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Walter Grab vor 100 Jahren geboren
Unermüdlicher Kämpfer für Freiheit und Demokratie

Walter Grab wurde mit Studien zu den frühen Demokratiebewegungen in Deutschland zu einem international anerkannten Historiker. Als junger Mann floh er aus Wien vor den Nationalsozialisten nach Palästina und verdiente als Taschenhändler sein Geld. Seine wahre Liebe galt jedoch der deutschen Literatur und Geschichte.

Von Otto Langels | 17.02.2019
    Das Außengelände und einige Gebäude auf dem Universitätscampus in Tel Aviv
    Hier an der Universität Tel Aviv schrieb sich Walter Grab 1958 als Abendschüler für das Geschichtsstudium ein. 1961 legte er das Staatsexamen ab (imago / Frank Brexel)
    "Wenn man mich gefragt hätte, als ich Abitur machte im Jahr 1937, wer bist du? Hätte ich gesagt: Österreicher, hätte ich nicht gesagt Jude, so wie Sie auch nicht sagen würden: Protestant."
    Erinnerte sich der Historiker Walter Grab Jahrzehnte später an seine Jugend in Wien. Dort wurde er am 17. Februar 1919 geboren.
    "Mein Vater hatte eine Lederwarenfabrik, wo etwa 50 Arbeiter tätig waren in Wien. In mäßigem Wohlstand haben wir gelebt, also das bedeutet: jährlich Urlaub, ich konnte aufs Gymnasium gehen."
    Dann folgte im März 1938 der so genannte Anschluss, der Einmarsch deutscher Truppen und die Eingliederung Österreichs in das nationalsozialistische Deutsche Reich.
    "Für mich war ja der Einmarsch der Nazis in Österreich so ungefähr, wenn man heute irgendwo in Deutschland in einer Zeitung liest: Alle Brillenträger werden umgebracht.
    Ich bin Brillenträger. Ich kann nichts dafür, dass ich Brillenträger bin, so ist es nun mal, ich werde umgebracht. Also, wohin, was? Darunter steht eine ganz kleine Notiz: Die Hottentotten retten dich. Dann geht der Brillenträger zu den Hottentotten. So ging ich nach Palästina."
    Der Vater konnte in Tel Aviv mit einem kleinen Laden für Ledertaschen nur mühsam den Lebensunterhalt sichern. Die Familie lebte jahrelang in wirtschaftlichem Elend.
    Festhalten an deutscher Literatur und Kultur
    Den in Europa zurückgebliebenen älteren Sohn brachten die Nationalsozialisten ebenso um wie die Geschwister des Vaters. Trotzdem hielt Walter Grab, wie viele Emigranten, an der deutschen Sprache und Literatur fest. Mit anderen jungen Menschen gründete er einen "Kreis für fortschrittliche Kultur".
    "Das war eine selbstgemachte Universität, wenn ich es leicht ironisch sagen will. Wir haben uns jede Woche getroffen. Und wir haben dort eben jene Schätze der deutschen Literatur und Kultur uns gegenseitig vorgelesen: eben Schiller und Goethe und Heine und viele andere."
    "Ich lebte das Leben eines Anderen"
    Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1951 baute Walter Grab das Familienunternehmen zu einem großen Magazin für Lederwaren aus. Doch anstatt sich abends der Buchführung zu widmen, las er lieber deutsche Romane und Geschichtsbücher und eignete sich so ein breites Wissen an.
    "Nach außen hin habe ich ein Leben geführt, ein ganz achtbares als Kaufmann in Tel Aviv. Und je älter ich wurde, desto weniger wusste ich, warum ich lebe. Ich lebte das Leben eines Anderen."
    1958, im Alter von 39 Jahren, schrieb er sich an der Universität Tel Aviv als Abendschüler für das Geschichtsstudium ein. 1961 legte er das Staatsexamen ab und kam im Jahr darauf mit einem Stipendium nach Hamburg, wo er 1965 promovierte, "so dass also ich auf den fahrenden Lebenszug, der schon ziemlich schnell gefahren ist - Sie wissen, je älter man wird, umso schneller fährt der Zug -, dann bin ich noch aufgesprungen, hab’s noch erwischt gewissermaßen, dass ich wirklich Dozent werden konnte, 1965 Dozent und 1970 Professor für moderne Geschichte an der Universität Tel Aviv."
    Nein zum Bundesverdienstkreuz
    1971 gründete Walter Grab - mit Hilfe des mit ihm befreundeten Bundespräsidenten Gustav Heinemann - das Institut für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv und leitete es bis zu seiner Emeritierung 1986. Als Gastprofessor lehrte er in Duisburg und Hamburg. Die Universität Duisburg verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. Doch als ihm der damalige Bundespräsident Karl Carstens das Bundesverdienstkreuz für seinen Einsatz als engagierter Brückenbauer zwischen Deutschland und Israel verleihen wollte, lehnte er ab. Er hätte die Auszeichnung gemeinsam mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Hans Wissebach erhalten sollen, einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS. Grab sah darin eine Gleichsetzung von Tätern und Opfern.
    Wissenschaftliches Ansehen erwarb sich Walter Grab vor allem mit seinen Studien zu den frühen Demokratiebewegungen in Deutschland, von den "Jakobinern" nach der französischen Revolution von 1789 bis zu den Revolutionären von 1848. Mit seinen Veröffentlichungen machte er auf die fortschrittlichen, aufklärerischen Bewegungen in der deutschen Geschichte aufmerksam.
    "Alle diese Ideen der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit, der Religionsfreiheit, der politischen Gleichheit, alles das ist heute unser Lebensbrot."
    Walter Grab, ein großer, rhetorisch brillanter Gelehrter und unermüdlicher Kämpfer für Freiheit und Demokratie, starb am 17. Dezember 2000 in Tel Aviv.