid und seine Partei Yesh Atid an einem ganz anderen Ort: In der Mittelschicht, die sich zwischen schlecht bezahlter Arbeit, hohen Lebenshaltungskosten und schnell steigenden Immobilienpreisen zerrieben sieht.
    "Wenn Yesh Atid nicht groß und stark genug wird, um eine Koalition zu bilden, dann gibt es eine extreme Regierung. Dann ist die israelische Mittelschicht verraten und verkauft. Der Wahltag muss der letzte Tag von Benjamin Netanjahu als Ministerpräsident Israels werden. Nicht weil er rechts ist, sondern weil ihm die Nöte der Mittelschicht egal sind."
    Einzige linke Partei
    Aber von einer Protestbewegung, die "mehr soziale Gerechtigkeit" fordert wie im Sommer 2011, kann Israel derzeit nur träumen. Noch dazu scheitert womöglich die einzige wirklich linke Partei an der Drei-Prozent-Hürde: Deshalb wirbt die frühere Meretz-Abgeordnete Naomi Chazan für einen radikalen Richtungswechsel.
    "Es wird nicht einfach, etwas zu verändern - nach 20 Jahren in denen der andere nicht respektiert, sondern ausgegrenzt wurde, in der Israel den übelsten, extremsten Kapitalismus erlebt hat."
    Zehn oder mehr Fraktionen werden im israelischen Parlament vertreten sein. Ganz gleich, ob Benjamin Netanjahu oder Yitzhak Herzog mit der Regierungsbildung beauftragt wird - schon das wird keine leichte Aufgabe.