Remme: Ein Politkrimi liegt hinter uns, ein spannender Wahlabend, der am Anfang so aussah, als würde die CDU/CSU, die Union also, deutlich vor der SPD liegen, was den Kanzlerkandidaten der Union zu früher Stunde etwa gegen 19 Uhr zu folgendem Statement veranlasste:
Eines steht jetzt schon fest: die CDU, die CSU, die Union, wir haben die Wahl gewonnen. CDU/CSU, liebe Freunde, die große Partei der Mitte, sie ist wieder da. Sie ist die stärkste Partei, die stärkste Fraktion und wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem großartigen Ergebnis auch das machen, was wir machen können.
Remme: Der Bundeskanzler Gerhard Schröder wenig später, ahnend, dass es eng werden würde:
Mehrheit ist Mehrheit und wenn wir sie haben, werden wir sie nutzen, liebe Freundinnen und Freunde. Das ist eindeutig. Und nun warten wir mal ab, wie sich der heutige Abend fortsetzt. Manchmal ist es ja wirklich so, dass diejenigen, die sich ganz früh freuen, auch zu früh gefreut haben. Ich bin optimistisch, dass wir unsere Politik in der Koalition und Konstellation zwischen rot/grün fortsetzen können.
Remme: Allzu viele Indizien gab es zu diesem Moment, als er das sagte, nicht, dass er recht haben könn-te. Doch er hat Glück gehabt und am frühen Morgen gegen kurz vor eins löste sich die Spannung bei Joschka Fischer und Gerhard Schröder:
Damit ist das wieder in Ordnung gebracht worden, aber Leute, wir haben schwierige Zeiten vor uns. Wir werden es gemeinsam packen und ich finde, jetzt darf man auch mal in den heiligen Hallen der deutschen Sozi-aldemokraten einem solchen Grünen das Wort geben. Bitte Joschka Fischer!
Ich möchte mich aber bei Ihnen allen, bei Euch allen auch recht herzlich bedanken. Gerhard Schröder wird mir nicht böse sein und Sie werden mir nicht böse sein, wenn ich natürlich diesen einen Punkt, dass es für uns hätte weniger sein dürfen, etwas anders sehe.
Remme: Elf Mandate also mehr für Rot-Grün und das reicht. Rot-Grün kann weiter regieren. Am Telefon mitgehört hat der Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann. Herr Biermann, guten Morgen!
Biermann: Guten Morgen Herr Remme.
Remme: Herr Biermann, was lachen Sie?
Biermann: Ich wusste das noch nicht so genau. Sie haben mich aus dem Schlaf gerissen.
Remme: Sie sind ins Bett gegangen ohne zu wissen, wer die Wahl gewonnen hat?
Biermann: Nein, nein. Ich habe noch ein bisschen geglotzt. Ich kam doch gestern von einem Konzert. Raten Sie mal wo ich jetzt bin? – Ich bin in Bautzen.
Remme: Sie haben dort gesungen, ein Konzert gegeben?
Biermann: Ich habe gestern gesungen, aber nicht in Bautzen, sondern im Knast. In diesem Stasi-Gefängnis Bautzen habe ich ein Konzert gemacht vor vielen jungen Leuten, aber auch vor alten Leuten, die ein paar hundert Jahre Knast in den Knochen haben, und wusste deswegen nicht so genau, was da mit der Wahl ist.
Remme: Ein Konzert wie viele andere oder auch durch die Wahl geprägt oder nur durch die Umgebung, die Sie eben geschildert haben?
Biermann: Na das ist doch klar wie Kloßbrühe. Die Leute saßen im Konzert und hörten mit einem Ohr zu und mit dem anderen lauschten sie nach Einflüsterung, was ist nun mit der Wahl. Die waren doch alle so ge-spannt wie ich auch.
Remme: Sie haben sich, Herr Biermann, am Samstag noch in den Wahlkampf eingemischt. Wenn ich der Agenturmeldung glauben darf, tauchten Sie mit Gitarre am Stand von Werner Schulz, dem grünen Bundestags-abgeordneten, auf. War das wirklich aus dem Bauch heraus?
Biermann: Absoluter Zufall! So wie unser Philosoph Hegel gesagt hat, das Notwendige setzt sich immer zufällig durch.
Remme: Erklären Sie uns den Zufall?
Biermann: Ich war in Berlin. Ich hatte dort zu tun und bin mit Marianne Birthler über den Käthe-Kollwitz-Platz gelaufen, um ein Frühstück zu machen. Da kamen wir an dem SPD-Stand vorbei. Die haben mir so eine rote Plakette "ich wähle Doris ihren Mann" oder so ähnlich gegeben. Dann kam ich bei der FDP vorbei. Da bin ich mit schmalem Hintern schnell weitergegangen. Die wollte ich weder von ferne, noch von nahem sehen mit ihrer 18. Wissen Sie überhaupt, was 18 heißt?
Remme: Nein!
Biermann: Na eins und acht. Die eins ist der Buchstabe A im Alphabet und acht ist der Buchstabe H im Alphabet. Das muss ich Ihnen ja nun nicht breitarschig erklären, was das heißt - AH.
Remme: Herr Biermann, kommen wir auf die politische Bewertung dieses Abends. Sie haben gesagt, wo Sie gesungen haben: in der früheren Sonderhaftanstalt der Stasi. Eine wichtige Veränderung im neuen Bundes-tag: die PDS ist draußen. Für Sie eine gute Nachricht?
Biermann: Na einmal dürfen Sie raten, wie ich das finde. - Finde ich gut! Ich bin nicht der Meinung, dass die Erben der Nomenklatura der DDR, die die Repräsentanten dieses riesigen Unterdrückungsapparates sind und auch die Kohle dieses Unterdrückungsapparates an Land gezogen und sichergestellt haben - das sind keine armen Leute und keine machtlosen Leute deswegen -, dass die nicht im Parlament sind finde ich eher gut für die Demokratie.
Remme: Wie erklären Sie sich das schwache Abschneiden dieser Partei?
Biermann: Das weiß ich nicht. Das kann ich Ihnen nicht erklären. Das müssen Sie sich von Leuten sagen lassen, die es besser wissen. Ich bin voreingenommen. Ich denke doch auch mit dem Herzen und mir haben diese Leute weh getan und anderen Menschen haben sie noch viel mehr weh getan als mir. Deswegen finde ich es eher gut, dass die nicht auf meine Steuergroschen im Parlament sich spreizen können und uns Vorträge dar-über halten können, was Rechtsstaat ist, was Demokratie ist, was soziale Gerechtigkeit ist, und schon gar nicht, was Krieg und Frieden ist. Diese Militaristen sollen mir nicht erklären, wie man den Krieg gegen den Irak ver-meiden soll.
Remme: Herr Biermann, auch in Mecklenburg-Vorpommern hat die PDS verloren. Dennoch findet sie im Osten ihre Wähler. Kann die PDS ersatzlos gestrichen werden?
Biermann: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Das weiß ich nicht. Vielleicht wäre es aus politisch-hygienischen Gründen sogar besser sie sind da, damit man sie in ihrer ganzen verrotteten Hässlichkeit deutlich sehen kann. Aus pädagogischen Gründen - ich bin aber kein Lehrer - wäre es vielleicht sogar ganz vernünftig. Ich weiß es nicht!
Remme: Nun hat Gerhard Schröder das Mandat für weitere vier Jahre bekommen. Meinen Sie, er hat das verdient?
Biermann: Nein! Das wissen Sie doch selber! Das hat keiner von denen verdient. Das sind doch alles Heuchler. Ich war, muss ich Ihnen ehrlich sagen, ziemlich deprimiert in diesen Wochen vor der Wahl, weil diese brutale freche Stimmenfängerei, will sagen Dummenfängerei hat mir weh getan. Dass der Schröder, des-sen Politik ich natürlich erst mal mehr unterstütze, dass der aus Angst, die Wahlen zu verlieren, plötzlich diese reaktionäre Politik gegenüber den Vereinigten Staaten macht, nur um die falschen Friedensschafe in seinen Pferch einzusammeln, das fand ich nicht in Ordnung. Ich finde Leute, die wirklich gegen den Krieg sind und ihre guten Gründe haben, diese Leute achte ich, auch wenn ich ihrer Meinung nicht bin und nicht sein kann, denn ich lebe nur und kann mit Ihnen jetzt hier am Telefon sprechen, weil die Amerikaner und weil die Russen und andere Menschen mit der Waffe in der Hand Nazi-Deutschland niedergekämpft haben. Ich kann diese Art von Pazifismus nicht mitmachen, aber ich achte ihn, ich respektiere ihn, muss ich ja. Aber dieser Pazifismus der Sozialdemokraten in letzter Wahlminute, das wissen Sie auch ohne mich, war eine heuchlerische Pose zur Stimmenfängerei, um die Angst der Leute vor dem Krieg zu benutzen für Stimmenfang. Und dass dann die CDU/CSU versuchte, diese Schafe wieder zurückzureißen auf ihre Seite, indem sie die Ausländerpolitik wieder ins Spiel bringen wollte und auf den Kosten der Schultern der Ausländer in Deutschland noch mal Stimmen fangen wollten, das war genauso abgeschmackt.
Remme: Herr Biermann, wir haben acht Tage nach dem 11. September. Im vergangenen Jahr haben wir beide an dieser Stelle miteinander gesprochen und Sie haben gesagt, die Amerikaner brauchen in diesem Mo-ment, dass wir ihnen in der Seele beistehen und ihnen im Verstand auch kritisch widersprechen, wenn sie jetzt Kreuzzüge anfangen wollen. Wenn das so ist, dann müsste doch Schröder eigentlich auf Ihrem Kurs liegen?
Biermann: Nein, nein. Niemand muss mich darüber belehren, dass Freundschaft auch bedeutet, dass man seinen Freund kritisiert. Was meinen Sie, wie ich meinen besten Freund in der DDR Robert Havemann gele-gentlich kritisiert habe. Wir waren tief zerstritten über manche Fragen. Natürlich gehört Streit zu einer echten Freundschaft, aber dass man in einem solchen Moment, wo der Irak mit Saddam Hussein, der tausendmal ge-fährlicher ist als dieser Bauchladenhändler des Mordes, der Bin Laden - Das ist doch ein kleiner Mann. Der kann ein paar Flugzeuge zweckentfremden und damit ein paar Tausend Leute umbringen, während der Irak ein mächtiger und reicher Staat ist mit einem Diktator, der über gewaltige Massenvernichtungswaffen verfügt. Wie kann man so eine Position haben? Das halte ich für so falsch. Das heißt noch lange nicht, dass man einen Kreuzzug macht. Die Kreuzzüge waren ein Verbrechen. Das wissen Sie doch. Deswegen haben wir uns damals über dieses idiotische Wort von Bush von den Kreuzzügen gegrämt und geärgert. Aber dass wir bei aller Frie-densliebe und bei allem Wunsch, eleganter aus dem ganzen Ding herauszukommen, ohne Krieg versteht sich, dass wir dann den Druck gegen diesen Verbrecher vermindern und uns sozusagen unfreiwillig an seine Seite stellen und ihn noch ermutigen, das halte ich für schlimmer als ein Verbrechen, wie Talleyrand mal zu Napole-on sagte. Der sagte zu Napoleon, das war schlimmer als ein Verbrechen, was sie jetzt gerade gemacht haben, das war ein Fehler. Solche Fehler, die kann man sich, wenn es auf Leben und Tod für viele, viele Menschen geht, nicht leisten. Deswegen hat mich die Haltung von Schröder in dieser Frage geärgert, weil ich so gern ich wollte, dass der noch mal einen Versuch machen kann und noch mal eine Chance kriegt, ich halte das für gut, aber nicht um diesen Preis. Verflucht noch mal! Das darf man nicht miteinander vermischen. So gerne an der Macht darf er nicht bleiben, dass er dafür die Fragen auf Leben und Tod von Tausenden Menschen mit ins Spiel bringt. Das fand ich schändlich und das hat mir weh getan.
Remme: Herr Biermann, ich bedanke mich für das Gespräch. - Der Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann.
Link: Interview als RealAudio
Eines steht jetzt schon fest: die CDU, die CSU, die Union, wir haben die Wahl gewonnen. CDU/CSU, liebe Freunde, die große Partei der Mitte, sie ist wieder da. Sie ist die stärkste Partei, die stärkste Fraktion und wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem großartigen Ergebnis auch das machen, was wir machen können.
Remme: Der Bundeskanzler Gerhard Schröder wenig später, ahnend, dass es eng werden würde:
Mehrheit ist Mehrheit und wenn wir sie haben, werden wir sie nutzen, liebe Freundinnen und Freunde. Das ist eindeutig. Und nun warten wir mal ab, wie sich der heutige Abend fortsetzt. Manchmal ist es ja wirklich so, dass diejenigen, die sich ganz früh freuen, auch zu früh gefreut haben. Ich bin optimistisch, dass wir unsere Politik in der Koalition und Konstellation zwischen rot/grün fortsetzen können.
Remme: Allzu viele Indizien gab es zu diesem Moment, als er das sagte, nicht, dass er recht haben könn-te. Doch er hat Glück gehabt und am frühen Morgen gegen kurz vor eins löste sich die Spannung bei Joschka Fischer und Gerhard Schröder:
Damit ist das wieder in Ordnung gebracht worden, aber Leute, wir haben schwierige Zeiten vor uns. Wir werden es gemeinsam packen und ich finde, jetzt darf man auch mal in den heiligen Hallen der deutschen Sozi-aldemokraten einem solchen Grünen das Wort geben. Bitte Joschka Fischer!
Ich möchte mich aber bei Ihnen allen, bei Euch allen auch recht herzlich bedanken. Gerhard Schröder wird mir nicht böse sein und Sie werden mir nicht böse sein, wenn ich natürlich diesen einen Punkt, dass es für uns hätte weniger sein dürfen, etwas anders sehe.
Remme: Elf Mandate also mehr für Rot-Grün und das reicht. Rot-Grün kann weiter regieren. Am Telefon mitgehört hat der Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann. Herr Biermann, guten Morgen!
Biermann: Guten Morgen Herr Remme.
Remme: Herr Biermann, was lachen Sie?
Biermann: Ich wusste das noch nicht so genau. Sie haben mich aus dem Schlaf gerissen.
Remme: Sie sind ins Bett gegangen ohne zu wissen, wer die Wahl gewonnen hat?
Biermann: Nein, nein. Ich habe noch ein bisschen geglotzt. Ich kam doch gestern von einem Konzert. Raten Sie mal wo ich jetzt bin? – Ich bin in Bautzen.
Remme: Sie haben dort gesungen, ein Konzert gegeben?
Biermann: Ich habe gestern gesungen, aber nicht in Bautzen, sondern im Knast. In diesem Stasi-Gefängnis Bautzen habe ich ein Konzert gemacht vor vielen jungen Leuten, aber auch vor alten Leuten, die ein paar hundert Jahre Knast in den Knochen haben, und wusste deswegen nicht so genau, was da mit der Wahl ist.
Remme: Ein Konzert wie viele andere oder auch durch die Wahl geprägt oder nur durch die Umgebung, die Sie eben geschildert haben?
Biermann: Na das ist doch klar wie Kloßbrühe. Die Leute saßen im Konzert und hörten mit einem Ohr zu und mit dem anderen lauschten sie nach Einflüsterung, was ist nun mit der Wahl. Die waren doch alle so ge-spannt wie ich auch.
Remme: Sie haben sich, Herr Biermann, am Samstag noch in den Wahlkampf eingemischt. Wenn ich der Agenturmeldung glauben darf, tauchten Sie mit Gitarre am Stand von Werner Schulz, dem grünen Bundestags-abgeordneten, auf. War das wirklich aus dem Bauch heraus?
Biermann: Absoluter Zufall! So wie unser Philosoph Hegel gesagt hat, das Notwendige setzt sich immer zufällig durch.
Remme: Erklären Sie uns den Zufall?
Biermann: Ich war in Berlin. Ich hatte dort zu tun und bin mit Marianne Birthler über den Käthe-Kollwitz-Platz gelaufen, um ein Frühstück zu machen. Da kamen wir an dem SPD-Stand vorbei. Die haben mir so eine rote Plakette "ich wähle Doris ihren Mann" oder so ähnlich gegeben. Dann kam ich bei der FDP vorbei. Da bin ich mit schmalem Hintern schnell weitergegangen. Die wollte ich weder von ferne, noch von nahem sehen mit ihrer 18. Wissen Sie überhaupt, was 18 heißt?
Remme: Nein!
Biermann: Na eins und acht. Die eins ist der Buchstabe A im Alphabet und acht ist der Buchstabe H im Alphabet. Das muss ich Ihnen ja nun nicht breitarschig erklären, was das heißt - AH.
Remme: Herr Biermann, kommen wir auf die politische Bewertung dieses Abends. Sie haben gesagt, wo Sie gesungen haben: in der früheren Sonderhaftanstalt der Stasi. Eine wichtige Veränderung im neuen Bundes-tag: die PDS ist draußen. Für Sie eine gute Nachricht?
Biermann: Na einmal dürfen Sie raten, wie ich das finde. - Finde ich gut! Ich bin nicht der Meinung, dass die Erben der Nomenklatura der DDR, die die Repräsentanten dieses riesigen Unterdrückungsapparates sind und auch die Kohle dieses Unterdrückungsapparates an Land gezogen und sichergestellt haben - das sind keine armen Leute und keine machtlosen Leute deswegen -, dass die nicht im Parlament sind finde ich eher gut für die Demokratie.
Remme: Wie erklären Sie sich das schwache Abschneiden dieser Partei?
Biermann: Das weiß ich nicht. Das kann ich Ihnen nicht erklären. Das müssen Sie sich von Leuten sagen lassen, die es besser wissen. Ich bin voreingenommen. Ich denke doch auch mit dem Herzen und mir haben diese Leute weh getan und anderen Menschen haben sie noch viel mehr weh getan als mir. Deswegen finde ich es eher gut, dass die nicht auf meine Steuergroschen im Parlament sich spreizen können und uns Vorträge dar-über halten können, was Rechtsstaat ist, was Demokratie ist, was soziale Gerechtigkeit ist, und schon gar nicht, was Krieg und Frieden ist. Diese Militaristen sollen mir nicht erklären, wie man den Krieg gegen den Irak ver-meiden soll.
Remme: Herr Biermann, auch in Mecklenburg-Vorpommern hat die PDS verloren. Dennoch findet sie im Osten ihre Wähler. Kann die PDS ersatzlos gestrichen werden?
Biermann: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Das weiß ich nicht. Vielleicht wäre es aus politisch-hygienischen Gründen sogar besser sie sind da, damit man sie in ihrer ganzen verrotteten Hässlichkeit deutlich sehen kann. Aus pädagogischen Gründen - ich bin aber kein Lehrer - wäre es vielleicht sogar ganz vernünftig. Ich weiß es nicht!
Remme: Nun hat Gerhard Schröder das Mandat für weitere vier Jahre bekommen. Meinen Sie, er hat das verdient?
Biermann: Nein! Das wissen Sie doch selber! Das hat keiner von denen verdient. Das sind doch alles Heuchler. Ich war, muss ich Ihnen ehrlich sagen, ziemlich deprimiert in diesen Wochen vor der Wahl, weil diese brutale freche Stimmenfängerei, will sagen Dummenfängerei hat mir weh getan. Dass der Schröder, des-sen Politik ich natürlich erst mal mehr unterstütze, dass der aus Angst, die Wahlen zu verlieren, plötzlich diese reaktionäre Politik gegenüber den Vereinigten Staaten macht, nur um die falschen Friedensschafe in seinen Pferch einzusammeln, das fand ich nicht in Ordnung. Ich finde Leute, die wirklich gegen den Krieg sind und ihre guten Gründe haben, diese Leute achte ich, auch wenn ich ihrer Meinung nicht bin und nicht sein kann, denn ich lebe nur und kann mit Ihnen jetzt hier am Telefon sprechen, weil die Amerikaner und weil die Russen und andere Menschen mit der Waffe in der Hand Nazi-Deutschland niedergekämpft haben. Ich kann diese Art von Pazifismus nicht mitmachen, aber ich achte ihn, ich respektiere ihn, muss ich ja. Aber dieser Pazifismus der Sozialdemokraten in letzter Wahlminute, das wissen Sie auch ohne mich, war eine heuchlerische Pose zur Stimmenfängerei, um die Angst der Leute vor dem Krieg zu benutzen für Stimmenfang. Und dass dann die CDU/CSU versuchte, diese Schafe wieder zurückzureißen auf ihre Seite, indem sie die Ausländerpolitik wieder ins Spiel bringen wollte und auf den Kosten der Schultern der Ausländer in Deutschland noch mal Stimmen fangen wollten, das war genauso abgeschmackt.
Remme: Herr Biermann, wir haben acht Tage nach dem 11. September. Im vergangenen Jahr haben wir beide an dieser Stelle miteinander gesprochen und Sie haben gesagt, die Amerikaner brauchen in diesem Mo-ment, dass wir ihnen in der Seele beistehen und ihnen im Verstand auch kritisch widersprechen, wenn sie jetzt Kreuzzüge anfangen wollen. Wenn das so ist, dann müsste doch Schröder eigentlich auf Ihrem Kurs liegen?
Biermann: Nein, nein. Niemand muss mich darüber belehren, dass Freundschaft auch bedeutet, dass man seinen Freund kritisiert. Was meinen Sie, wie ich meinen besten Freund in der DDR Robert Havemann gele-gentlich kritisiert habe. Wir waren tief zerstritten über manche Fragen. Natürlich gehört Streit zu einer echten Freundschaft, aber dass man in einem solchen Moment, wo der Irak mit Saddam Hussein, der tausendmal ge-fährlicher ist als dieser Bauchladenhändler des Mordes, der Bin Laden - Das ist doch ein kleiner Mann. Der kann ein paar Flugzeuge zweckentfremden und damit ein paar Tausend Leute umbringen, während der Irak ein mächtiger und reicher Staat ist mit einem Diktator, der über gewaltige Massenvernichtungswaffen verfügt. Wie kann man so eine Position haben? Das halte ich für so falsch. Das heißt noch lange nicht, dass man einen Kreuzzug macht. Die Kreuzzüge waren ein Verbrechen. Das wissen Sie doch. Deswegen haben wir uns damals über dieses idiotische Wort von Bush von den Kreuzzügen gegrämt und geärgert. Aber dass wir bei aller Frie-densliebe und bei allem Wunsch, eleganter aus dem ganzen Ding herauszukommen, ohne Krieg versteht sich, dass wir dann den Druck gegen diesen Verbrecher vermindern und uns sozusagen unfreiwillig an seine Seite stellen und ihn noch ermutigen, das halte ich für schlimmer als ein Verbrechen, wie Talleyrand mal zu Napole-on sagte. Der sagte zu Napoleon, das war schlimmer als ein Verbrechen, was sie jetzt gerade gemacht haben, das war ein Fehler. Solche Fehler, die kann man sich, wenn es auf Leben und Tod für viele, viele Menschen geht, nicht leisten. Deswegen hat mich die Haltung von Schröder in dieser Frage geärgert, weil ich so gern ich wollte, dass der noch mal einen Versuch machen kann und noch mal eine Chance kriegt, ich halte das für gut, aber nicht um diesen Preis. Verflucht noch mal! Das darf man nicht miteinander vermischen. So gerne an der Macht darf er nicht bleiben, dass er dafür die Fragen auf Leben und Tod von Tausenden Menschen mit ins Spiel bringt. Das fand ich schändlich und das hat mir weh getan.
Remme: Herr Biermann, ich bedanke mich für das Gespräch. - Der Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann.
Link: Interview als RealAudio