Heuer: Deutschland ist auf Platz sechs, Österreich auf Platz 27 gelandet in Athen, wären Sie gerne an unserer Stelle heute früh?
Schneider: Keineswegs, weil ich bin ja wahnsinnig stolz auf diesen 27. Platz. Sie müssen sich überlegen, Österreich ist im Fußball mit Mühe unter den ersten hundert in dieser Welt. Also, dass man bei den Olympischen Spielen 27. wird ist zunächst einmal ganz toll. Und was die deutsche Aufregung betrifft, so ist sie die konsequente Fortsetzung dieser ganzen Olympiahysterie, denn nüchtern betrachtet ist Deutschland die beste europäische Nation in diesem Medaillenspiegel, wenn man Russland einerseits nicht zu Europa zählt oder andererseits bedenkt, dass ja dort noch die diktatorischen Strukturen funktionieren im Sport, also da ist ja noch die Kaderschmiede, glaube ich, intakt.
Heuer: Wie kommt es dann, Herr Schneider, dass die Deutschen einfach nicht stolz auf sich selber sein können, oder sich zumindest sehr freuen können?
Schneider: Ja, das ist schwer, das zu erklären, da müsste man ein tiefenpsychologisches Seminar veranstalten. Ich weiß auch nicht, warum man nicht gelassener ist. Warum man zum Beispiel dieses so genannte Leichtathletikdebakel ganz locker sieht, indem man sagt, auf der einen Seite haben wir die DDR zum Glück nicht mehr, und dadurch aber natürlich diese medizinische konsequente Heranbildung von Weltrekordlern verloren, auf der anderen Seite sind wir ja nicht im Umgang mit dem Doping derartig organisiert geschickt wie die das damals waren. Das ist ja kein Grund zum Jammern. Heute in der Leichtathletik hinten nach zu laufen ist eigentlich ein Adelsprädikat.
Heuer: Dann versuche ich mal einen Erklärungsversuch. Für die Deutschen gilt die Devise ganz oder gar nicht, dabei sein ist alles, scheint nicht so wichtig zu sein, kann das daran liegen, dass wir uns generell nicht zugehörig fühlen?
Schneider: Ja es sind historische Traumata da. Ich weiß nicht, wie es vor den Zeiten der historischen Traumata war. Aber jetzt ist es ja nun wirklich so, dass man unglaublich der beste sein will, das setzt sich in allen anderen Bereichen fort. Der Sport spiegelt ja nur, was sich in der Ökonomie oder in der Soziologie abspielt.
Heuer: Ja und in der Ökonomie und der Soziologie geht es auch gerade richtig gut zugange in Deutschland die Hartz-Demonstrationen haben wir zum Beispiel, vor allem die Ostdeutschen gehen ja in Massen gegen die Arbeitsmarktreform auf die Straße, auch hier ein mangelndes Zugehörigkeitsgefühl möglicherweise zum gewachsenen Wohlstand im Westen?
Schneider: Na, erstens einmal sind diese Regierenden, wer es auch immer ist, entweder nicht in der Lage oder zu arrogant, um zu vermitteln, was passiert. Also man muss doch in der Lage sein, einer breiten Population klar zu machen, auf welchem Niveau gejammert wird. Das ist das eine, das zweite ist, dass man natürlich eine Sozialreform, wie nötig sie jetzt auch immer sein mag, wie gerecht sie auch immer sein mag, nicht unter dem urdeutschen Namen Hartz IV verkaufen kann. Das ist ja Suizid. Das ist ja ein Hasswort. Jeder Mensch, der Hartz IV hört, das Wort Hartz IV, kriegt automatisch eine Aggression auch wenn er keine Ahnung hat, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Wenn man einen Werbefachmann oder einen Marketingfachmann fragt, dass da eine problematische und differenzierte Geschichte an das Volk zu bringen ist und man nennt es Hartz IV, dann beantragt der eine Entmündigung.
Heuer: Das versucht die Bundesregierung ja jetzt, mit Fachleuten diese Gesetze besser zu vermitteln.
Schneider: Im Nachhinein, im Nachhinein, das ist ja zu spät. In der Ökonomie hat man sich rechtzeitig darauf geeinigt, dass man Entlassungen Freistellungen nennt, nicht, oder im Waffenhandel heißen Panzer Kettenfahrzeuge. Also dieser Betrug ist doch das mindeste, was man von einem Betrüger verlangen kann.
Heuer: Herr Schneider, unbenommen, dennoch die Frage, jammern die Deutsche gewohnheitsmäßig auf hohem Niveau?
Schneider: Der Jammer ist nicht auf hohem Niveau, der Jammer hat ein ganz mieses Niveau aber sie jammern auf hohem Niveau ganz mies.
Heuer: Ist Jammern, Mäkeln und Motzen auch für etwas gut, Herr Schneider?
Schneider: Naja, wenn es zur persönlichen Hygiene dient. Also wenn man sagt, so wie man sich jeden Tag die Zähen putzt, sagt, ich brauche ein gewisses Quantum an Meckerei, in Österreich nennt man das Raunzen, dann mag das ja noch angehen. Aber wenn man seine eigene Lebensqualität damit tot redet und wenn man nicht begreift, dass diese Lebensqualität, die wir heute haben ja ohnehin eine Fiktion ist, ein Mythos von 15 Generationen geborgt, dass diese Lebensqualität ja ohnehin in einem gigantisches Desaster, in einer Monsterpleite münden wird. Ich muss sagen, wenn man das nicht weiß, dann sollte man lieber nicht Maunzen.
Heuer: Andererseits haben wir jetzt vielleicht Hoffnung, denn die Deutschen haben in Athen überraschend im Mannschafts- besser als im Einzelsport abgeschnitten. Ist der Mannschaftssport im Kommen?
Schneider: Ich finde ja generell, also wenn wir jetzt sozusagen an unsere Jugend zurückdenken, und sagen, was war das Wichtigste eigentlich, dann war es die Geborgenheit in einem Club. Ich weiß, das klingt ein bisschen verdächtig. Aber ich meine das so, dass man heute weiß, das ist mein Eishockeyverein und das ist mein Fußballverein und das ist meine Mannschaft und innerhalb der Mannschaft bin ich für etwas verantwortlich. Ich glaube doch, dass da eine ganz große, das Wort muss man immer vorsichtig gebrauchen, pädagogische Qualität drin ist wenn man sich in einer Mannschaft bewegt und für die Mannschaft arbeitet. Während die großen Solisten, machen wir doch wieder den Sprung in die Ökonomie, die großen Solisten enden halt dann als Mannesmannpensionisten und kriegen dann den großen Freispruch.
Heuer: Und die Gemeinschaft, die Mannschaft könnte auch unser Staat heißen.
Schneider: Ja, das ist jetzt wieder ein bisschen gefährlich, weil der Staat ist dann ein Begriff, wenn ich sage der Staat ist meine Mannschaft, das kann in eine Art Nationalismus übergehen, der etwas ungutes ist. Mir sind die Mannschaften innerhalb des Staates lieber.
Heuer: Was brauchen die Deutschen am dringendsten, Herr Schneider, von wem sollten wir uns vielleicht in Europa eine Scheibe abschneiden.
Schneider: Die Deutschen sollten sich von niemandem eine Scheibe abschneiden. Die Deutschen sollten einfach lockerer damit umgehen, mit dem, was sie können und mit dem, was sie nicht können. Und wenn sie das zueinander in Relation setzen dann wird übrigbleiben, dass sie eine ganze Menge können. Man darf ja nie selbstzufrieden sein, wie wir wissen, aber sich zu zerfleischen, ist ja sinnlos.
Heuer: Gibt es etwas, was wir von den Österreichern lernen sollten?
Schneider: Ja, dass der Kleinstaat grundsätzlich begabter ist, als der große. Aber das zu lernen, haben die Deutschen die historische Chance nicht.
Heuer: In der Tat. Werner Schneider österreichischer Kabarettist war das im Gespräch im Deutschlandfunk. Danke, Herr Schneider.
Schneider: Guten Morgen.