Archiv


Was heißt schon gerechtes Steuersystem?

"Man kann es nicht allen recht machen." Zwar gebe es noch Verbesserungsmöglichkeiten, grundsätzlich sei die Kritik am Sparpaket der Bundesregierung jedoch unangebracht. So das Fazit von Wolfgang Wiegard, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Regensburg.

Wolfgang Wiegard im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Dass Opposition und Gewerkschaften kaum ein gutes Haar am Sparpaket der Bundesregierung lassen würden, das war zu erwarten gewesen. Doch dass sich zwei Tage nach der Haushaltsklausur auch in der CDU immer mehr Stimmen zu Wort melden, die eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes fordern, das ist schon reichlich ungewöhnlich. Heute ist das Sparpaket Gegenstand einer aktuellen Stunde im Bundestag.
    Professor Wolfgang Wiegard lehrt Volkswirtschaft an der Universität Regensburg. Er ist zudem Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dieses Gremium gibt der Bundesregierung Jahr für Jahr Empfehlungen in Finanzfragen. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Professor Wiegard.

    Wolfgang Wiegard: Guten Morgen!

    Engels: Im letzten Gutachten hatten Sie als Wirtschaftsweiser ja Konsolidierungsbemühungen angemahnt und die Bundesregierung zum Verzicht auf Steuersenkungen gemahnt. Sind Sie also zufrieden mit den jetzigen Sparbeschlüssen?

    Wiegard: Ja! Ich bin in der Tat zufrieden damit, dass sich die Bundesregierung von ihren Steuersenkungsutopien verabschiedet hat und jetzt mit dem Sparpaket die Aufgabe der Haushaltskonsolidierung angeht. Das war längst überfällig, aber es ist richtig, dass das gemacht wird.

    Engels: Die einen sagen ja, das Sparpaket der Bundesregierung sei sozial unausgewogen; die anderen sagen, es fehle letztlich immer noch an Stringenz. Was sagen Sie?

    Wiegard: Na ja, das ist eine schwierige Angelegenheit. Wenn man den öffentlichen Haushalt konsolidiert, bringt das immer irgendwelche Einschnitte mit sich für bestimmte Bevölkerungsgruppen, sei es für Unternehmen, die durch neue Steuern belastet werden, etwa die Brennelementesteuer, oder eine Luftverkehrsabgabe, oder seien es auch private Haushalte, die durch Ausgabenkürzungen betroffen werden. Da kann man es nicht allen recht machen. Wenn die Bundesregierung etwas anderes gemacht hätte, wären sofort die Betroffenen über die Bundesregierung hergefallen. Man muss anfangen mit Ausgabenkürzungen und auch mit Steuererhöhungen, und das ist ja der wichtige Punkt. Dieses Sparpaket enthält ja zu gut 40 Prozent auch Steuererhöhungen, und deswegen befindet sich die Bundesregierung durchaus auf dem richtigen Weg.

    Engels: Aber es fällt doch auf, Professor Wiegard, dass viele Leistungen für Hartz-IV-Empfänger wegfallen, besonders viele für diese Gruppe: Heizkostenzuschuss, Elterngeld, Rentenversicherungszuschuss. Warum ausgerechnet bei denen kürzen, die auf Zuschüsse so dringend angewiesen sind?

    Wiegard: Ich denke, dass es durchaus eine Rechtfertigung dafür gibt, den Heizkostenzuschuss wieder abzuschaffen. Der ist eingeführt worden, als die Ölpreise bei 130 Dollar pro Barrel lagen. Mittlerweile liegen die Ölpreise wieder bei 70 US-Dollar pro Barrel. Insofern kann man solche Maßnahmen auch mal zurückführen.
    In der Tat hätte man sich vorstellen können, dass es zu einem verstärkten Abbau von Steuervergünstigungen etwa gekommen wäre im Rahmen des Sparpakets. Da ist das Problem folgendes: Nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen hat die Bundesregierung im Bundesrat keine Mehrheit mehr, und deswegen sind alle Maßnahmen, die denkbar gewesen wären und zum Teil auch richtig gewesen wären, aus dem Sparpaket ausgeklammert worden, die im Bundesrat zustimmungspflichtig sind, denn die Bundesregierung kann bei vielen Maßnahmen, die durchaus sinnvoll gewesen wären, nicht davon ausgehen, dass sie die Zustimmung der Opposition bekommen hätte, und deswegen musste sie sich auf Maßnahmen beschränken, die sie ohne Zustimmung des Bundesrats machen kann. Das ist eine Konsequenz unseres föderalen Systems.

    Engels: Das heißt also, es fallen auch deshalb so viele Hartz-IV-Leistungen weg, weil man für vieles andere, Subventionsabbau, möglicherweise auch Änderungen an der Steuerpolitik, Bundesratsmehrheiten braucht, die man nicht hat?

    Wiegard: Richtig! Das ist genau richtig. Ich meine, man hätte das vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen noch alles durch den Bundesrat gebracht, aber für viele andere Sachen besteht der Spielraum nicht mehr, weil die Opposition im Bundesrat nicht zustimmen würde zu einer ganzen Reihe. Alles was die steuerliche Seite betrifft, ist ja im Bundesrat zustimmungspflichtig, sobald es sich um die Gemeinschaftssteuern handelt und um den Abbau von Steuervergünstigungen, die die Einkommenssteuer betreffen, oder auch die Umsatzsteuer betreffen. Allerdings wäre es in der Tat angebracht gewesen, wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung zunächst mal diese unsinnige Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Beherbergungsleistungen zurückgenommen hätte. Das wäre wirklich auch ein Zeichen gewesen, dass man eben nicht nur auf Hartz-IV-Empfänger geht, sondern auch die eigene Klientel nicht verschont.

    Engels: Das hätte man wahrscheinlich auch im Bundesrat durchsetzen können, ebenso wie möglicherweise die auch diskutierte Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

    Wiegard: Das hätte man mit Sicherheit im Bundesrat durchsetzen können, und ich glaube, das wäre auch auf eine große Akzeptanz in der Bevölkerung gestoßen, jedenfalls die Rückgängigmachung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Beherbergungsleistungen, und dann hätte man gleich auch noch die Skilifte wieder normal besteuern können, die 2008 auf Druck der CSU mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegt worden sind. Da wäre also genügend Spielraum da gewesen.
    Ob eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer von 45 Prozent angebracht gewesen wäre, das halte ich selbst für zweifelhaft. Ich halte die Reformen, die die rot-grüne Bundesregierung gemacht hat mit der Senkung des Spitzensteuersatzes und mit der Senkung des Eingangssteuersatzes, eigentlich für richtig, die sollten nicht rückgängig gemacht werden.

    Engels: Auf der anderen Seite sorgt das immer dafür, dass das Steuersystem als so ungerecht empfunden wird.

    Wiegard: Ja. Was ist schon ein gerechtes Steuersystem? – Das ist sehr schwierig zu sagen. Das Steuersystem steht immer im Konflikt zwischen Gerechtigkeit, wobei das sehr schwer zu präzisieren ist, und fehlenden Anreizen, die durch das Steuersystem bewirkt werden, und von daher halte ich die Strukturreformen, die insbesondere von der rot-grünen Bundesregierung, aber auch von der Großen Koalition gemacht worden sind, für durchaus richtig, auch bei der Unternehmensbesteuerung. Daran sollte nichts rückgängig gemacht werden.

    Engels: Einige Projekte dieser Streichliste betreffen auch Steuererhöhungen, Sie haben es schon angesprochen. Eine Steuer, die auch kommen soll, ist ja die Finanztransaktionssteuer, wenn möglich europaweit. Das ist noch weit weg von einer Umsetzung, aber die Erträge daraus sind schon fest eingeplant. Gibt es viele Luftbuchungen in dieser Sparliste?

    Wiegard: Na ja, es ist in der Tat eine Besteuerung des Finanzsektors oder des Bankensektors angedacht. Wie die genau aussehen soll, ist eigentlich im Moment noch unklar. Das kann in Form einer Bankenabgabe geschehen, wobei aber der Bundeshaushalt nur dann entlastet würde, wenn das Aufkommen aus der Bankenabgabe nicht in einen Fonds fließt, sondern auch in den Bundeshaushalt eingestellt wird. Das kann auch über eine Finanztransaktionssteuer, die Sie gerade erwähnt hatten, gemacht werden. Allerdings die national isolierte Einführung einer Finanztransaktionssteuer, davon ist eigentlich abzuraten, und es zeichnet sich im Moment in der Tat nicht ab, dass es international abgestimmt zu einer solchen Finanztransaktionssteuer kommen wird. Insofern muss man das mal abwarten, ob diese Einbuchungen – es sind 2 Milliarden Euro jährlich, die dort eingestellt worden sind – tatsächlich realisiert werden.

    Engels: Wenn Sie alles zusammen nehmen, wird man mit diesem Programm das mittelfristige Sparziel von 80 Milliarden Euro in vier Jahren schaffen können, oder bleibt da in der Bearbeitung, in dem politischen Klein-Klein, das ja jetzt da wieder folgen wird, die eine oder andere Milliarde ohnehin auf der Strecke?

    Wiegard: Natürlich wird es eine Auseinandersetzung noch geben über die einzelnen Posten. Aber was die Bundesregierung erreichen wollte und mit diesem Programm im Grundsatz jedenfalls auch erreicht hat ist, dass die Vorgaben der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse eingehalten werden. Das ist das Ziel dieses Sparpakets und wenn das Sparpaket so umgesetzt wird, oder auch nur mit leichten Modifikationen umgesetzt wird, werden diese Vorgaben des Grundgesetzes eingehalten. Das ist genau das, was wir immer gefordert haben, dass die Bundesregierung endlich diese Konsolidierungsaufgabe wahrnimmt und ernst nimmt. Das macht sie jetzt und das sollte man auch mal honorieren und sagen, die Bundesregierung ist endlich in der finanzpolitischen Realität angekommen, und jetzt muss sie ihre Sache fortführen.

    Engels: Professor Wolfgang Wiegard, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Regensburg. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Wiegard: Ich bedanke mich auch.