Heinlein: Grünes Licht gestern von der Bundesregierung für die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Sollte das Parlament erwartungsgemäß zustimmen, so werden die deutschen Soldaten gemeinsam mit dem Rest der internationalen Schutztruppe nun bis mindestens Ende November in Afghanistan bleiben. Ihre Hauptaufgabe bleibt nach wie vor der Schutz der neuen afghanischen Regierung. Wer künftig an der Spitze dieser zweijährigen Übergangsregierung stehen wird, darüber entscheidet in der kommenden Woche die große Stammesversammlung der Afghanen, die sogenannte Loya Jirga. Ein uraltes Ritual am Beginn einer hoffentlich neuen friedlichen, demokratischen Ära für das kriegszerstörte Land. Darüber wollen wir jetzt mit Almut Wiehland-Karimi reden, Afghanistan-Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung und vor wenigen Tagen zurückgekehrt aus der Hauptstadt Kabul. Guten Morgen.
Wiehland-Karimi: Schönen Guten Morgen.
Heinlein: Frau Wiehland-Karimi, die Loya Jirga als Beginn einer neuen Ära - wie zuversichtlich sind Sie?
Wiehland-Karimi: Grundsätzlich ist das Bonner Abkommen sehr zu begrüßen, und auch die Schritte, die dort festgelegt wurden, also zunächst einmal, die Einsetzung dieser Übergangsverwaltung, die jetzt nach sechs Monaten am Ende steht, jetzt die Loya Jirga, dann wird es 18 Monate eine Übergangsregierung geben und dann wird es zu einer zweiten regulären Loya Jirga kommen. Ich glaube, dass diese Loya Jirga jetzt nur ein Schritt in Richtung Frieden sein kann, natürlich ein wichtiger Schritt, aber ich glaube nicht, dass diese sozusagen bahnbrechend sein wird für die Entwicklung und Zukunft in Afghanistan. Ich glaube nicht, dass dort sozusagen Entscheidungen gefällt werden, von denen wir überrascht werden könnten.
Heinlein: Entscheidungen müssen aber gefällt werden, denn es soll ja auch eine neue Verfassung ausgearbeitet werden, und 1500 Vertreter sind zu dieser Loya Jirga geladen - das ist ja eine gewaltige Zahl. Wie groß ist denn die Chance, da, bei dieser Zahl, gemeinsame Lösungen zu finden?
Wiehland-Karimi: Man muss sich vorstellen, dass so eine große Ratsversammlung ähnlich organisiert ist wie eine Versammlung von den Vereinten Nationen, das heißt, im Moment gibt es einen aktiven Verhandlungsprozess, wo verschiedene Fraktionen hin- und herfahren im Land, sehr viel ins Ausland pendeln - man kann auch von einem Pendelverkehr nach Washington reden. Das heißt, im Moment wird einmal über die Personalpolitik diskutiert: Wer wird diese Übergangsregierung bestimmen? Wer wird an ihrer Spitze stehen? Es wird darüber verhandelt, wer in dieser Verfassungskommission sitzen wird. Das sind so die zentralen Punkte, die dort in dieser Loya Jirga bestimmt werden. Man kann sich nicht vorstellen, dass 1500 Leute innerhalb einer Woche tatsächlich dort vor Ort all diese Lösungen entwickeln.
Heinlein: Ist denn sichergestellt, Frau Karimi, dass alles Volksgruppen ausreichend dann in dieser Loya Jirga und damit auch dann in der neuen Regierung repräsentiert sein werden?
Wiehland-Karimi: Ich würde es gerne anders definieren, ob wirklich alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind: Der Konflikt in Afghanistan ist ja ein sehr vielschichtiger Konflikt gewesen. Es geht nicht nur um verschiedene ethnische Gruppen. Es geht vor allen Dingen um verschiedene politische Ausrichtungen und es geht im Moment um die große Frage: Wie stark können die demokratischen Kräfte sein? Und wie stark werden noch die altbekannten War Lords, die Kommandanten, vertreten sein, diejenigen, die immer noch Waffen in der Hand haben?
Heinlein: Können Sie diese Frage beantworten?
Wiehland-Karimi: Die Hoffnung ist natürlich groß, dass vor allen Dingen demokratische Kräfte dort langsam das Zepter in die Hand nehmen können. Es ist allerdings so, dass man nach einem über zwanzigjährigen Konflikt nicht damit rechnen kann, dass von heute auf morgen diese War Lords überall verschwinden. Es ist zum Teil auch leider zu beklagen, dass diese War Lords ihre Kandidaten mit Gewalt in diese Loya Jirga hineingebracht haben, und auch die Vereinten Nationen, die diesen Wahlprozess zur Loya Jirga überwachen sollten, dieses nicht verhindern konnten. Das heißt, hier ist noch ein gewisses Ungleichgewicht gegeben. Ich sehe es aber so, dass es wichtig ist, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet und dass man vielleicht auch nicht unrealistisch sein soll, dass von heute auf morgen nach einem über zwanzigjährigen Krieg dort sozusagen demokratische Wahlen stattfinden können, wo es zu keinen Unregelmäßigkeiten kommt.
Heinlein: Die Internationale Gemeinschaft wünscht sich ja recht einvernehmlich, dass Ministerpräsident Hamid Karsai sein Amt behalten wird. Ist davon auszugehen, dass er auch der neue Ministerpräsident sein wird?
Wiehland-Karimi: Davon gehe ich fest aus, wobei es noch nicht geklärt ist, wie diese Ämter vergeben werden. Eine offene Frage ist, ob der ehemalige König, der Zahir Schah, der gerade aus dem römischen Exil zurückgekehrt ist eine offizielle Rolle - wohl eine symbolische Rolle - übernehmen wird. Das könnte einmal sein, dass er Staatspräsident in dieser 18-monatigen Übergangsregierung wird, mit dem Ministerpräsidenten Karsai. Das wäre die eine Lösung. Die andere Version, die zur Zeit diskutiert wird, ist, dass Karsai selber der Präsident wird, der König nur so eine Art symbolische Figur spielt, und dann wäre es so, dass das Amt des Ministerpräsidenten an einen der drei Minister aus dem Panschir-Tal fallen würde, also an die Minister Kanoni, Abdullah oder Fahin. Das sind diejenigen in der Nordallianz, die mit Hilfe der internationalen Truppen praktisch den Bürgerkrieg gewonnen haben und die Taliban vertreiben konnten.
Heinlein: Kurze Frage zum Schluss, Frau Karimi: Das ISAF-Mandat geht noch bis Ende November. Kann denn das neue afghanische System ohne den Schutz durch internationale Truppen existieren?
Wiehland-Karimi: Es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass dieses Mandat verlängert worden ist - ich würde mal vermuten, dass es auch nicht bei dieser Verlängerung bleiben kann -, aber es ist eine ganz schwierige Situation, dass diese ISAF nur in Kabul stationiert ist. Es ist zwar immer schon wieder diskutiert worden, und Ministerpräsident Karsai hat es immer wieder angemahnt. Meines Erachten nach wird diese Situation nicht dadurch stabilisiert, dass man nur die Hauptstadt schützt, sondern es müsste auch so etwas wie ein Modell mit Brückenköpfen geben für andere größere Provinzstädte, um auch den Afghanen vor Ort glaubwürdig machen zu können, dass man tatsächlich die Sicherheit für das ganze Land will. Also, das ist sozusagen grundsätzlich positiv, dass die ISAF erst mal wieder ein Mandat bis Ende November hat. Trotzdem denke ich, dass diese Diskussion weitergeführt werden müsste, wie man vielleicht mit den vorhandenen Kräften auch noch weiter in die Provinzen vorrücken könnte.
Heinlein: Die Afghanistan-Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung, Almut Wiehland-Karimi, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Frau Karimi, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio
Wiehland-Karimi: Schönen Guten Morgen.
Heinlein: Frau Wiehland-Karimi, die Loya Jirga als Beginn einer neuen Ära - wie zuversichtlich sind Sie?
Wiehland-Karimi: Grundsätzlich ist das Bonner Abkommen sehr zu begrüßen, und auch die Schritte, die dort festgelegt wurden, also zunächst einmal, die Einsetzung dieser Übergangsverwaltung, die jetzt nach sechs Monaten am Ende steht, jetzt die Loya Jirga, dann wird es 18 Monate eine Übergangsregierung geben und dann wird es zu einer zweiten regulären Loya Jirga kommen. Ich glaube, dass diese Loya Jirga jetzt nur ein Schritt in Richtung Frieden sein kann, natürlich ein wichtiger Schritt, aber ich glaube nicht, dass diese sozusagen bahnbrechend sein wird für die Entwicklung und Zukunft in Afghanistan. Ich glaube nicht, dass dort sozusagen Entscheidungen gefällt werden, von denen wir überrascht werden könnten.
Heinlein: Entscheidungen müssen aber gefällt werden, denn es soll ja auch eine neue Verfassung ausgearbeitet werden, und 1500 Vertreter sind zu dieser Loya Jirga geladen - das ist ja eine gewaltige Zahl. Wie groß ist denn die Chance, da, bei dieser Zahl, gemeinsame Lösungen zu finden?
Wiehland-Karimi: Man muss sich vorstellen, dass so eine große Ratsversammlung ähnlich organisiert ist wie eine Versammlung von den Vereinten Nationen, das heißt, im Moment gibt es einen aktiven Verhandlungsprozess, wo verschiedene Fraktionen hin- und herfahren im Land, sehr viel ins Ausland pendeln - man kann auch von einem Pendelverkehr nach Washington reden. Das heißt, im Moment wird einmal über die Personalpolitik diskutiert: Wer wird diese Übergangsregierung bestimmen? Wer wird an ihrer Spitze stehen? Es wird darüber verhandelt, wer in dieser Verfassungskommission sitzen wird. Das sind so die zentralen Punkte, die dort in dieser Loya Jirga bestimmt werden. Man kann sich nicht vorstellen, dass 1500 Leute innerhalb einer Woche tatsächlich dort vor Ort all diese Lösungen entwickeln.
Heinlein: Ist denn sichergestellt, Frau Karimi, dass alles Volksgruppen ausreichend dann in dieser Loya Jirga und damit auch dann in der neuen Regierung repräsentiert sein werden?
Wiehland-Karimi: Ich würde es gerne anders definieren, ob wirklich alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind: Der Konflikt in Afghanistan ist ja ein sehr vielschichtiger Konflikt gewesen. Es geht nicht nur um verschiedene ethnische Gruppen. Es geht vor allen Dingen um verschiedene politische Ausrichtungen und es geht im Moment um die große Frage: Wie stark können die demokratischen Kräfte sein? Und wie stark werden noch die altbekannten War Lords, die Kommandanten, vertreten sein, diejenigen, die immer noch Waffen in der Hand haben?
Heinlein: Können Sie diese Frage beantworten?
Wiehland-Karimi: Die Hoffnung ist natürlich groß, dass vor allen Dingen demokratische Kräfte dort langsam das Zepter in die Hand nehmen können. Es ist allerdings so, dass man nach einem über zwanzigjährigen Konflikt nicht damit rechnen kann, dass von heute auf morgen diese War Lords überall verschwinden. Es ist zum Teil auch leider zu beklagen, dass diese War Lords ihre Kandidaten mit Gewalt in diese Loya Jirga hineingebracht haben, und auch die Vereinten Nationen, die diesen Wahlprozess zur Loya Jirga überwachen sollten, dieses nicht verhindern konnten. Das heißt, hier ist noch ein gewisses Ungleichgewicht gegeben. Ich sehe es aber so, dass es wichtig ist, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet und dass man vielleicht auch nicht unrealistisch sein soll, dass von heute auf morgen nach einem über zwanzigjährigen Krieg dort sozusagen demokratische Wahlen stattfinden können, wo es zu keinen Unregelmäßigkeiten kommt.
Heinlein: Die Internationale Gemeinschaft wünscht sich ja recht einvernehmlich, dass Ministerpräsident Hamid Karsai sein Amt behalten wird. Ist davon auszugehen, dass er auch der neue Ministerpräsident sein wird?
Wiehland-Karimi: Davon gehe ich fest aus, wobei es noch nicht geklärt ist, wie diese Ämter vergeben werden. Eine offene Frage ist, ob der ehemalige König, der Zahir Schah, der gerade aus dem römischen Exil zurückgekehrt ist eine offizielle Rolle - wohl eine symbolische Rolle - übernehmen wird. Das könnte einmal sein, dass er Staatspräsident in dieser 18-monatigen Übergangsregierung wird, mit dem Ministerpräsidenten Karsai. Das wäre die eine Lösung. Die andere Version, die zur Zeit diskutiert wird, ist, dass Karsai selber der Präsident wird, der König nur so eine Art symbolische Figur spielt, und dann wäre es so, dass das Amt des Ministerpräsidenten an einen der drei Minister aus dem Panschir-Tal fallen würde, also an die Minister Kanoni, Abdullah oder Fahin. Das sind diejenigen in der Nordallianz, die mit Hilfe der internationalen Truppen praktisch den Bürgerkrieg gewonnen haben und die Taliban vertreiben konnten.
Heinlein: Kurze Frage zum Schluss, Frau Karimi: Das ISAF-Mandat geht noch bis Ende November. Kann denn das neue afghanische System ohne den Schutz durch internationale Truppen existieren?
Wiehland-Karimi: Es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass dieses Mandat verlängert worden ist - ich würde mal vermuten, dass es auch nicht bei dieser Verlängerung bleiben kann -, aber es ist eine ganz schwierige Situation, dass diese ISAF nur in Kabul stationiert ist. Es ist zwar immer schon wieder diskutiert worden, und Ministerpräsident Karsai hat es immer wieder angemahnt. Meines Erachten nach wird diese Situation nicht dadurch stabilisiert, dass man nur die Hauptstadt schützt, sondern es müsste auch so etwas wie ein Modell mit Brückenköpfen geben für andere größere Provinzstädte, um auch den Afghanen vor Ort glaubwürdig machen zu können, dass man tatsächlich die Sicherheit für das ganze Land will. Also, das ist sozusagen grundsätzlich positiv, dass die ISAF erst mal wieder ein Mandat bis Ende November hat. Trotzdem denke ich, dass diese Diskussion weitergeführt werden müsste, wie man vielleicht mit den vorhandenen Kräften auch noch weiter in die Provinzen vorrücken könnte.
Heinlein: Die Afghanistan-Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung, Almut Wiehland-Karimi, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Frau Karimi, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
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