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Warum die USA und Russland sich zusammenraufen

Die USA und Russland wollen gemeinsam eine Syrien-Konferenz organisieren. Die israelischen Angriffe auf Syrien und die Entwicklung des Bürgerkrieges zwingen beide Seiten zu diesem Schritt, sagt der Politologe Markus Kaim. Weder Russen noch Amerikaner wollten eine regionale Eskalation des Konfliktes.

Markus Kaim im Gespräch mit Dirk Müller | 08.05.2013
    Dirk Müller: Guten Tag nach Berlin!

    Markus Kaim: Ja, schönen guten Tag nach Köln!

    Müller: Herr Kaim, ist Russland plötzlich weichgespült?

    Kaim: So würde ich das nicht sehen, aber ich glaube, auch der russischen Führung ist klar geworden, dass aufgrund der Entwicklungen der letzten Wochen dem faktischen Verfall Syriens, der zunehmenden oder fast zugespitzten religiösen Aufladung des Konfliktes und der Tatsache, dass der syrische Bürgerkrieg längst auch die umgebenden Länder ergriffen hat, es zu einer regionalen Eskalation gekommen ist, die nicht im russischen Interesse liegt, und am Ende des Tages, wenn man jetzt diplomatisch nichts unternimmt, letztlich auch russische Interessen geschädigt werden können.

    Müller: Warum lag das denn im russischen Interesse, monatelang, jahrelang Baschar al-Assad zu unterstützen?

    Kaim: Es gibt verschiedene Gründe – rechtliche, strategische, militärstrategische Dimension ist der Truppenstützpunkt, der Marinestützpunkt Russlands in Tartus, der einzige Marinestützpunkt im Mittelmeer, der Russland sozusagen einen strategischen Zugang zum Mittelmeer gewährt hat und der letztlich durch die Systemstabilität des Regimes Assad gesichert ist. Ganz viel wichtiger ist aber noch die verhärtete russische Position in der Frage Einmischung der internationalen Staatengemeinschaft in innere Angelegenheiten eines Staates. Da ist Russland vor wenigen Jahren – Beispiel Libyen – etwas konzilianter gewesen, ist aber auf eine traditionelle Position zurückgekehrt, und wenn man das alles kombiniert, dann kommt man zu dieser russischen Haltung der letzten Monate.

    Müller: Schauen wir noch einmal auf den Abend zurück, gestern Abend spät ist es geworden beim Besuch des neuen amerikanischen Außenministers John Kerry. Seine Vorgängerin, Hillary Clinton, hat das häufig versucht, John Kerry hat es jetzt geschafft als der neue Mann im State Department in Washington. Wie groß ist der Anteil von John Kerry?

    Kaim: Es gibt so vielleicht eine Neigung, bestimmte Entwicklung in der internationalen Politik zu personalisieren. Ich würde das nicht so weit treiben, aber Ihr Verweis ist schon richtig, wir haben das in einem anderen Zusammenhang gesehen, nämlich bei seinen Bemühungen, den israelisch-palästinensischen Verhandlungsstrang wieder in Gang zu bringen, dass er ganz offensichtlich der Ansicht ist, dass es bestimmte prioritäre Interessen und Angelegenheiten der amerikanischen Außenpolitik gibt, die sozusagen Chefsache sind. Und er ist dann zwischen den jeweiligen Hauptstädten hin- und hergependelt, bislang noch ergebnislos. Aber es hat unterstrichen, dass er er da bereit ist, sich sehr persönlich für eine bestimmte Sache zu engagieren, das ist so die persönliche Dimension, darüber hinaus ist aber auch, glaube ich, der amerikanischen Administration klar geworden, dass sie jetzt irgendetwas tun kann. Sie hat sich mit dem Verweis auf die sogenannten roten Linien, also dem Chemiewaffeneinsatz in Syrien, selber in eine Sackgasse manövriert und muss jetzt versuchen, die diplomatische Oberhand wieder zu gewinnen. Und da ist eben der Versuch, jetzt mit Russland zusammen eine internationale Konferenz zu organisieren, losgelöst von der Frage, was dabei rauskommen wird, oder ob sie wirklich bis Ende Mai stattfinden wird, eine willkommene Gelegenheit, und tatsächlich, sie erlaubt ja auch – falls diese Konferenz nicht zustande kommen wird, oder ergebnislos bleiben wird –, dann zu verweisen und zu sagen, wir haben alles versucht, und am Ende des Tages bleibt doch nur (unverständlich)

    Mit der "roten Linie" hat sich Obama "in eine Sackgasse manövriert"
    Müller: Jetzt weiß ich nicht, Markus Kaim, ob das als Politikwissenschaftler schwerfällt, die Personen so als Persönlichkeit mit in den Fokus zu nehmen. Ich möchte Sie aber dennoch jetzt hier in unserem Gespräch ein bisschen dazu zwingen, noch einmal auf die Person John Kerrys zu blicken. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, spielen Personen ein bisschen überspitzt formuliert jetzt doch keine entscheidende große Rolle.

    Kaim: In der Tat, wir stellen häufig fest, in der internationalen Politik, dass die Medien, aber auch die öffentliche Meinung auf die Leistung einzelner Personen schaut und darauf abhebt, dass in einer bestimmten Krisensituation einzelne Personen einen Unterschied gemacht haben. Wir stellen aber häufig fest, dass es die strukturellen Rahmenbedingungen sind. Und im Falle Syrien sehen wir zum Beispiel an der traurigen Rolle der beiden Sondervermittler – im vergangenen Jahr noch Kofi Annan, oder jetzt Lakhdar Brahimi –, die ergebnislos, trotz ihrer internationalen Reputation, trotz ihres diplomatischen Geschickes, ergebnislos ihre Mission beendet haben beziehungsweise im Falle Brahimi das in den letzten Tagen angedroht haben. Da sind dann die strukturellen Rahmenbedingungen so, dass sie kaum das leisten konnten, was wir alle von ihnen erhofft haben.

    Müller: Also muss es um bessere Erkenntnisse, um andere Analysen, um andere Hintergründe gehen?

    Kaim: Am Ende des Tages geht es tatsächlich wie so häufig um den ganz profanen politischen Willen und dann um politisches Kalkül und eine politische Interessenslage. Und die haben wir am Anfang angesprochen, dass es im Falle Russlands, aber auch im Falle der Vereinigten Staaten in den vergangenen Monaten aufgrund der Ereignisse in Syrien und in der Nachbarschaft Syriens, also konkret Libanon, aber auch konkret die israelischen Luftangriffe der vergangenen Woche, offensichtlich zu einem veränderten Kalkül gekommen ist, dass man festgestellt hat, dass die Entwicklung die eigenen Interessen schädigt, und das hat, glaube ich, die Tür zu dieser Initiative eröffnet.

    Müller: Dann reden wir, Markus Kaim, noch einmal, das, was Sie auch schon erwähnt haben, die rote Linie, die Barack Obama gesetzt hat. War das etwas zu früh, war das etwas zu klar, weil vielen ja auch klar war, beziehungsweise viele haben das behauptet, daraus können keine Konsequenzen erwachsen?

    Kaim: Er hat sich damit selber in eine Sackgasse manövriert, die ja nicht nur von den Republikanern, sondern auch von den Demokraten jetzt heftig kritisiert worden ist. Er ist sehr leichtfertig damit umgegangen und hat das zu einem Zeitpunkt, diese rote Linie, also konkret den damals vermuteten oder angedachten Chemiewaffeneinsatz des syrischen Regimes gegen die Aufständischen zu einem Zeitpunkt als rote Linie bezeichnet, wo eigentlich niemand richtig davon ausgegangen war, dass Präsident Assad wirklich dazu bereit wäre, und hat sich damit selber unter Druck gesetzt, und hat etwas gemacht, was die Politik in der Regel ja zu vermeiden sucht, nämlich sie versucht sich ja in der Regel alle Handlungsoptionen offenzuhalten.

    Und genau das Gegenteil ist der Fall gewesen, und es ist ja ein nahezu Gesichtsverlust der vergangenen Tage, zwei Wochen gewesen, dass die Administration in nahezu entwürdigender Weise immer wieder erklären muss, ja, es hat sich um einen Chemiewaffeneinsatz gehandelt, aber er war nicht groß genug, und ganz sicher sind wir auch nicht, und es ist kein Automatismus gemeint gewesen, sodass letztlich die Glaubwürdigkeit der Syrien-Politik Präsident Obamas erheblich gelitten hat und diese Initiative jetzt mit Russland versucht, diese Sackgasse, oder versucht, die amerikanische Politik aus dieser Sackgasse heraus zu manövrieren.

    Widersprüchliche Informationen haben die Rolle der UNO unterminiert
    Müller: Es ging ja nicht nur um Washington, es ging ja auch um New York, es ging auch um die UNO, auch von dort gab es unterschiedliche, widersprüchliche Signale mit Blick auf die Chemiewaffen. Was ist da schiefgelaufen?

    Kaim: Das kann ich von außen schwer beurteilen, aber Sie haben völlig recht, das ist ein sehr rätselhaftes Kapitel, dass also die Sonderermittlerin Carla del Ponte nachmittags zu Protokoll gibt, ohne Beweise vorlegen zu können, dass die Rebellen ebenfalls Chemiewaffen eingesetzt hätten, und wenige Stunden eine andere UN-Unterorganisation genau das Gegenteil behauptet beziehungsweise ihre Befunde zurückweist. Was da konkret schiefgelaufen ist, ist von außen schwer zu beurteilen, aber es hat auch die Rolle der internationalen Gemeinschaft, konkret in diesem Falle der Vereinten Nationen, weiter unterminiert.

    Müller: Jetzt haben wir, Herr Kaim, auf unserem Spickzettel hier in der Redaktion noch dick unterstrichen, die israelischen Angriffe, die es gegeben hat, gestern, vorgestern, man weiß das auch nicht so genau, in Richtung Syrien, in Richtung syrische Militärstellungen – wie belastend ist das für das, was sich jetzt auf der anderen Seite zwischen Moskau und Washington abspielt?

    Kaim: Ich glaube, so paradox das klingen mag, es ist gar keine Belastung, sondern ich habe es ja versucht anzudeuten. Ich glaube, das ist ein Treiber der Entwicklung gewesen, denn sowohl der russischen Führung als auch der amerikanischen Führung ist sehr schnell klar gewesen, auch wenn das militärische Eingreifen Israels unter anderen Vorzeichen erfolgt als eine humanitäre Intervention der internationalen Gemeinschaft, die im Falle Syriens gefordert wird, hier geht es ja um konkret die nationalen Interessen Israels, droht aber dennoch angesichts der Tatsache, dass wir es ja bereits mit einem Staatszerfall Syriens zu tun haben, sich diese Situation fortzuführen, also Israel wird auch zukünftigen Waffenlieferungen an die Hisbollah-Miliz im Libanon durch Syrien hindurch nicht zuschauen. Und wenn jetzt nichts passiert, wenn es nicht zu einer Form eines politischen Arrangements – ich sage bewusst nicht Lösung – kommt, droht eine permanente militärische Austragung dieses Konfliktes, und das ist niemandes Interesse.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk, Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke für das Gespräch!

    Kaim: Gerne!

    Müller: Einen schönen Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.