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Warnung vor nachlassender Bereitschaft zur Organspende

Friedbert Meurer: In Deutschland sterben jährlich Hunderte von Patienten, weil sie vergeblich auf eine Organspende warten, eine Niere oder eine Leber. Und weil es zu wenig Spenden gibt, müssen sich die Verantwortlichen jetzt kritische Fragen gefallen lassen. An der Uniklinik Mainz haben sie voreilig die Organe einer Spenderin freigegeben, obwohl die Frau an Tollwut infiziert war. Die Ärzte hätten das nicht wissen können, es wird nicht auf Tollwut getestet bei Organen. Aber eine Frau in Marburg ist daran gestorben. Sie bekam eine Niere der Verstorbenen und gestern auch noch ein zweiter Patient. Mit einem dritten Todesfall wird auch noch gerechnet. Ein sehr bitterer Fall, der Fragen nach der Praxis von Organspenden aufwirft. Darüber möchte ich mich unterhalten mit Professor Dr. Kirste. Er ist Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Guten Morgen Herr Kirste.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Günter Kirste: Guten Morgen.

    Meurer: Sie sind selbst Chirurg, wie sehr erschüttert Sie ein solcher Fall?

    Kirste: Ja, sehr. Das ist schon deshalb, weil es ein so schreckliches Ereignis ist, dass durch eine Spende, die gut gemeint und gut gewollt ist und dazu führt, dass Menschen sterben. Und das ist alleine von dem Schicksal her eine schreckliche Geschichte. Auf der anderen Seite ist aber auch, muss man sagen, die Situation der Angehörigen der Spenderin sehr beeindruckend und macht einen sehr betroffen, weil die auch in dem Gedanken leben, sie hätten etwas Gutes gewollt. Und etwas Schlimmes ist daraus geworden.

    Meurer: Sind Fehler gemacht worden?

    Kirste: Nein, ganz sicher nicht. Man kann nicht auf Tollwut untersuchen. Das ist schlichtweg unmöglich. Es gibt keine Tests, die das beweisen können. Und auch an dem Fall hat man jetzt ja gesehen, wo wir bereits den Verdacht hatten, haben wir noch drei Tage gebraucht, um es überhaupt nachweisen zu können.

    Meurer: Was halten sie von der Forderung, dass Schnelltests auf Tollwut für Organspenden eingeführt werden sollen?

    Kirste: Das ist ja eine Initiative, die geht von mir aus. Wir haben gesagt nach diesem Fall, dass wir uns jetzt doch noch einmal mit den Experten zusammensetzen sollten, um solche Schnelltest eventuell zu entwickeln. Nur nach allem, was ich bisher gehört habe, hat es geheißen: Punkt Eins, es gibt nirgendwo auf der Welt solche Tests bisher und auch die Entwicklung ist außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Dennoch muss die Frage noch einmal ventiliert werden.

    Meurer: Zu dem Fall an der Uniklinik Mainz, Herr Kirste: die Frau war drogensüchtig, das war den Ärzten bekannt und die Todesursache war unsicher. Hat man da vorschnell die Organe zur Spende freigegeben?

    Kirste: Auch das kann man ganz klar verneinen. Erstens, sie war nicht drogensüchtig. Sie hat Drogen genommen. Sie hat auch nur orale Drogen genommen, solche, die man schnupfen kann - keine IV, also keine intravenös zu spritzenden Drogen. An dem Punkt werden wir immer vorsichtig auch nicht wegen den Drogen, sondern wegen der meistens Benutzung von nicht sauberen Spritzen und der Infektionsmöglichkeit. Aber Drogen an sich sind kein Ausschlussgrund für eine Organspende. Auch der Alkohol ist kein Ausschlussgrund, selbst nicht für eine Leberspende, wenn die Leber noch gut ist.

    Meurer: Was sagen Sie zu den Vorwürfen insgesamt? Wird zu lasch geprüft?

    Kirste: Es wird nicht lasch geprüft. Auch das ist nicht richtig. Die Bundesärztekammer hat eine Richtlinie erlassen, in der eine Fülle von Untersuchungen eine nach der anderen aufgeführt ist, die gemacht werden müssen. Das geht von Laboruntersuchungen über Herzecho und so weiter bis hin zu Infektionsuntersuchungen. Nur es bleibt so, dass wir nicht alles testen können. Und wir können zum Beispiel auch nicht testen, wenn sich einer in den letzten zwei Wochen vor seinem Tode an einer Hepatitis infiziert hat. Da gibt es keinen Test, der das beweist.

    Meurer: Besteht ein Risiko darin, Herr Kirste, dass in einer Situation, in der Organe für eine Spende oder für Spenden bereitgestellt werden sollen, sehr wenig Zeit zur Verfügung steht?

    Kirste: Das ist natürlich vollkommen richtig, man hat eben nur sehr kurze Zeit. Sie müssen bedenken, ein Herz kann nur etwa vier bis sechs Stunden außerhalb des Körpers verbleiben und muss dann wieder implantiert werden. Das heißt, die Zeit, die zur Verfügung steht, um solche Untersuchungen zu machen, ist sehr, sehr kurz. Aber auch wenn wir längere hätten - um das noch einmal ganz klar zu sagen - auch wenn wir lange Zeit hätten, gibt es keine Tests gegen alle Erkrankungen.

    Meurer: Was sagen Sie zu dem Berichten, selbst infizierte Organe würden in Ausnahmefällen transplantiert?

    Kirste: Das zeigt die Not der Patienten auf der Warteliste. Es gibt genügend Patienten, die zum Beispiel an einer Beatmung auf der Intensivstation liegen und auf ein Herz warten und die jeder Zeit ein Hepatitis C-infiziertes Organ für sich akzeptieren würden, wenn sie es nur bekämen. Weil sie wissen, dass sie so nur eine Chance haben von ein, zwei Wochen noch. Und wenn sie Hepatitis C bekämen, die hat ein Verlauf von fünf bis zehn Jahren, dann ist das für die Menschen dennoch ein gewaltiger Gewinn.

    Meurer: Für die Werbung von Organspenden, also dazu, dass man die Bevölkerung auffordert, mehr Spendeausweise zuzulegen und seine Bereitschaft damit zu erklären, sind die Krankenkassen und die Gesundheitsämter zuständig. Sind sie mit deren Werbetätigkeit zufrieden?

    Kirste: Nein, überhaupt nicht. Ich meine, das ist eine Verpflichtung, die im Transplantationsgesetz formuliert ist und die Institutionen, die dazu verpflichtet sind, dem nur sehr peripher nachkommen. Wenn man überlegt, welche Kampagnen angestellt worden sind, um über Aids aufzuklären, im Fernsehen und so weiter. Im derartigen Umfang wäre das für die Organspende auch nötig, zumal das Problem zahlenmäßig inzwischen eine Bedeutung hat. Mehr als Tausend Menschen sterben im Jahr auf der Warteliste, weil sie keine Organe bekommen.

    Meurer: Also mehr Geld, mehr Anzeigen schalten?

    Kirste: Mehr Geld ist dazu sicherlich nötig, vor allem mehr Anzeigen schalten. Es ist aber ja so, dass viele öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten, Rundfunkanstalten ja auch bereit sind, das kostenlos zu machen. Also, da muss man Wege finden. Es muss ein größeres öffentliches Bewusstsein geschaffen werden, dass jeder bereit ist zur Spende.

    Meurer: Was sagen Sie dazu, dass selbst Ärzte auf den Intensivstationen, nicht immer bereit sind, daran zu denken, dass beim Verstorbenen die Organe für eine Spende infrage kommen?

    Kirste: Das ist ein ganz großes Problem. Vierzig Prozent der Intensivstationen in Deutschland melden nie einen Organspender. Und das ist ein Problem, das wir als DSO nun massiv angehen müssen. Es liegt natürlich daran, dass die Intensivärzte gerade maximal überfordert sind. Es liegt aber auch daran, dass leider immer noch Kolleginnen keine genügenden Informationen über die Organspende haben und vielleicht auch nicht wissen, dass die DSO bereit ist zu helfen. Der Fall ist so selten auf jeder Intensivstation, nur wir sorgen dafür. Ein Anruf bei uns und wir kommen dort hin mit einem Kollegen, der denen hilft in der gesamten Organisation.

    Meurer: Wie ist es möglich, dass solche Profis nicht über das Prozedere informiert sind?

    Kirste: Die Profis von Seiten der DSO sind informiert.

    Meurer: Nein, ich meine die Profis in der Intensivmedizin, die Chirurgen.

    Kirste: Ja, das ist eine Frage der Aufklärung der einzelnen Krankenhäuser. Und da müssen die Krankenhäuser mehr tun.

    Meurer: Warum tun die nicht mehr?

    Kirste: Das ist eine Frage, die müssten Sie im Prinzip der Deutschen Krankenhausgesellschaft stellen. Aber das ist sicherlich eine ganz große Krux, dass das noch nicht genug publik ist.

    Meurer: Das war Professor Günter Kirste, Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Herzlichen Dank.