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Wahrheit und Fakenews
Wer beeinflusst uns im Europawahlkampf?

Gefälschte Accounts, nachgemachte Wahlplakate, Social Bots - kurz vor der Europawahl steigt bei allen demokratischen Parteien in Deutschland die Nervosität. Besonders große Sorge lösen mögliche organisierte Kampagnen aus dem Ausland aus.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 20.05.2019
Eine Hand steckt einen Umschlag in eine Wahlurne vor der Europafahne. Symbolfoto.
Kampagnen aus dem Ausland könnten die Europawahl beeinflussen (dpa / ZB / Peter Endig)
Zwischen den Bildschirmen Knabberzeug, Thermoskannen, Ladekabel und schon leicht braune Bananen. Am Schreibtisch hinten links sitzt Hanna Forys und klickt sich durch allerlei Datenbanken.
Die 32-Jährige hat reichlich zu tun in diesen Tagen. In der Berliner Wahlkampf-Zentrale der Grünen beobachtet sie Facebook, Twitter und Co. - immer auf der Suche nach möglichen Manipulationen und Falschmeldungen – daher der Spitzname "Feuerwehrfrau."
"Der Klassiker: Jemand nimmt unserer Corporate Design, baut auf der Basis alter Wahlplakate irgendwelche neuen in Photoshop. Er haut irgendwelche Claims drauf – 'Tod dem weißen deutschen Mann' – und dann sieht das so aus, als wäre das ein Grünes Plakat, aber das ist es einfach nicht."
Gut 400 Freiwillige gehören zur "Grünen Feuerwehr" – meist junge Leute, die durchs Netz surfen, und Hass, Hetze und offensichtlich gefälschte Meldungen weiterleiten an Hanna Forys:
"Also wir melden das bei Facebook und bei twitter, meistens über Urheberrechtsverletzungen. Wenn unser Logo drauf ist, das ist der effizienteste Weg."
"Massive Beeinflussungsversuche von außen"
Kurz vor der Europawahl steigt bei allen demokratischen Parteien in Deutschland die Nervosität. Hassmails und Einzelpersonen sind das eine, doch noch größere Sorge lösen mögliche organisierte Kampagnen aus dem Ausland aus.
"Wir sehen einmal eine ganze Reihe von gefälschten Accounts, wo ich finde, dass man auch viel härter gegenüber Facebook und Twitter durchgreifen muss, dass sie das auch löschen. Aber da tun sie viel zu wenig", meint Michael Kellner.
Der Bundesgeschäftsführer und Chefstratege der Grünen verweist auf so genannte Trolle und Social Bots – also automatisierte Nutzerprofile, die oftmals durch bewusst emotionale Botschaften Wähler provozieren oder manipulieren sollen.
"Wir haben jetzt schon mehrfach innerhalb Europas Wahlen erlebt, wo es massive Beeinflussungsversuche von außen gab. Wir haben das ja in Irland gesehen bei der Debatte um das Verfassungsreferendum, wo ganz viel Geld aus rechtsextremen Kreisen in den USA reingeflossen ist. Man hat Falschinformationen in den französischen Präsidentschaftswahlen gesehen. Russland hat da interveniert, auch die Chinesen in der Tschechischen Republik, und das sind schon Sachen, die mir einfach Sorgen bereiten."
"Im Brexit wurde Einfluss genommen, in der amerikanischen Präsidentschaftswahl wurde Einfluss genommen, bei der Katalanenfrage in Spanien" - Manfred Weber, CSU-Mitglied und Spitzenkandidat der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, ist sich völlig einig mit seinem Mitbewerber.
Frans Timmermans, der EU-weit für die Sozialdemokraten antritt, wird aber noch deutlicher: "Das ist wirklich eine Waffe der Russen, um unsere Gesellschaften zu schwächen. Wir müssen uns dagegen wehren, dass andere Länder so wie China und Russland versuchen, über diese Instrumente uns zu spalten."
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
"Desinformation ist weitaus mehr als nur Fakenews"
Wahlwerbespot: "Für ein Europa, das zusammensteht und sich nicht auseinandertreiben lässt. Nicht von den Populisten, nicht von den Tweets mächtiger Männer, nicht von den Rechten. Kommt zusammen für ein starkes Europa" - so spricht Katharina Barley im SPD-Wahlspot zu warmen Klaviertönen freundlich in die Kamera.
Anders als Frans Timmermans lässt die deutsche Spitzenkandidatin allerdings offen, wie sich die EU-Staaten gegen Manipulation und Desinformation wehren sollen.
"Wir haben ja alle ein großes Interesse daran, dass keine manipulative Werbung im Netz stattfindet. Aber wir müssen eben echt aufpassen, dass wir nicht anfangen als Politik an Inhalten im Netz rumzufingern", meint Barley, die auch als Bundesjustizministerin weiterhin im Amt ist.
Die Europäische Union warnt hingegen vor organisierter Desinformation. Die Kommission hat rechtzeitig vor der Europawahl einen Verhaltenskodex verabschiedet. Freiwillig berichten die Online-Plattformen nun regelmäßig über gesteuerte Kampagnen. Dabei geht es oft um besonders umstrittene Themen.
"Da kann man sich vorstellen, dass sie Themen auswählen wie Klima, Urheberrechte oder Migration", erklärt Andreas Kindl, Beauftragter für strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt. Aber: "Ich habe noch nicht mal einen ganz konkreten Fall parat, weil das für uns bisher in der Beobachtung keinerlei besonders große Relevanz hatte."
Auch Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik verweist auf relativ geringe Zahlen, allerdings, sagt die Wissenschaftlerin, stehe die Forschung noch ganz am Anfang.
"Vom Fraunhofer Institut gab es bisher 'nur', muss man sagen in Anführungsstrichen, rund 480 validierte Fälle von Desinformation. Und Desinformation ist weitaus mehr als nur Fakenews. Weil man Personen, politische Parteien, die EU als Ganzes diskreditieren will."
"Nicht nur Russland hat Interesse, die EU zu schwächen"
Auch wenn es in Europa bisher nur wenige bekannt gewordene Fälle gebe, rät Bendiek unbedingt dazu, die Cybersicherheit zu verbessern.
Denn: "Es ist eben nicht nur Russland allein, sondern es haben auch viele andere Staaten ein großes Interesse daran, die Europäische Union zu schwächen. Es ist der größte Binnenmarkt weltweit. Die Regulierung, die von Europa ausgeht, die betrifft eben viele andere multinationale Unternehmen auch."
Ob Wirtschaftsinteressen oder politische Einflussnahme, die zuständige Abteilung beim Europäischen Auswärtigen Dienst in Brüssel beobachtet das Netz gezielt im Hinblick auf mögliche Versuche von Desinformation. Im Auswärtige Amt hält man sich hingegen bewusst zurück, aus Sorge vor einem Schneeball-Effekt.
"Wir geben mit einer Fehlinformation, die wir noch einmal aufgreifen – und selbst wenn wir sie mit Fakten und Tatsachen konfrontieren – geben wir dieser Fehlinformation noch mal mehr Publikum."
Die Bundesregierung wolle deshalb mehr auf eigene Botschaften setzen, sagt Kommunikationsstratege Kindl.
Dem Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner reicht das nicht. Er fordert eine strenge Regulierung von Facebook und Co. – und auch Hanna Forys, die als Netz-Feuerwehrfrau für die Grünen arbeitet, ist manchmal sprachlos angesichts Einflussnahme im Netz.
"Ich würde sagen, es ist einfach die Menge. Also ich bin immer wieder schockiert darüber, wie viel einfach im Umlauf ist. Also wir können dem gar nicht mehr Herr werden, weil die Masse, die produziert wird an Fakebildern über uns, die nimmt halt immer wieder zu."
Die Ergebnisse der Europawahl am kommenden Sonntag werden einen Hinweis darauf geben, welchen Informationen die Wähler vertraut haben.