Am 6. Oktober 2022 sind in Prag die Regierungschefs von 44 Staaten zum ersten Gipfel der neugegründeten Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zusammengekommen. In der tschechischen Hauptstadt berieten die Vertreter von 27 EU-Ländern und 17 weiteren Staaten Europas zu den Schwerpunkten Sicherheit und Frieden sowie Klima, Energie und Wirtschaft.
Zwar endete das Treffen nicht mit einer offiziellen Abschlusserklärung, es gab jedoch eine gemeinsame Botschaft: 44 Staaten hätten sehr klar die Verurteilung der russischen Aggression, des Invasionskriegs und ihre Unterstützung für die Ukraine zum Ausdruck gebracht, sagte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in der Abschlusspressekonferenz. Dies sei sehr wertvoll, weil es daran Zweifel habe geben können. Als Grund dafür gilt unter anderem, dass Staaten wie die Türkei und Serbien die EU-Sanktionspolitik gegen Russland bislang nicht mittragen.
Was sind Aufgaben und Ziele der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft?
Was bei dem Treffen in Prag aus der Taufe gehoben wurde, ist ein bislang einzigartiges Konstrukt: ein Forum, das allen europäischen Staats- und Regierungschefs Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch bietet – egal ob EU-Mitglied oder nicht. Im Jahr 1952 gab es einen ähnlichen Versuch zu solch einer Gemeinschaft mit identischem Namen und sechs Staaten, der allerdings nicht zustande kam.
Laut EU-Ratspräsident Charles Michel sind Sicherheit und Stabilität in Europa Ziel und Zweck der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft. Neben der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik spielen auch Energie- und Klimafragen eine zentrale Rolle.
Die Form, in der die 44 Staats- und Regierungschefs in Prag über diese Themen diskutierten, hatte Workshop-Charakter. Denn die Gespräche blieben bewusst unverbindlich. Gemeinsame politische Beschlüsse waren nicht geplant.
Was die allermeisten Mitglieder der neuen EPG unter anderem eint, ist die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg und der Wille, ein Signal der Geschlossenheit an Wladimir Putin zu senden. Auch vor diesem Hintergrund galt es als wichtig, dass die 27 EU-Staaten mit der frischen Einigung vom 5. Oktober auf neue Sanktionen gegen Russland anreisen konnten.
Am Ende des ersten Gipfels wurden bereits Folgetreffen benannt. Diese werden in Moldau, Spanien und Großbritannien stattfinden.
Wer sind die Mitglieder?
Die neue Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) reicht geografisch von Island bis zur Ukraine, von Südspanien bis in den Norden Norwegens. Neben den 27 EU-Ländern sind unter anderem Großbritannien, die Türkei, die Westbalkan-Staaten und ehemalige Sowjetrepubliken mit dabei.
EPG-Mitglieder aus der EU:
Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederland, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern
EPG-Mitglieder, die derzeit nicht in der EU sind:
Armenien, Aserbaidschan, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Großbritannien, Island, Kosovo, Liechtenstein, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, Schweiz, Serbien, Türkei, Ukraine
Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederland, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern
EPG-Mitglieder, die derzeit nicht in der EU sind:
Armenien, Aserbaidschan, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Großbritannien, Island, Kosovo, Liechtenstein, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, Schweiz, Serbien, Türkei, Ukraine
Wo liegt der Ursprung der Europäische Politische Gemeinschaft?
Der Vorschlag, die Europäische Politische Gemeinschaft ins Leben zu rufen, geht auf Emmanuel Macron zurück. Die entsprechende Idee hatte Frankreichs Staatspräsident im Mai 2022 im Europaparlament in Straßburg vorgestellt. Die Tatsache, dass bereits fünf Monate danach das Gründungstreffen stattfinden konnte, gilt mit Blick auf die sonstige Prozessgeschwindigkeit der EU als ungewöhnlich. Die schnelle Umsetzung des Plans könnte auch ein Indiz dafür sein, wie sehr Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine einen verstärkten Zusammenhalt aller Länder Europas erfordert.
Welche Kritik gibt es an dem neuen Format?
Schon kurz nachdem Emmanuel Macron im Mai 2022 die Gründung der Europäischen Politischen Gemeinschaft vorgeschlagen hatte, wurde von unterschiedlichen Seiten über seine Motive spekuliert. Allen voran gab es den Verdacht und Vorwurf, dass ein zeitlich offener Warteraum für jene Länder geschaffen werden soll, die in die EU eintreten möchten.
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, sagte im Deutschlandfunk, man solle dem neuen Format eine Chance geben. Zugleich warnte er davor, die EU-Beitrittskandidaten zu enttäuschen. Die Veranstaltung lege nahe, dass sich die Bewerberländer mit einer zweiten Struktur neben der EU zufriedengeben sollten. Dies dürfe nicht sein.
Gegen die „Warteraum“-Hypothese spricht indes, dass auch Länder der Europäischen Politischen Gemeinschaft angehören, bei denen ein EU-Beitritt nicht zur Debatte steht – beispielsweise Norwegen oder die Schweiz.
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte am 29.08.2022 in seiner Europarede in Prag, dass die EPG keine EU zweiter Klasse sei, sondern ein wichtiges Forum für den Austausch der Europäer auf politischer Ebene.
Auch die Europaexpertin Daniela Schwarzer, Direktorin der Open Society Foundation, sieht eine klare Berechtigung für die EPG. Schließlich reichten politische Instrumente wie die EU-Erweiterungspolitik, die europäische Nachbarschaftspolitik oder die östliche Partnerschaft heute bei Weitem nicht mehr aus, um die neue geopolitische Lage Europas zu meistern, sagte Schwarzer im Deutschlandfunk.
Die Politologin betonte, dass Europa vor großen politischen Herausforderungen stehe. „Wir haben einen sehr soliden Kern. Das ist die Europäische Union mit ihren 27 Staaten und den Institutionen, den soll man nicht schwächen. Aber um den Herausforderungen gerecht zu werden, müssen wir breiter denken – geografisch. Und wir müssen innovativer denken, wie Entscheidungsfähigkeit hergestellt werden kann.“
Welche Rolle spielt Großbritannien?
Mit der Teilnahme Großbritanniens an der Europäischen Politischen Gemeinschaft war nicht unbedingt zu rechnen. Vor allem weil 2020 Vereinte Königreich die Europäische Union verlassen hat und der ehemalige Premierminister Boris Johnson über Macrons Initiative zu diesem Format spottete.
Die Teilnahme der neuen britischen Premierministerin am Gründungstreffen in Prag ist demnach wohl Ausdruck dessen, wie sehr der Krieg die Situation in Europa verändert hat. Trotzdem drüfte von britischer Seite für zukünftige Treffen daran gelegen sein, dass nicht der EU-Charakter dieses neuen europäischen Formates nicht in der öffentlichen Wahrnehmung dominiert.
Quellen: Klaus Remme, Carolin Born, jma, dpa, Reuters