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Wahlprognosen sollen künftig noch strikter unter Verschluss

Der SPD-Politiker Carl-Christian Dressel hat eine Selbstverpflichtungserklärung der Meinungsforschungsinstitute gefordert, damit nicht - wie bei den Landtagswahlen geschehen - Wahlprognosen vor Schließung der Wahllokale über den Internetdienst Twitter in Umlauf gelangten.

Carl-Christian Dressel im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.09.2009
    Friedbert Meurer: So lustig klingt das Twittern, aber vorgestern fanden viele das Twittern in Deutschland überhaupt nicht lustig. Es geht um Folgendes: Es gibt bei Wahlen in Deutschland eine feste Regel, die besagt: Bevor die Wahllokale schließen, immer um 18 Uhr, dürfen keine Ergebnisse oder Prognosen mitgeteilt werden. Gegen dieses Prinzip ist letzten Sonntag, vorgestern, verstoßen worden, und zwar im Internet. Schon etwa gegen halb fünf wurden die sogenannten Trends der drei Wahlen getwittert, also übers Internet als schnelle Kurznachricht weitergegeben. Diese Trends, die am Sonntag schon ziemlich genau das Ergebnis vorwegnahmen, kommen und stammen von Infratest und Forschungsgruppe Wahlen, sie gehen gegen 16 Uhr etwa an Politiker und Journalisten. Auch die Prognose ist für diesen Kreis etwas früher auf dem Markt als 18 Uhr. Aber wie gesagt, es gilt die Schweigepflicht. Am Telefon begrüße ich nun Carl-Christian Dressel von der SPD. Er ist der stellvertretende Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses des Bundestags.

    Carl-Christian Dressel: Guten Morgen!

    Meurer: Guten Morgen, Herr Dressel! Haben Sie sich schon einen Überblick verschafft, was am Sonntag passiert ist?

    Dressel: Ja, ich hab vor allem mich aus der Presseauswertung schlau gemacht und habe die Äußerung des Bundeswahlleiters mir zu Gemüte geführt. Ich halte diese Entwicklung deutlich für in die falsche Richtung. Wir haben zum Glück passende Regelungen, und warum solche Regelungen, dass die Ergebnisse sogenannter Exit Polls, also von Wählerbefragungen nach der Wahlhandlung, nicht veröffentlicht werden dürfen, sinnvoll ist, zeigt das Ergebnis der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1981. 1981 wurden Trends und Vorergebnisse gemeldet, als im Ostteil der Vereinigten Staaten die Wahllokale geschlossen hatten. Daraufhin hat Jimmy Carter seine Niederlage eingestanden. Daraufhin ging im Westen die Wahlbeteiligung deutlich zurück. Das heißt, die Veröffentlichung von solchen Umfragen hat nachgewiesenermaßen Einfluss auf das Wählerverhalten …

    Meurer: Was besorgt Sie im Moment …

    Dressel: … und durch diese Regelung in Deutschland soll die Wahl von solchen Einflüssen freigehalten werden.

    Meurer: Noch sind es ja nur wenige, Entschuldigung, Herr Dressel …

    Dressel: Die Veröffentlichung solcher Umfragen ist auch mit einer Geldstrafe bis zu 50.000 Euro belegt. Und jetzt, wo diese Unart über Twitter Fuß fasst, langsam, aber sicher, muss man sich überlegen, ob man so eine Strafschärfung auch erhöht, ob die Strafschärfung ausreicht und …

    Meurer: Ich will Sie mal ganz kurz – ich versuch es noch einmal, Herr Dressel, Sie ganz kurz zu unterbrechen … Offenbar hört er mich gar nicht mehr. Hallo, Herr Dressel!

    Dressel: ... Verträgen ihren Auftraggebern gegenüber zu gewährleisten, dass solche Ergebnisse nicht vor 18 Uhr veröffentlicht werden.

    Meurer: So, ich hoffe, Sie können mich hören. Hallo, Herr Dressel!

    Dressel: Ich kann Sie hören.

    Meurer: Ja, wunderbar. Dann erlaube ich mir jetzt doch mal eine Frage: Jetzt schon die Strafe, 50.000 Euro, hat ja nicht abgeschreckt, da werden doch 100.000 Euro Strafe auch nicht abschrecken.

    Dressel: Und genau das ist die Frage, ob es sinnvoll ist, über Strafhöhen zu diskutieren oder über gesetzliche Verpflichtungen gegenüber den Meinungsforschungsinstituten, die Zahlen - sei es unter Verschluss zu halten oder nur unter bestimmten Auflagen weiterzugeben.

    Meurer: Welche Auflagen sollten das Ihrer Meinung nach sein?

    Dressel: Es müsste meines Erachtens klargestellt werden, dass die Auftraggeber der Meinungsforschungsinstitute ihre Zahlen nicht frei und an jedermann verteilen können.

    Meurer: Das tun sie ja nicht.

    Dressel: Sondern, dass es einen kontrollierten Verbreitungsweg geht, um das Recht der freien und unbeeinflussten Wahl zu gewährleisten.

    Meurer: Es ist ja in der Praxis so, Herr Dressel, da sitzen beispielsweise bei Infratest Journalisten und Demoskopen PC an PC, wie wollen Sie da ausschließen, dass eine Information doch weitergeht?

    Dressel: Und da sehen Sie das, man muss nicht im System denken, sondern an neue Möglichkeiten, das heißt, man könnte durchaus Verpflichtungen einführen, wonach hierbei PC an PC doch dazwischen eine chinesische Mauer zu errichten wäre, denn wir müssen in jedem Fall dem Wählerwillen unbeeinflusst Geltung verschaffen, und die Vorabveröffentlichung von Exit Polls 90 Minuten vor Schließung der Wahllokale hat nachgewiesenermaßen Einfluss aufs Wählerverhalten.

    Meurer: Die chinesische Mauer, wie soll die aussehen?

    Dressel: Sie nehmen den zweiten Schritt vor dem ersten. Man muss erst sehen, was ist das Sinnvollste, was machen die Meinungsforschungsinstitute von selbst, wozu müssten sie gegebenenfalls gesetzlich verpflichtet werden. Aber ich sage, zum jetzigen Zeitpunkt haben wir bei Twitter noch Einzelfälle, und ich hoffe, dass das bei der Bundestagswahl nicht abermals vorkommt und dass auch die Meinungsforschungsinstitute ihre Verantwortung von selbst einsehen.

    Meurer: Was halten Sie von einer klaren Lösung – die Meinungsforschungsinstitute müssen bis 18 Uhr notariell verpflichtet alles unter Verschluss halten und nichts geht mehr an Politik und Journalisten?

    Dressel: Das wäre eine mögliche Verpflichtung, eine mögliche gesetzliche Verpflichtung, die immer noch als letztes Mittel ausreicht, als letztes Mittel infrage kommt, wenn es keine anderen Mittel gibt, die für eine Sicherheit des Wählers und der Wählerin sorgen können.

    Meurer: Im Internet wird diskutiert, dass man es ganz genau andersherum dreht, nämlich wenn schon Politiker und Journalisten die Trends kriegen um 16 Uhr, dann gibt man es einfach an alle. Scheidet für Sie völlig aus?

    Dressel: Das wäre ein Verstoß gegen die Regelungen des Bundeswahlgesetzes, und da habe ich auch vom verfassungsrechtlichen Hintergrund Probleme, denn das wäre eine Wählerbeeinflussung durch Umfragen am gleichen Tage, wie sie das Wahlergebnis in deutlicher Art und Weise beeinflussen kann und meines Erachtens in Teilen auch die Freiheit der Wahl mit tangiert.

    Meurer: Sehen Sie eine Gefahr, und wenn sie noch so niedrig ist, dass die Bundestagswahl vom 27. September 2009 wegen des Twitterns angefochten wird?

    Dressel: Da komme ich mit dem alten Spruch von C. G. Jung: Vorhersagen sind schwierig, vor allem dann, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Ich bin der Ansicht, dass es keinen Grund gibt, wenn so etwas wie gestern bei der Bundestagswahl nochmals vorkommen würde, diese erfolgreich anzufechten. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass es andere Vorkommen gibt, die gravierend gegen das Bundeswahlgesetz verstoßen. Daher kann ich das nicht blankettmäßig für alle Fälle ausschließen. Ich bin aber der festen Ansicht, dass die Öffentliche Hand – und für den Fall der Bundestagswahl ist es der Bund – aufgefordert ist zu überprüfen, ob die jetzigen Regelungen ausreichend sind oder ob man die Regelungen verschärfen soll. Wir haben in den letzten Jahren ausreichende und positive Erfahrungen gemacht, dieses Getwitter bei diesen Landtagswahlen ist das erste Ereignis, wo sich eine solche Vorabveröffentlichung zugetragen hat …

    Meurer: Jetzt könnte man darüber diskutieren, Entschuldigung, Herr Dressel, dass es schon einmal ja vorgekommen ist, bei der Bundespräsidentenwahl, da hatten zwei Abgeordnete auch zu viel getwittert. Also das Thema ist klar, ich bedanke mich bei Carl-Christian Dressel von der SPD, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages. Danke und auf Wiederhören!