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Waldenser-Museum in Italien
Ende der Häresie

Italien war nie rein katholisch, auch wenn die italienische Verfassung bis 1984 festschrieb, dass es eine katholische Staatsreligion gibt. Seit dem 12. Jahrhundert leben auch Waldenser in Italien. Jetzt bekommen sie erstmals ein eigenes Museum. Es erzählt die Geschichte ihrer langen Unterdrückung.

Von Thomas Migge | 14.11.2018
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    Die Hauptkirche der Waldenser in Torre Pellice im italienischen Piemont (Imago/CHROMORANGE)
    Ein Konzert mit Kammermusik von Antonin Dvorak - im Publikum sitzen auch einige katholische Geistliche. Anfang des 20. Jahrhunderts wäre es undenkbar gewesen, Priester an diesem Ort zu sehen - selbst zu einem Konzert.
    Die Waldenserkirche an der Piazza Cavour im Herzen Roms, rund 15 Minuten Fußweg vom Petersplatz entfernt, wurde zwischen 1911 und 1913 errichtet. Ein großes weißes Gebäude, dessen Fassade Richtung Petersdom schaut. Ein Unding für Papst Pius X. Dass fast direkt vor seiner Haustüre ein Tempel der Waldenser errichtet wurde, noch dazu mit einer Fakultät und einem Wohnhaus für Studierende, war zu viel für den damaligen Papst. Doch sein permanentes Intervenieren beim Bürgermeister von Rom, das war damals der jüdische Römer Ernesto Nathan, fruchtete nichts, erklärte Paolo Ricca, Doyen der italienischen Waldensertheologen:
    "Diese Kirche, das war damals die einzige Auflage, die wir beim Bau des Gebäudes erfüllen mussten, sollte Tempel genannt werden. So sollten wir uns von der christlich-katholischen Kirche unterscheiden. Nun ja, wir hatten mit dieser Bezeichnung keine Probleme. Viel wichtiger war uns das architektonisch-symbolische vis-à-vis dieses Bauwerks mit dem Petersdom."
    "Anfangs waren sie nur Laienprediger"
    Der energische Widerstand von Pius X. gegen den Bau der Kirche in direkter Nachbarschaft zum Vatikan wird natürlich auch im neuen Museum der Waldenser im nordwestitalienischen Torre Pellice nacherzählt. Torre Pellice ist ein Dorf. Hier leben keine 5000 Menschen. Es liegt malerisch im piemontesischen Valle Pellice. So klein der Ort auch ist: Er ist das Zentrum der etwa 26.000 in Italien lebenden Waldenser. Hier treffen sie sich zu ihren wichtigsten Versammlungen. Claudio Pasquet ist Waldenserpriester und Historiker in Torre Pellice:
    "Die Waldenser sind eine religiöse Bewegung, die im Protest gegen die im 12. Jahrhundert in Frankreich dominierende katholische Kirche entstanden ist, die eine präprotestantische Theologie vertrat und sich schnell in Europa ausbreitete."
    Die Waldenser-Kirche (links) am Piazza Cavour in Rom ist umgeben von Geschäftshäusern, Restaurants und Behördengebäuden.
    Die Waldenser-Kirche (links) am Piazza Cavour in Rom (imago / F. Berger)
    Das Museum erzählt die Geschichte des Lyoneser Kaufmanns Petrus Valdes. Er lebte zwischen 1140 und 1206 und prangerte die Dekadenz und Korruption der Kirche seiner Zeit an, rief zu einer neuen Bescheidenheit und einem direkten Kontakt zu Gott auf - ohne Papst und Amtskirche. Schon bald mussten die Anhänger Valdes', als Häretiker verfolgt, Frankreich verlassen. Sie zogen sich unter anderem in das Val Pellice in Piemont zurück. Aber auch in der Schweiz und ins süditalienische Kalabrien. Claudio Pasquet:
    "Die Waldenser waren anfangs nur Laienprediger, die jede Form von Kirchenhierarchie ablehnten und nur das Evangelium verbreiten wollten. Sie waren davon überzeugt, dass jeder Laie von sich aus das Evangelium lehren kann."
    Langer Kampf um Gleichberechtigung
    Die in dem Museum gezeigten Ausstellungsstücke, darunter auch Originaldrucke und Gemälde aus den verschiedensten Jahrhunderten, erklären, dass es den Waldensern bis ins 16. Jahrhundert hinein vor allem um zwei Aspekte der christlichen Botschaft ging: die unbedingte Treue dem Evangelium gegenüber und das radikale Armutsgebot. Sie akzeptierten nur die Gebote Jesu und widersetzten sich jeder Form von Gewalt. Mit Luthers Reformation wandelten sich die Waldenser und wurden eine Religionsgemeinschaft mit einer Organisation, wie sie noch heute existiert. Historiker Claudio Pasquet:
    "Die Reformation befreite die Waldenser aus ihrem Dasein im Verborgenen: Sie bauten sich eigene Kirchen, verbreiteten ihr Credo und publizierten ihre Schriften, von denen wir hier einige Originale ausstellen. Und das führte natürlich zum frontalen Zusammenstoß mit der katholischen Kirche und den ihr ergebenen Fürsten."
    Der Wanderprediger Petrus Valdes als Skulptur am Martin-Luther-Denkmal in Worms
    Der Wanderprediger Petrus Valdes als Skulptur am Martin-Luther-Denkmal in Worms (imago stock&people/UnitedArchives)
    Zahlreiche Dokumente im Museum erzählen etwa die brutale Geschichte der "Pasque piemontesi": 1655 ermordete das Heer des Herzogs von Savoyen fast 2000 Waldenser. 1685 wurden die Waldenser aus Piemont vertrieben. Vier Jahre später kehrten sie zurück – dank der Unterstützung von Wilhelm III. von Oranien, dem neuen englischen König. Er förderte jene religiösen Gruppen, die Opfer der katholischen Politik Frankreichs geworden waren.
    Viel Aufmerksamkeit widmet das Waldensermuseum der Zeit ab dem 19. Jahrhundert: Im Zuge der italienischen Einheitsbewegung erhielten die Waldenser 1848 im Staat der Savoyen in Piemont volle Bürgerrechte. Mit der Vervollständigung der Staatseinigung 1870 wurden die Waldenser im ganzen Land gleichberechtigte Bürger - wie übrigens auch die italienischen Juden. Die Beziehungen zur katholischen Kirche verbesserten sich ebenfalls: aber erst viel später, unter Franziskus. Er war der erste Papst, der, im Jahr 2015 in Turin, den Waldensern einen Besuch abstattete, und, wie im Museum in Torre Pellice in einem Video zu sehen ist, die einst von seiner Kirche verfolgten Häretiker als "Brüder im Glauben" würdigte.