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Walter Grond: "Sommer ohne Abschied"
Auf dem Land ist's auch nicht besser

Der Ich-Erzähler in Walter Gronds "Sommer ohne Abschied" hat genug vom Großstadtrummel. Mit seiner Familie zieht er raus in die vermeintlich ruhige Provinz. Doch auch hier holen ihn die Krisen der Gegenwart ein: Globalisierung, Rechtspopulismus, Klimawandel. Ein bisschen viel Problemstoff für rund 100 Seiten.

Von Wolfgang Schneider | 26.03.2019
Walter Grond: "Sommer ohne Abschied"
Pulsmesser der nervösen Gegenwart: Der österreichische Schriftsteller Walter Grond (Cover: Haymon Verlag / Foto: Daniela Matejschek)
Stadt oder Land? Das ist eine Frage, an der sich heute wieder die Gemüter erhitzen. Der Erzähler von Walter Gronds neuem Roman, ein Wiener Journalist, ist gerade in ein Kleinstädtchen im weiteren Umland gezogen. Die allgemeine Verunsicherung treibt die Sehnsucht nach der Idylle hervor.

"In der Großstadt war uns alles zu viel und zu schnell und zu unübersichtlich geworden. Die Kinder sollten unbeschwert aufwachsen, angstfrei und wild. Wir würden das selbst gepflanzte Gemüse ernten, die Kirschen und Äpfel von unseren Bäumen pflücken und im eigenen Haus vor allem Chaos der Welt in Sicherheit sein."
Die Sehnsucht nach dem "echten" Leben
Bald aber schwindet die Landlust auch schon wieder. Die zugezogenen Städter werden in der neuen Umgebung misstrauisch beäugt. Bei der Feier mit den Eltern im Kindergarten kommt es zu einem Fall von Muffin-Mobbing: Die kleinen Schoko-Kuchen, die die Frau des Journalisten gebacken hat, werden von niemandem angerührt. Der Ich-Erzähler vermisst zudem die Wiener Cafés und das bunte Gedränge in den Straßen. Auf dem Land wird nun einmal nicht flaniert:
"Man legte die kürzesten Strecken – oft nur die wenigen Schritte zum Nachbarn – motorisiert zurück (…). Nur Zugezogene gingen zu Fuß, so wie auch niemand, der von hier stammte, einen öffentlichen Bus benutzte, abgesehen von den Schülern und den alten Leuten."
Zur Rettung auf dem Land wird jedoch eine neue Freundschaft. Roland Fischer heißt der Mann, der eines Tages die Nähe des Journalisten sucht, seinerseits erfreut über den urbanen menschlichen Zugewinn. Bald treffen sich die beiden regelmäßig, obwohl Roland sehr beschäftigt ist. Aus dem in der Kleinstadt angesiedelten Betrieb, den er von seinen Eltern übernommen hat, hat er eine hochmoderne Fabrik für Lichtkomponenten gemacht. Seine Mitarbeiter wirken fast wie eine Sekte von Auserwählten:
"Kein blasses Volk wie in den Straßen der Kleinstadt, sondern eine bunt gemischte Melange aus Erfolgswilligen und Tüchtigen, ohne äußerlich erkennbare Hierarchie nach Alter und Hautfarbe. Emsige Netzwerker, gewiefte Logistiker, wendige Facility-Manager."
Fabrikbesitzer mit Guru-Appeal
Im Roman erscheint Roland Fischer als charismatischer Unternehmer, faszinierend, aber auch etwas undurchsichtig, irgendwie suspekt. Was hat dieser Mann, der fast wie ein Guru über seine Firma herrscht, zu verbergen?
Walter Grond ist ein Autor, der im kleinen Rahmen aufs Ganze geht. Er hat den Anspruch, in seinen von einer verdichteten Erzählweise gekennzeichneten Romanen die Spannungen und Risse der heutigen Welt abzubilden. Zuletzt hat er vor zwei Jahren den autobiographisch grundierten Roman "Drei Lieben" vorgelegt, der zurückging in die Zeit des Ersten Weltkriegs, als es den Großvater bis nach Aserbaidschan verschlug, wo er in Baku am Kaspischen Meer die Frau seines Lebens kennenlernte.
Vom Völkermord an den Armeniern bis zu den Krisen der Gegenwart war hier ein überzeugender Erzählbogen gespannt; gekonnt verschränkte Grond die Liebesgeschichten mit den politischen Umbrüchen.
Die Flüchtlingskrise erreicht die Kleinstadt
Wenn sein neuer Roman nun aber in der zweiten Hälfte das Geheimnis des Unternehmers Roland Fischer zu ergründen sucht, gerät die Verflechtung von Privatem und Politischen wohl auch aufgrund der Gegenwartsnähe allzu plakativ. Die Zuspitzung beginnt mit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015:

"Nach Orbáns Erklärung, die Grenze Ungarns zu Serbien sei luftdicht verschlossen, hatte sich auch bei uns im Ort eine gewisse Empörung über die Flüchtlingskrise verbreitet."

Das klingt nicht nur merkwürdig hölzern, sondern auch unscharf. Die Empörung richtete sich ja nicht gegen die "Flüchtlingskrise", sondern (je nach Gusto) gegen die Flüchtlinge oder die Politiker, gegen die der Naivität bezichtigten "Gutmenschen" oder gegen die ob ihrer Kaltherzigkeit gescholtenen "Wutbürger".
Genau diese klischeehafte Spaltung der Gesellschaft sucht nun auch die Kleinstadt in Gronds Roman heim. Um den Ressentiments der Provinzler etwas entgegenzusetzen, schreibt der Erzähler einfühlsame Artikel über die gestrandeten Menschen am Wiener Westbahnhof, und seine Frau engagiert sich in der dortigen Flüchtlingshilfe. Mit Therese, der Ehefrau von Roland Fischer, kommt es deswegen bald zu Streitgesprächen, und die klingen leider sehr bemüht und ungelenk:
"An der Straßenecke lungern junge Männer herum, die sind aus Afghanistan, woher sonst. Ich hätte in Wien eine solche Heidenangst um meine Kinder. Das muss ich dir schon deutlich sagen."
Das platzte so aus ihr heraus, so dass sich Therese einen Augenblick später selbst vor ihrer Unbeherrschtheit schreckte. Um diesen Augenblick der Einsicht zu nützen, begann meine Frau, die ausgezehrten Gesichter der Flüchtlinge auf dem Westbahnhof zu schildern, die Kinderaugen.
Und Roland Fischer? Der Ich-Erzähler, der sich selbst in der Überzeugung gefällt, ein "guter Mensch" zu sein, wundert sich über die reservierte Haltung des Unternehmers in der Flüchtlingsfrage und sieht dadurch seinen eigenen Eifer in Frage gestellt. Sind Roland flehende Kinderaugen etwa gleichgültig? Die Freundschaft bekommt Schlagseite, als der Erzähler bei ihm heimliche Sympathien für die Theorien der identitären Bewegung auszumachen glaubt.
Ob Roland wirklich ein, wie es heißt, "schauriges Schattenleben" als Rechter führt, bleibt allerdings im Diffusen. Ungeklärt auch seine Rolle bei einem mysteriösen Missbrauchsvorfall mit einer attraktiven bosnischen Kellnerin, um den sich viele Gerüchte im Ort ranken, der vielleicht aber auch gar nicht stattgefunden hat.
Alle Krisen der Gegenwart auf 110 Seiten
Walter Grond versucht in komprimierter Form relevante Probleme zu verhandeln. Gerade an dieser Ambition verunglückt sein Buch jedoch. Es ist ein einziges plakatives Reizthemenpanorama: der Stadt-Land-Gegensatz, die Gentrifizierung, das moderne Unternehmertum und die Globalisierung, die Flüchtlingskrise und die neuen Rechten. Fehlt eigentlich nur noch der Klimawandel. Und in der Tat, schon der Titel "Sommer ohne Abschied" lässt sich als Anspielung auf die Erderwärmung verstehen.
Im Finale bricht dann als Ouvertüre zukünftiger Klimakatastrophen unverhofft eine Heuschreckenplage über Mitteleuropa und die kleine Stadt herein. Das alles auf gerade mal hundert Seiten! Das hat hier zur Folge, dass der Ich-Erzähler und die Figuren wie schlechte Leitartikel sprechen und von einer Floskel in die nächste stolpern. Man kann nur hoffen, dass der Erzähler Walter Grond in seinem nächsten Werk wieder zur gewohnten Form zurückfindet.
Walter Grond: "Sommer ohne Abschied"
Haymon Verlag, Innsbruck. 120 Seiten, 17.90 Euro