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Warnung vor Aushöhlung des Flächentarifvertrages durch DaimlerChrysler

Engels: Mercedes-Benz ist der erfolgreichste Unternehmensteil des Konzerns Daimler-Chrysler. Gemeinsam mit den Marken Smart und Maybach steuerte die Mercedes Car Group im vergangenen Jahr 3,1 Milliarden Euro zum operativen Konzerngewinn bei. Das ist mehr als die Hälfte. Trotzdem setzt die Unternehmensführung gerade derzeit die Mercedes-Beschäftigten in Stuttgart und Sindelfingen mächtig unter Druck. 500 Millionen Euro sollen eingespart werden oder die Produktion für die C-Klasse geht nach Bremen oder gar direkt nach Südafrika. - Am Telefon ist nun Jörg Hofmann. Er ist Bezirksvorsitzender der IG Metall Baden-Württemberg. Guten Morgen.

Moderation: Silvia Engels |
    Hofmann: Guten Morgen!

    Engels: Im Februar haben Sie nun gerade erst im Südwesten den Pilottarifvertrag für die IG Metall ausgehandelt. Verstößt Daimler-Chrysler mit diesem Ultimatum zur Kostensenkung gegen den Tarifvertrag?

    Hofmann: Ich sehe den Versuch von Daimler-Chrysler, jetzt Kostensenkungen in diesem Umfang durchzusetzen, in keinem Fall mit dem Tarifergebnis von Pforzheim gedeckt. Wir haben dort selbstverständlich Möglichkeiten eröffnet, auch vom Tarifvertrag abzuweichen, aber immer auch in der Abwägung von wirtschaftlichen und sozialen Belangen. Bei einem Unternehmen, wie Sie gerade selber betont haben, das letztes Jahr über drei Milliarden Profit erwirtschaftet hat, das eine hervorragende Umsatzrendite hat, sehe ich die Voraussetzungen nicht gegeben wie auch die Belegschaft und deswegen heute die Protestaktionen.

    Engels: Sie sprechen die größeren Gestaltungsspielräume an, die ja im Tarifvertrag vorgesehen waren. Sehen Sie sich denn jetzt betrogen, weil Daimler-Chrysler dies nutzt?

    Hofmann: Daimler-Chrysler beruft sich nicht auf den Tarifvertrag. Daimler-Chrysler beruft sich auf Entscheidungen im Unternehmen und ich denke sie tun gut daran. Ich denke es ist ein Konflikt, der in der Zeit zu sehen ist, wo er stattfindet, wo Unternehmen insgesamt offensichtlich die Chance für günstig sehen, noch mal nach der Tarifrunde nachzuschießen. Das ist eine Situation, der wir uns gewappnet haben, wo wir auch - hier zumindest im Süden - eine gewerkschaftliche Politik haben, die sagt Pforzheim ja, aber keine Überspitzungen und keine Überlastung der Belegschaften an dieser Stelle.

    Engels: Haben Sie einen Fehler gemacht, damals diesem Pforzheimer Modell so zuzustimmen?

    Hofmann: Nein. Ich bin sehr stark überzeugt von dem, was wir dort vereinbart haben. Es geht jetzt darum, es auch anzuwenden. Ich sehe nur auf der Arbeitgeberseite den Versuch, Pforzheim zu nutzen über das, was dort vereinbart wurde, etwa über eine Abwägung von wirtschaftlichen und sozialen Belangen, über die Notwendigkeit hinaus, zunächst mal betriebliche Möglichkeiten auszuschöpfen, Pforzheim zu missbrauchen, jetzt an tarifliche Mindeststandards heranzugehen. Gerade für Unternehmen wie Daimler-Chrysler, die für den Flächentarifvertrag eine ganz wesentliche Stabilisierungsfunktion haben, ist das eine Problematik, wo wir als IG Metall natürlich hell wach sind.

    Engels: Nun argumentiert ja die Konzernspitze, es gehe überhaupt nicht um den Abbau von Tarifrechten, sondern es geht nur um den Abbau von Privilegien, die gerade im Südwesten noch existierten und die man sich im internationalen Wettbewerb nicht mehr leisten könne?

    Hofmann: Das ist eine These. Der steht zunächst einmal die Entwicklung der Metall- und Elektroindustrie gerade hier in Baden-Württemberg in den letzten Jahren gegenüber, die auch im Bundesvergleich sehr gut ist. Dagegen steht der Erfolg des Unternehmens, der insbesondere hier aus den Werken im Süden kommt. Ich glaube man muss sich mal entscheiden in der Diskussion. Entweder man möchte mehr differenzieren, auch regional differenzieren in den Tarifverträgen, entsprechend auch der Leistungsstärke der Region - und damit hat Baden-Württemberg selbstverständlich auch einen Anspruch und das hat die IG Metall ja auch durchgebracht, günstigere Tarifregelungen durchzusetzen -, oder man möchte den Bundeseinheitstarifvertrag. Ich glaube wir tun gut daran, die Differenzierung beizubehalten, zumal sie auch sachlich in vielen Punkten gerechtfertigt ist, wenn man an die Erholzeitpausen und Schichtregelungen denkt.

    Engels: Sie haben es angesprochen. Gerade im Südwesten gibt es in den Mercedes-Werken besondere Vergütungen, besondere Pausen. Beispielsweise hat das konkurrierende Werk Bremen solche Privilegien nicht. Haben Sie denn nicht Verständnis dafür, dass der Konzern jetzt intern umverteilt?

    Hofmann: Diese Information ist zunächst einmal nicht ganz richtig. Selbstverständlich haben wir auch in Bremen Erholzeitpausen. Dort gibt es keinen tariflichen Anspruch. Es gibt betriebliche Ansprüche auf solche Pausen. Wissen Sie die Arbeitsbedingungen in der Automobilindustrie heute kommen in immer kürzeren Takten, immer höherer Leistungsintensität und dies macht solche Pausen notwendig. Die IG Metall ist dafür verantwortlich, die Arbeitsbedingungen auch an diesen Arbeitsplätzen so zu gestalten, dass Menschen ihr Leben lang daran auch ohne ihrer Gesundheit zu schaden arbeiten können. Deswegen sind Erholzeitpausen keine Privilegien, sondern notwendiger Bestandteil einer einigermaßen humanen Arbeitsorganisation.

    Engels: Aber wenn das Werk Bremen jetzt möglicherweise die Produktion für die C-Klasse bekommt, weil sie preiswerter produziert, dann muss das doch die IG Metall im Bereich Küste interessieren?

    Hofmann: Die Kollegen in Bremen sind sehr solidarisch, weil sie wissen, dass wenn es Daimler-Chrysler in Sindelfingen oder anderswo gelingt, Tarifstandards nach unten zu drücken, morgen der Konzern vor ihrer Tür steht und weiter versucht, die Schraube nach unten zu drehen. Deswegen gehen wir als IG Metall und auch die Betriebsräte hier sehr solidarisch vor, auch heute bei den Aktionen. Ich glaube dieses Spiel klappt nicht bei den Daimler-Chrysler-Belegschaften. Das wird das Management, der Vorstand auch einsehen müssen.

    Engels: Sehen Sie mittelfristig den Flächentarifvertrag durch dieses Verhalten unterhöhlt?

    Hofmann: Die Gefahr besteht dann, wenn Daimler-Chrysler sich in dieser Frage durchsetzt. Wenn ein Unternehmen, das hoch profitabel wirtschaftet, sich durchsetzen könnte in der Absenkung tariflicher Mindeststandards, dann wäre das sicherlich für die Fläche, für viele kleinere und mittlere Unternehmen ein schlechtes Zeichen. Deswegen hat die IG Metall ja auch die Verantwortung, dieses Zeichen nicht zuzulassen.

    Engels: Jörg Hofmann war das. Er ist der Bezirksvorsitzende der IG Metall Baden-Württemberg. Ich bedanke mich für das Gespräch.