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Was kannn die Bundeswehr tatsächlich leisten?

    Durak: Die Bundesregierung hat die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Mazedonien beschlossen. Der Bundestag wird wahrscheinlich diese Woche noch dazu beraten, tagen, beschließen. Die Diskussion um die Beteiligung der Bundeswehr an einem Afghanistan-Einsatz ist in vollem Gange. Es wird möglicherweise eine Sondersitzung des Bundestages in der Weihnachtspause geben. Aber, wozu ist die Bundeswehr tatsächlich in der Lage? Entspricht die Strukturreform der Bundeswehr noch den tatsächlichen Aufgaben? Wozu darf sich Deutschland international militärisch verpflichten, ohne ungedeckte Wechsel auszustellen? Dazu bei uns am Telefon General a.D. Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Guten Morgen.

    Naumann: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Zunächst Mazedonien. Das neue Mandat würde am 27. Dezember beginnen, auf drei Monate befristet sein, Auftragumfang und Zusammensetzung bleiben. Die Führung bleibt auch zunächst bei uns, geht dann nach Frankreich. Aus Ihrer Sicht, wie ist der Auftrag bisher erfüllt?

    Naumann: Nach meiner Auffassung ist dieser Auftrag für die Bundeswehr erfüllbar. Deswegen hat wohl auch die Bundesregierung ihre uneingeschränkte Zustimmung zu den Beratungen im NATO-Rat gegeben und damit auch die Bereitschaft erklärt, diese Aufgabe weiterhin zu erfüllen. Man darf allerdings nicht vergessen, es sind jetzt rund 8.000 Soldaten der Bundeswehr im Balkan im Einsatz, und jeder weiß, wenn man 8.000 Mann im Einsatz hat, braucht man im Grunde genommen mindestens 24.000. Wenn man so großzügig ist wie Deutschland, dass man den Soldaten verspricht, zwei Jahre nach einem Einsatz keinen weiteren Einsatz zu sehen, dann wird die Zahl etwa fünf Mal so groß sein, wie der tatsächliche Einsatzumfang ist. Das muss man wissen, wenn man politisch über solche Einsätze befindet. Ich meine, die Bundeswehr kann das noch, aber sie erreicht Grenzen, und man muss sicherlich darüber nachdenken, dass man die Truppe angemessen ausstattet, und dass man den Verteidigungshaushalt entsprechend gestaltet. So wie es gegenwärtig ist, wird es allmählich sehr eng.

    Durak: Der Verteidigungsminister hat ja kürzlich erstmals auch von einem Mehrbedarf an Geld gesprochen. Kommt das zu spät?

    Naumann: Ich glaube, Minister Scharping hat immer klar gewusst, dass er die eingeleitete Reform, die meiner Ansicht nach eine richtige und zweckmäßige Reform ist, mit dem Haushalt, wie er im Bundestag beschlossen worden ist, nicht finanzieren kann. Er hat gehofft, dass er schneller als das wohl der Fall ist Rationalisierungsgewinne erzielt. Aber das ist wohl eine Illusion geblieben, und deswegen wird man - wenn man die Reform will - dem alten Grundsatz folgen müssen, dass man eine Anschubfinanzierung braucht, damit man später sparen kann.

    Durak: Sehen Sie denn eine Chance, dass es zu dieser Anschubfinanzierung kommt? Wir wissen, wir haben eigentlich kein Geld.

    Naumann: Die Frage des Geldhabens und Nichthabens ist immer eine Frage des politischen Willens. Und wenn die Bundesrepublik Deutschland eine Rolle in der Weltpolitik spielen will, wie sie der Bundeskanzler mit seinen verschiedenen - ich meine, richtigen - Weichenstellungen andeutet, dann muss man auch bereit sein, das Instrument, die Bundeswehr dementsprechend auszugestalten, sonst wird das Spiel verantwortungslos.

    Durak: Sie sagen, richtigerweise schlägt der Bundeskanzler dies und jenes vor. In Afghanistan - so heißt es auch - sollte Deutschland dabei sein. Wieso eigentlich? Wir haben doch zivil schon genug geleistet.

    Naumann: Es geht darum, ein Mandat der Vereinten Nationen, von dem ich hoffe, dass es ein sehr robustes Mandat sein wird, mit Leben zu füllen, und hier sind natürlich in erster Linie Truppen der sogenannten westlichen Welt gefordert, weil sie die einzigen sind - und das weiß ich aus meiner Tätigkeit für eine UNO-Kommission zur Reform der Friedenstruppen -, die den komplexen Anforderungen eines solchen Einsatzes ad hoc gewachsen sind. Und wenn Sie sich in der westlichen Welt umgucken, dann ist Deutschland natürlich eines der großen potentiellen truppenstellenden Länder. Und wir werden uns auf den Anforderungen der Vereinten Nationen auf Dauer nicht entziehen können.

    Durak: Dann müssen wir aber in der Tat aufrüsten.

    Naumann: Ich glaube nicht, Frau Durak, dass wir aufrüsten müssen. Das ist ein Wort, das bei vielen Bürgern dieses Landes nicht gut untergeht, in einer Situation, in der eine greifbare Bedrohung unseres Landes nicht zu sehen ist. Aber wir müssen eben begreifen, dass wir den Risiken dadurch begegnen, dass wir ihnen wohlmöglich vorbeugend entgegentreten und sie auf Distanz von Deutschland halten. Das ist Landesverteidigung in moderner Prägung. Und da muss man nicht aufrüsten, aber man muss die beschlossene Strukturreform wirklich entschlossen, mit dem nötigen Nachdruck und zeitgerecht durchführen, und das wird nicht ohne zusätzliches Geld gehen.

    Durak: Schneller?

    Naumann: Wenn es irgendwie geht, schneller, ja.

    Durak: Sie haben eingangs gesagt, Deutschland ist zu großzügig, den Soldaten, die im Einsatz sind, zu versprechen, zwei Jahre nicht wieder rausgeschickt zu werden. Ist dieses Versprechen nicht schon längst gebrochen?

    Naumann: Das wird sicherlich im Einzelfall bei Spezialisten kaum einzuhalten sein. Ich glaube, darüber waren sich die Verantwortlichen von Anfang an klar. Es ist - wie ich meine - eine gute Idee, aber man muss die Ideen immer am Machbaren messen. Man darf nicht vergessen, die Bundeswehr steckt mitten in einer tiefgreifenden Reform, die Jahre in Anspruch nehmen wird. Und während dieser Reform werden nun komplexe Auslandseinsätze durchzuführen sein, und das muss man eben berücksichtigen, und da müssen die Soldaten auch verstehen, dass in einer solchen Übergangszeit Zielsetzungen, die für den Zeitraum nach Abschluss der Reform vorgesehen sind, nicht immer buchstabengetreu eingehalten werden können. Ich glaube, das verstehen sie auch.

    Durak: Herr Naumann, es wird ganz sicherlich noch einmal Diskussionen im Zuge der Bundeswehrreform geben, da wird es um die Wehrpflicht gehen. Vielleicht sollte man das doch überdenken: Wehrpflicht abschaffen?

    Naumann: Ich habe mich immer für die Wehrpflicht ausgesprochen, aus vielen guten Gründen - das würde vermutlich jetzt den Rahmen Ihrer Sendung sprengen -. Sicher ist, dass man in Einsätzen, wie sie im Balkan, Afghanistan oder vielleicht auch sonst wo auf uns zukommen werden, keine Wehrpflichtigen hinschicken kann, das müssen Zeit- und Berufsoldaten sein. Deswegen ist ja auch schon von der alten Regierung vorgesehen gewesen, rund 60.000 Mann als Berufsoldaten, als schnelle Reaktionskräfte bereitzustellen, und die neue Regierung hat das nun verdreifacht, was richtig ist. Und aus diesen Kräften müssen die Einsätze genährt werden, aber die Wehrpflicht bleibt letztlich die Rückversicherung, falls mal irgendwas in der Außenpolitik schief gehen sollte, denn dann kann man mit den Mitteln der Mobilmachung schnell wieder aufbauen, was sonst wahrscheinlich fast ein Jahrzehnt dauern wird.

    Durak: Ist das der einzige Grund?

    Naumann: Nein, natürlich gibt es noch den Grund, dass die Bundeswehr die Wehrpflicht braucht, um qualifiziertes Personal in angemessener Zahl zu gewinnen. Soweit ich weiß - aber ich bin nicht mehr im aktiven Dienst -, gewinnen wir immer noch rund 50 Prozent unserer Unteroffiziere und einen großen Teil der Offiziere über den Schnupperdienst der allgemeinen Wehrpflicht. Und wenn Deutschland noch irgendwo im internationalen Vergleich Spitze ist, dann ist das die Qualität unseres Personal, und das ist nicht zuletzt auf die Wehrpflicht zurückzuführen. Das aufzugeben, wäre ein Schaden.

    Durak: Herr Naumann, nochmals zu Afghanistan. Sie sagten schon, dass man da robust sein sollte. Wie robust denn?

    Naumann: Es muss eindeutig auf der Grundlage des Kapitels 7 der Charta der Vereinten Nationen erteilt werden, d.h. die Soldaten müssen die Möglichkeit haben, auch den Auftrag zu erzwingen. Und was noch hinzukommt, was die Sache gleichzeitig schwieriger macht - deswegen muss das sehr gründlich geprüft werden -, solange die Vereinigten Staaten von Amerika gleichzeitig in diesem Land einen Luft- oder Bodenkrieg führen, muss natürlich eine ganz enge Koordination erfolgen, denn man kann nicht auf der einen Seite Friedenstruppen machen und auf der anderen Seite Krieg führen. Hier muss so etwas wie Einheitlichkeit der Führung hergestellt werden, und das wirft auch sehr schwere Fragen auf, wie man letztlich die Führungsverantwortung für diesen UN-Einsatz, der sich zunächst sich dem Schutz von Kabul widmen soll, wie man das mit den übrigen Operationen in Afghanistan koordiniert.

    Durak: Große Schwierigkeiten, inwiefern?

    Naumann: Es ist nicht ganz leicht, eine Kriegsoperation, wie sie zur Zeit in Afghanistan läuft, mit der Friedensmission der Vereinten Nationen, auch über dem Kapitel 7 der Charta der Vereinten Nationen, im Einklang zu bringen. Hier muss klar sein, wer die letzte Verantwortung hat, gegenüber den Vereinten Nationen aber auch in der militärischen Befehlskette.

    Durak: Wer sollte die denn haben?

    Naumann: Es muss letztlich ein Kommandeur da sein, der die Führungsverantwortung im gesamten Einsatzgebiet hat. Und das muss man abgrenzen, ob man das geographisch macht, in dem man den Einsatz der UNO-Truppe auf einem bestimmten Raum begrenzt oder ob man es in eine Hand gibt, das wird man sehen müssen, und deswegen muss das Mandat sehr gründlich geprüft werden.

    Durak: Das muss kein Brite sein?

    Naumann: Das kann ein Brite sein, aber es muss keiner sein. Niemand sollte sich hier für Deutschland drängen, was ja auch diskutiert wird. Mein alter Freund Colin Powell hat das gestern auch angesprochen, für Deutschland spräche sicherlich, dass wir einen sehr guten Namen in der Region haben, was ich aus eigenem Erleben von einer Reise in den frühen 80er Jahren weiß. Aber gegen uns spricht, dass die Führungsfähigkeit, die Ausstattung mit modernem Führungsmaterial zur Zeit - glaube ich - nicht erste Sahne ist.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Naumann.

    Link: Interview als RealAudio