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Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger
Von NRW lernen?

Wer Steuern zahlt, soll auch wählen können: ein Argument der Befürworter eines Wahlrechts für dauerhaft hier lebende Migranten. Geht nicht, sagte vor 25 Jahren das Bundesverfassungsgericht. Damit war das Thema vom Tisch - bis sich Nordrhein-Westfalen daran machte, seine Verfassung zu modernisieren.

Von Moritz Küpper | 07.05.2015
    Das Wort "Wahlrechtslos" ergeben die Buchstaben auf den T-Shirts der Demonstranten, die sich am Sonntag (27.09.2009) in Berlin vor dem Wahllokal aufgestellt haben, in dem Bundeskanzlerin Merkel ihre Stimme abgeben soll. Die Demonstranten verbanden mit ihrem Auftritt die Forderung nach Wahlrecht für Migranten in Deutschland. Bei der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag sind nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes rund 62,2 Millionen Deutsche wahlberechtigt.
    Demonstranten protestieren in Berlin für das Wahlrecht für Migranten. (picture alliance / dpa / Foto: Soeren Stache)
    Der 1. Mai auf dem Kölner Heumarkt. Am Tag der Arbeit macht Amnesty International hier auf Missstände weltweit aufmerksam, der Verkehrsclub Deutschland ist da, ebenso ein Frauenverband – und der Integrationsrat Köln. Grüne und weiße Luftballons wehen an dem kleinen Stand. Sie werden verteilt – als Gegenleistung für eine Unterschrift...
    "Der Landesintegrationsrat hat eine landesweite Initiative gestartet in allen Kommunen, wo auch Unterschriften gesammelt werden, um für das kommunale Wahlrecht zu werben", sagt Ahmet Edis, der stellvertretende Vorsitzende. Der Tag der Arbeiterrechte sei geradezu prädestiniert für diese Aktion, so der 35-Jährige. In vielen Betrieben würden Migranten ihre Arbeit machen, wo sie ein:
    "Integraler Bestandteil unserer Gesellschaft sind und sogar bei Betriebsratswahlen Stimmrecht haben, sprich dann auch bei der Arbeit partizipieren dürfen und wählen dürfen."
    Ein Thema seit Jahrzehnten
    Das kommunale Wahlrecht für alle auf Dauer in NRW lebenden Migranten, wie es so umständlich heißt, es ist nicht nur auf dem Kölner Heumarkt ein Thema, sondern bereits seit Jahrzehnten: Schleswig-Holstein wollte einst dieses Stimmrecht einführen, doch im Jahr 1990 schob das Bundesverfassungsgericht dem einen Riegel vor: Das Wahlrecht, so hieß es damals kurz zusammengefasst, sei an die deutsche Staatsbürgerschaft gekoppelt. Punkt. Aber:
    „Jetzt mehren sich die Stimmen in den Rechtswissenschaften, die sagen: Dadurch, dass EU-Bürger bei Kommunalwahlen mitwählen dürfen, ist der Staatsbürgerbegriff relativiert worden."
    Erklärt Hans-Willi Körfges. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion – selbst Jurist – sitzt er in seinem Büro – und redet über eines seiner Lieblingsprojekte: Die Verfassungskommission. Seit über einem Jahr arbeitet NRW daran, die Landesverfassung zu modernisieren. Dabei kommen verschiedene Themen auf die Agenda – wie eben auch das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Beim Wahlrecht auf Bundes- oder Landesebene hätte Körfges zwar Bauschmerzen.
    "Aber im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, wo es nicht um Gesetzgebung geht, sondern um die gemeinsame Verwaltung einer Gemeinde, finde ich es auch rechtlichen Gründen möglich und aus demokratietheoretischen und integrationspolitischen Geboten eigentlich geboten."
    Das Kalkül scheint klar: Die SPD möchte mit diesem Thema Sympathien gewinnen. Eine Gesprächsrunde mit ausländischen, vor allem türkisch-stämmigen Journalisten, hat dazu schon Anfang März stattgefunden: Gonca Mucuk hat das damals organisiert, jetzt sitzt die Pressereferentin der SPD-Landtagsfraktion einige Türen weiter in ihrem Büro. Ursprünglich sollte es bei dem Termin eigentlich um eine türkisch-sprachige SPD-Broschüre sowie einen Antrag für Salafismus-Bekämpfung gehen – doch:
    "Natürlich hat das Thema kommunales Wahlrecht alles dominiert, so wie man auch an der Headline lesen kann. Da steht halt: In Nordrhein-Westfalen besteht wieder die Hoffnung auf das kommunale Wahlrecht."
    Die SPD-Frau zeigt Seiten einer europaweit erscheinenden türkischsprachigen Zeitung. Eine Vielzahl der kommunalen Räte im Land haben diese Hoffnung begrüßt, doch in Dormagen, einer kleinen Stadt zwischen Köln und Düsseldorf, gab es auch ein Votum gegen ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger:
    "Wir möchten letztendlich, dass sich Migranten auch bewusst für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Da sehen wir auch die Landesregierung in der Pflicht. Die Einbürgerungszahlen, die gehen kontinuierlich auch zurück, da gehört es, eine neue Offensive zu starten.""
    Sagt André Heryschek, der CDU-Fraktionschef in Dormagen, zu den Gründen. Für ihn ist wichtig zu wissen, wer wählen geht.
    "Dazu kommt, dass wir eben als CDU-Fraktion sagen, dass das kommunale Wahlrecht und das Wahlrecht generell, das Ergebnis von Integration sein sollte und nicht ein Mittel zur besseren Integration."
    Zurückhaltung bei der CDU
    Auch bei der CDU im Landtag hält man sich zu diesem Thema eher bedeckt: Man wolle dazu aktuell nichts machen, heißt es. Letztendlich gibt es – wohl auch zwischen den Parteien – zwei Denkschulen:
    "Es gibt die These, dass das Wahlrecht im Grunde am Ende eines bereits gelungenen Integrationsprozesses stehe. Umgekehrt gibt es aber auch starke Argumente dafür, dass das Wahlrecht ein Vehikel ist, um Integration zu befördern."
    Sagt Professor Frank Decker von der Universität Bonn. Der Politikwissenschaftler, selbst Mitglied der SPD und ein Befürworter, hat vor drei Jahren eine Umfrage unter den NRW-Staatsbürgern durchgeführt, mit welchen Maßnahmen sich die Beteiligungen an Wahlen stärken ließe: das kommunale Wahlrecht für Jugendliche ab 16 Jahren oder eben das für Nicht-EU-Bürger. Für die Wissenschaftler war es durchaus überraschend:
    "Dass beim Wahlalter nur eine Minderheit das befürwortet hat und umgekehrt gab es eine sehr große Zustimmung zum kommunalen Wahlrecht für Nichtdeutsche. 70 Prozent haben das befürwortet."
    Eine deutliche Umfrage-Mehrheit, die sich auch im Landtag von NRW andeutet: Denn die Idee ist nicht nur Bestandteil des rot-grünen Koalitionsvertrages. Sie steht im Grundsatzprogramm der FDP und auch die Piraten haben sich dafür ausgesprochen – das macht mehr als die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Politikwissenschaftler Decker:
    "Es könnten also theoretische auch Verfassungsänderungen auch gegen die CDU beschlossen werden. Also das wird dann auch ein hartes Ringen sein mit Geben und Nehmen."
    Dessen ist sich – natürlich – auch SPD-Mann Körfges bewusst:
    "Ich will da nicht offensiv Gebrauch von machen, aber es ist schon so. Nur: In so einem demokratischen Grundkonsens wäre es mir schon wichtig, alle mitnehmen zu können."
    Bis Herbst will er in der Frage in der Verfassungskommission Einigkeit erzielen, hält es – trotz aller gesellschaftlichen Bedeutung des Themas – aber ansonsten auch geboten, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Und auch Politikwissenschaftler Decker glaubt nicht an daran, dass sich das Bundesverfassungsgericht noch einmal rechtlich querstellen würde:
    Der Kampf um die Stimme. Von NRW aus würde er dann weitergehen: In anderen Ländern – und wohl auch im Bund.