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Wanderungsbewegungen
Migration und Mobilität

Mobilität und Migration sind zwei Seiten derselben Medaille: Menschen verlassen ihr Zuhause, um woanders Fuß zu fassen, ob es nun Arbeitssuchende oder Abenteurer sind, Aussiedler oder Flüchtlinge, Glücksspieler oder Studenten. Allerdings werden die beiden Begriffe sehr unterschiedlich gewertet.

Von Ingeborg Breuer | 10.07.2014
    Einer der täglichen Linienbusse nach Rumänien in Frankfurt am Main. Viele, die hier einsteigen, pendeln regelmäßig zwischen ihrer Heimat und einer Arbeitsstelle in Deutschland.
    "Gerade Befürchtungen im Kontext der EU-Osterweiterung, die damals medial verbreitet worden sind - da sitzen Zigtausende auf Koffern und warten - das hat nicht gestimmt", sagte Professor Markus Ottersbach. (dpa / Boris Roessler)
    "Wenn man auf die grundsätzliche Unterscheidung kommt zwischen Migration und Mobilität, dann reden wir ja bei der Migration allgemein über eine spezifische Form der geografischen Mobilität. Und Mobilität als den allgemeineren Begriff, der zunächst mal nicht unterscheidet, ob Bewegungen temporär erfolgen oder ob sie von der Intention auf Dauerhaftigkeit angelegt sind."
    "Migration und Mobilität" hieß die internationale Konferenz, die vergangene Woche an der Fachhochschule Köln stattfand. Mit beiden Begriffen werden Wanderungsbewegungen von Menschen bezeichnet, die mit einem vorübergehenden oder dauerhaften Wohnortwechsel verbunden sind. Allerdings werden beide Begriffe höchst unterschiedlich gewertet. Professor Thomas Geisen von der Hochschule für Soziale Arbeit der Nordwestschweiz und Mitveranstalter der Tagung:
    "Wenn man mit Hochqualifizierten über Migration spricht, dann fühlen sie sich nicht angesprochen, sie fühlen sich nicht als Migranten, sie sind Hochqualifizierte. ‚Expatriates', sie verstehen sich als mobile flexible Hochqualifizierte."
    Unterscheidung zwischen Migranten und Mobilen?
    Für Professor Markus Ottersbach, Leiter der Kompetenzplattform für Migration und interkulturelle Kompetenz an der Fachhochschule Köln, liegt in der Unterscheidung zwischen Migranten und Mobilen eine unzulässige Wertung:
    "Das sind schon die gesellschaftlichen Diskurse, die eben bestimmte Migranten zu hoch qualifizierten Mobilen machen und bestimmte Migranten zu Armutsflüchtlingen. Und diese Differenzierung in den Diskursen, die halten wir für problematisch, weil das im Grunde nicht mehr passt. Warum soll der Armutsflüchtling ein größeres Problem darstellen als der Hochqualifizierte?"
    Welche "Diskurse" dieser Differenzierung in Hochmobile und Migranten zugrunde liegen, war denn auch ein Thema der Kölner Veranstaltung. Der Mobile, das ist der, der privat wie beruflich immer in Bewegung ist, immer den Erfordernissen einer globalisierten Welt entsprechend. Der Migrant dagegen ist der vermeintlich bedrohliche Andere, der Fremde, dessen Zuzug man ordnungspolitisch gestalten muss.
    "Wenn wir innerhalb von Nationalstaaten schauen, reden viel über die Mobilität von Arbeitskräften, über die Mobilität von Studierenden, wir reden aber nicht davon, dass das auch eine Form von Migration darstellt. Migration wird als internationale Migration verstanden, weil dort aus nationalstaatlicher Perspektive Regulierungsbedarf festgestellt wird und auch Regulierung stattfindet."
    Klassischerweise gilt diese internationale Migration als Ausnahmefall eines normalerweise sesshaften Lebens, als ein einmaliger Wechsel von einer mehr oder weniger geschlossenen Nationalgesellschaft auf einen Platz in eine andere Nationalgesellschaft.
    "Das ganze Ruhrgebiet hat einen Migrationshintergrund"
    "Im Kopf haben wir die Vorstellung, die Gesellschaft sei ein Container, eine Gesellschaft, eine Sprache, eine Kultur, eine Herkunft - gleich: ein Nationalstaat. - Empirisch gab's das nie. Das ganze Ruhrgebiet hat einen Migrationshintergrund."
    Professor Wolf D. Bukow, emeritierter Soziologe an der Universität Köln, verwies in seinem Vortrag darauf, dass ein Nationalstaat mit einer mehr oder weniger homogenen Bevölkerung und einer einheitlichen Sprache zwar eine normative Idee, nie jedoch eine Realität gewesen sei. Dieser Idee liege zugleich das Konzept der Sesshaftigkeit als dem ‚Normalen' zugrunde. Der Normalfall sei aber - immer schon - Mobilität gewesen. Menschen waren stets dazu bereit, aufzubrechen und neue Räume zu erschließen. Urbane Kulturen leben gerade vom Zuzug und Wegzug von Menschen, von der Mischung. Zudem sei Migration heute transnational geworden, sodass Migranten nicht alle Brücken hinter sich abbrechen, sondern vielfältige Beziehungen ökonomischer, sozialer und kultureller Art zu ihren Herkunftsländern aufrecht erhalten.
    "Die Öffentlichkeit denkt in Kategorien des Nationalstaates. Das üben wir seit 200 Jahren, aber klappen tut's nicht und es wird auch nicht klappen. Meine These ist, dass die alte Moderne zu Ende geht, dass die Nationalstaaten am Ende sind, dass sie durch Lokal- und Globalgesellschaft ausgetauscht worden sind. Wir beziehen uns auf das Quartier, auf eine Stadt, in der wir wohnen, ansonsten orientieren wir uns global."
    "Es sind immer die mobil, die auch sehr aktiv sind"
    Nun wurde in Europa die Idee der Nationalgesellschaft und des Nationalstaates mit seinen festen Grenzen durch die Freizügigkeit innerhalb der EU aufgebrochen. Und die Ängste, die mit dieser wachsenden Freizügigkeit verbunden waren, haben sich bislang keineswegs bestätigt.
    "Gerade Befürchtungen im Kontext der EU-Osterweiterung, die damals medial verbreitet worden sind - da sitzen Zigtausende auf Koffern und warten - das hat nicht gestimmt. Ganz im Gegenteil, die Fachkräfte, die gekommen sind, sind auch gebraucht worden. Aber das ist keine Neuigkeit in der Migrationsforschung. Es sind immer die mobil, die auch sehr aktiv sind, die in ihren eigenen Gesellschaften zu den aktiven Teilen der Gesellschaft gehören, die gute Qualifikationen haben, die Fähigkeiten haben, die sie auch an anderen Orten anwenden können."
    Deshalb gelte es, die Hierarchie der Mobilität in erwünschte und nicht erwünschte Mobile zu überdenken. Ein veralteter nationaler Blick verstelle den Blick auf die Realität der globalen Wanderungsbewegungen. Zudem sei, so Markus Ottersbach, weder aus humanitären noch aus demografischen Gründen eine restriktive Migrationspolitik der Bundesrepublik angemessen.
    "Politik denkt noch in diesen alten, ethnischen, nationalstaatlichen Kategorien, um dann diese Bedürfnisse mobiler Menschen einzuschränken. Und da kommen dann vor allem die eigenen Interessen, die vor dem Hintergrund von Wachstumsideologie, Wohlstandsideologie zu erklären sind, zum Vorschein, die vor allem den Menschen, denen es schlechter geht, wenig helfen und letztlich auch den Interessen der Bundesrepublik gerade vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel schaden."