Liminski: Herr Wulff, die Bildungsrechnung von Gabriel scheint aufzugehen. Liegt das im Interesse des Landes als auch in Ihrem Interesse?
Wulff: Ich denke, dass das ja keine neuer Steuer ist, sondern eine unbürokratischere Form der Erhebung der ohnehin steuerpflichtigen Zinseinkünfte, und damit ist es eine alte, kluge Forderung der Union, die allerdings nur im Zusammenhang mit einer großen Steuerreform mit Steuersätzen von 15 bis 35 Prozent Sinn macht, denn dieses Auseinanderfallen von 25 Prozent zum Spitzensteuersatz um 50 Prozent dürfte verfassungswidrig sein. Das werden die nächsten Tage noch zeigen und von daher sind weitere Reformen erforderlich. Im übrigen bin ich dankbar, dass der Bundesrat in dieser Woche unter Beweis stellt, dass die Union dort einen sehr positiven Einfluss ausübt. Die Wiedereinführung von 400-Euro-Minijobs hat das Hartz-Konzept nicht vorgesehen. Das ist eine Forderung der Union. Auch die Absetzung von Sozialbeiträgen zwischen 400 und 800 Euro entspricht exakt dem Dreisäulenmodell, das Edmund Stoiber und ich im Frühjahr dieses Jahres in Berlin vorgestellt haben, und dass jetzt wieder haushaltsnahe Dienstleistungen von der Steuer absetzbar sind, ist immerhin die Annäherung an die damalige, gute CDU-Politik mit sehr viel höheren Beträgen, die als Dienstmädchen-Privileg diffamiert wurde. Da wo wir nicht gefordert sind, wo es nicht zustimmungspflichtig ist, wie bei der Zeitarbeit, dort macht Rot-Grün weiter großen Unsinn und kostet 10.000 von Menschen ihren Job, denn die Regulierung der Zeitarbeit ist großer Unsinn.
Liminski: Herr Wulff, wenn ich Sie recht verstehe, dann ist die Abgeltungssteuer also noch nicht beschlossene Sache?
Wulff: Die Abgeltungssteuer wird von der Union unterstützt werden, weil sie eben unbürokratisch ist, aber sie muss, damit sie verfassungsgemäß ist, weitere Schritte nach sich ziehen, zu denen Rot-Grün überhaupt nicht bereit ist. Die wollen ja sogar die nächsten Stufen der Steuerreform wieder in Frage stellen, wie einzelne Äußerungen aus der Regierungskoalition klar machen. Sie haben weitere Steuererhöhungen beabsichtigt und damit verschlimmern sie die Situation in unserem Land und führen auch eher zu weiterer Kapitalflucht. Es wird vielleicht weniger eingehen als heute durch die Versteuerung der Zinsen eingeht, denn die Steuersätze werden ja für viele nachhaltig gesenkt.
Liminski: Aber das Hauptanliegen war doch, mehr Geld für den Bildungsbereich zu gewinnen. Das kann doch damit gewonnen werden.
Wulff: Es wird die Öffentlichkeit massiv getäuscht. Selbst wenn die idealtypischen Annahmen greifen würden, käme ein Siebtel dessen rein, was man mit der Vermögenssteuer einnehmen wollte. Die Sozialdemokraten werden nicht um die Erkenntnis umhin kommen, dass man sich auf der staatlichen Seite bescheiden und Maß halten muss, dass man Prioritäten setzen muss und dass man nicht ständig auf der Einnahmeseite an der Steuerschraube drehen darf. Mehreinnahmen des Staates entstehen sinnvollerweise nur durch Wachstum, durch die Dynamik der Volkswirtschaft, nicht durch ständiges Erhöhen der Steuersätze. Damit erdrosselt man die Steuerquellen und hat am Ende weniger bei hohen Sätzen als mit niedrigen Sätzen und vielen Steuerquellen.
Liminski: Ist das was Sie sagen nicht auch ein bisschen Angstmache vor der Wahl? Sie brauchen doch auch Geld, um die Bildung zu finanzieren.
Wulff: Das Problem ist, dass das Vertrauen in diese Bundesregierung dahin ist. In diese Bundesregierung hat keiner mehr Zutrauen. Wer eine solche Steuererhöhungsorgie ablaufen lässt, wie Herr Gabriel sie angestoßen hat: Erbschaftssteuer erhöhen, Schenkungssteuer erhöhen, Vermögenssteuer, mehr Zuwachssteuer, Zinsabgeltungssteuer. Wer nur über Steuer- und Abgabeerhöhungen redet und entsprechende Entscheidungen trifft und insgesamt etwa 48 Steuererhöhungen jetzt auf den Weg gebracht hat, der ist eben nicht glaubwürdig. Die Leute bringen sich in Sicherheit, werden zu Angst-Sparern. Es fehlt an Konsum und Investition. Das ist ein Klima, in dem auch kein ausländisches Kapital nach Deutschland zurückkehren wird. Dazu bedürfte es eines Klimas, das sich zu Eigentum, zu Vermögen und zum Erbrecht bekennt. Das ist eben genau das, was die Sozialdemokraten vermissen lassen.
Liminski: Noch einmal zurück zur Bildung: Wie wollen Sie denn die Bildung finanzieren?
Wulff: Wir müssen klare Prioritäten für Kinder, für Familien und Schulen setzen und anderes innerhalb der Verwaltung über Bord werfen. Wir können uns eine Verwaltung des 19. Jahrhunderts nicht leisten, sondern müssen die abstoßen und in die Aufgaben des 21. Jahrhunderts Bildung, Wissenschaft und Forschung investieren. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass es auch ein Fehler ist, nur über Geld zu reden. Bei Pisa haben Bayern, Baden Württemberg und Sachsen am besten abgeschnitten, Brandenburg, Bremen und Niedersachsen am schlechtesten. Sachsen gibt aber weniger Geld aus als Niedersachsen und hat trotzdem besser abgeschnitten. Das zeigt doch, dass es um mehr in der Bildung geht als nur um Geld.
Liminski: Muss man nicht einen anderen weiteren Bildungsbegriff finden?
Wulff: Ich halte das für zwingend, denn die Lebensphase von 0 bis 6 Jahren muss viel stärker gewichtet werden: die vorschulische Orientierung zur Vorbereitung auf die Schule, die Ausgestaltung von Grundfertigkeiten, aber vor allem die Rolle der Familie. Man hat Bildung ohne Familien diskutiert, und das war eine Lebenslüge, die wir in Deutschland betrieben haben. Kinder müssen an Bücher, ans vorgelesen bekommen, an das Lesen, Musik, Bewegung und Verantwortung herangeführt werden. Sie müssen Verlässlichkeit erlernen und aufgefangen werden. Sie müssen Rückgrat kriegen, was gut ist, was schlecht ist, Neugier auf Neues bekommen und das wird in den Familien grundgelegt, und deswegen ist es ein großer Fehler, die Schulen quasi als Reparaturbetrieb zu betrachten und zu meinen, dass dort die Probleme gelöst werden könnten, die in den Familien nicht vernünftig aufbereitet sind. Ich glaube, dass hier ein Bewusstseinswandel in Deutschland einsetzen muss, der sehr nachhaltig ist.
Liminski: Eine andere Lebenslüge, um das mit Ihren Worten aufzugreifen, ist lange Zeit mit der Rente gemacht worden. Es wurde immer gesagt, die Rente sei sicher. Nun hat Gesundheits- und Sozialministerin Schmidt in der Zeitung "Die Zeit" einen Vorschlag zur Rente gemacht: Wer später anfängt, soll auch länger arbeiten, also ein Renteneintritt soll abhängig von den Berufsjahren sein. Frau Schmidt will nach den Landtagswahlen mit der Union darüber und generell über die Renten-Gesundheits-Reform verhandeln. Für solche Reformen sei ein breiter Konsens nötig. Was würden Sie - Sie sind ja auch immerhin stellvertretender CDU-Vorsitzender - Ihr heute schon sagen?
Wulff: Horst Seehofer und ich haben damals in den Rentenkonsensgesprächen mit Herrn Riester und der Bundesregierung den ganz konkreten Vorschlag gemacht, dass jeder Arbeitnehmer nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen können müsse. Genau auf der Schiene liegt ja jetzt auch die Überlegung, diese Verbindung zu ziehen. Da ist man auch wieder auf einem Feld klüger werdend. Allerdings hat die Sozialdemokratie bisher bei der Rentenpolitik alle notwendigen, richtigen Schritte, die von uns eingeleitet waren, diesen demographischen Faktor rückgängig gemacht und ein recht großes Chaos angerichtet, und das Vertrauen ist auch da durch Aktionismus wieder weg. Ich denke manchmal, 1 Prozent nachdenken statt 100 Prozent Aktionismus, das würde unser Land schon wesentlich weiter bringen als diese Sprunghaftigkeiten, die wir in den letzten Wochen von Berlin oder auch in Hannover bei Herrn Gabriel geboten bekommen.
Liminski: Das war der stellvertretende CDU-Vorsitzende und Parteichef in Niedersachsen, Christian Wulff. Besten Dank für das Gespräch, Herr Wulff.
Link: Interview als RealAudio