Meurer: "Expedition in ein unbekanntes Land" hat der "Spiegel" am Montag getitelt. Ist die Expedition bisher gelungen?
Schwanitz: Sie ist erstens gelungen und zweitens ist das natürlich jenseits aller Realität. Da baut der "Spiegel" in seiner Überschrift - das gehört vielleicht zum journalistischen Handwerk hinzu - etwas auf, was jenseits der Realität ist. Der Bundeskanzler ist oft in Ostdeutschland, war das übrigens schon im ersten Regierungsjahr. Ich habe mal überschlagen: öfter als sein Amtsvorgänger in seinen beiden letzten Amtsjahren. Diese Reise ist aber wichtig, vor allen Dingen weil sie eben - Sie sprachen das an - nicht dorthin führt, wo Politik normalerweise hingeht. Leipzig, Dresden, Chemnitz steht nicht auf dem Programm, sondern Regionen, in denen sich auch wichtige Entwicklungen vollzogen haben, und die Menschen haben es verdient.
Meurer: Wie erklären Sie sich denn, Herr Schwanitz, dass der Eindruck entstanden ist, Schröder kümmere sich nicht um den Osten, er sei ihm fremd?
Schwanitz: Seien wir doch mal ehrlich! Da werden Vorurteile gepflegt und da gibt es auch ein Wiedervorlagesystem im journalistischen Kreis. Das gehört einfach zum Handwerk dazu, und die Opposition tut ihr nötiges auch. Ich finde aber, wir müssen da schon auch ein Stücken Fairness walten lassen. Es gibt eine große Herzlichkeit, die die Bevölkerung hier dem Bundeskanzler entgegenbringt. Das sind viele, viele Gespräche. Wir haben ja vor allen Dingen die Termine auch so gemacht, dass der Bundeskanzler nicht hinkommt und eine politische Rede hält, sondern dass viel, viel Raum für das gegenüber da ist, für das Zuhören, wo Kontakte auf Augenhöhe gleichberechtigt miteinander da sind. Das ist sicherlich richtig, und die Menschen lohnen auch diesen Ansatz.
Meurer: Haben Sie den Eindruck, Schröder ist der Osten jetzt eine Herzensangelegenheit geworden?
Schwanitz: Das war er vorher natürlich auch, aber ich glaube schon, auch gerade die Journalisten, die uns mit begleiten - Sie wissen, das ist natürlich auch immer mit einer großen Medienpräsenz verbunden -, spüren wie natürlich auch die Menschen ganz genau, hier springt der Funke über.
Meurer: Die Menschen sind nicht skeptisch nach Ihren Eindrücken, dass es Schröder zumindest auch darum geht, politische Pluspunkte mit der Tour zu sammeln?
Schwanitz: Wenn Politik das nicht machen wollte, wäre das ja auch ein Stück unaufrichtig. Aber das dominierende Gefühl bei den Menschen, übrigens auch der Eindruck, den wir dann aufnehmen, ist der, dass dort Optimismus ist. Es sind Schwierigkeiten natürlich noch da, es sind ja harte Lasten geschultert worden, gerade in diesen Regionen, die es etwas schwerer haben, aber die Menschen sehen Licht am Ende des Tunnels. Wir müssen das natürlich von Seiten des Bundes noch viele Jahre begleiten, und wir werden das auch tun.
Meurer: Was ist denn die Marschrichtung der Sommertour: zuhören, die Probleme vor Ort erkunden, Sie sagen keine Rede halten, Gespräche führen?
Schwanitz: Vor allen Dingen Zeit zum zuhören. Das ist mir bei der Vorbereitung der Reise ganz besonders wichtig gewesen, Erfahrungen auch aufnehmen können. Das beginnt bei ABM-Projekten, geht in Unternehmer hinein, die die Umstrukturierung zum Teil in zweit- oder drittprivatisierte Unternehmen haben leisten müssen, gemeinsam mit den Belegschaften. Wir sind mit dem ganzen Infrastruktur-Thema sehr intensiv konfrontiert. Das sind wichtige Dinge. Politik sollte sich öfter Zeit nehmen, nicht nur allgemein theoretisch über Dinge zu sprechen, sondern vor Ort zu sein und mit denen zu reden, die es in erster Linie angeht.
Meurer: Werden der Sommertour auch handfeste Taten folgen?
Schwanitz: Wir haben natürlich eine ganze Reihe von Verabredungen getroffen, beispielsweise gestern in einem wie ich finde vorbildlichen, in Sangerhausen ansässigen Projekt, wo es um das Thema zweiter Arbeitsmarkt geht, abzuklopfen, was an gesetzlichen Veränderungen auch im Arbeitsförderungsrechtsbereich da ist. Wir haben ein Unternehmen in Nordhausen gehabt, was uns mit einem aktuellen Problem konfrontiert hat, der Existenzgefährdung. Ich war deswegen gestern Vormittag in Berlin. Hier werden anhand der Reise auch ganz konkrete Dinge ausgelöst.
Meurer: Wird auch ausgelöst, dass mehr Geld für Verkehrsprojekte beispielsweise locker gemacht wird?
Schwanitz: Wir fahren nicht mit dem goldenen Füllhorn hier durch die Lande. Das ist einmal wegen der Haushaltssituation natürlich ganz schwierig. Zum zweiten finde ich muss zugehört werden und es müssen nicht schwer oder nicht haltbare Wahlversprechungen hier in die Lande gestreut werden. Aber der Bundeskanzler hat bei seinen Stationen natürlich deutlich gemacht, der Infrastrukturausbau vor allen Dingen, aber auch die Wirtschaftsförderung sind Dinge, die unter starker Bundesunterstützung in den nächsten Jahren fortgesetzt werden müssen und auch unser Ziel, den Solidarpakt II, also die Finanzausstattung der ostdeutschen Länder nach 2004, schon innerhalb dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen. Das ist hier nachhaltig unterstützt worden. Ich glaube, wir haben damit eine richtige Entscheidung getroffen.
Meurer: Ein Thema ist natürlich zwangsläufig auch der Bereich Rechtsextremismus. Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen bei dieser Tour?
Schwanitz: Es begegnet uns dieses Thema an mehreren Stationen. Wir haben natürlich überall dort, wo wir mit Jugendlichen sprechen, dieses Thema mit dem Hintergrund unserer Stationen verbunden. Sie wissen, wir waren vorgestern bei der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und wir werden die nächste Station Anfang kommender Woche in Eggesin beginnen. Dessau haben Sie angesprochen. Ich glaube schon, dass man hier auch ein stärkeres Gefühl dafür bekommt, dass die neuen Länder unter der Besonderheit, unter der sie stehen, einmal aus ihrer Geschichte heraus, auch aus den Versäumnissen, die mit der Auseinandersetzung gegenüber Fremdenfeindlichkeit, auch mit den Versäumnissen in Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stehen, besondere Dinge in Zukunft noch leisten müssen, auch auf diesem Bereich neben den rein repressiven Dingen. Die zweite Hälfte der nächsten Woche wird auch mitgeprägt sein von einem Gespräch mit der Mega, mit der mobilen Eingreiftruppe in Brandenburg zur repressiven Seite der Bekämpfung von Rechtsextremismus. Das Thema begleitet uns also sehr intensiv.
Meurer: Rolf Schwanitz, Staatsminister im Kanzleramt, Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder. - Herr Schwanitz, noch eine gute Reise, danke und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio