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Was nach der WM für den Handballsport folgt
Pustekuchen oder Rückenwind?

Millionen Zuschauer verfolgten die Spiele der deutschen Nationalmannschaft bei der Handball-Weltmeisterschaft. Doch ob diese Euphorie auch noch nach dem Turnier anhalten wird, ist fraglich. Dabei hätte der Handball diesen Schub dringend nötig.

Von Johannes Kulms | 26.01.2019
    Ein verschwommenes Bild mit Zuschauern mit Deutschlandfähnchen in der Hand.
    Euphorie bei der Handball-WM in Deutschland. (imago)
    Das wohl bekannteste Public Viewing in Kiel vermarktet sich als "Handballbahnhof". Angeblich der einzige der Bundesrepublik. Seit Jahren werden bei jeder EM und WM in der der Eingangshalle des Kieler Hauptbahnhofs die Spiele der deutschen Nationalmannschaft auf einer Großbildleinwand gezeigt. An die 200 Anhänger sind an diesem Freitagabend trotz Eiseskälte gekommen, um das Halbfinale Deutschland Norwegen zu schauen – viele Männer zwischen 30 und 60, aber auch viele Jugendliche, Senioren und Familien.
    Die meisten von ihnen stehen und sitzen auf der großen Treppe, einige haben Schals und Deutschlandfahnen mitgebracht. Auch José Lorentzen ist gekommen. Mit Fußball kann die 15-Jährige nicht viel anfangen: "Ich gucke nur Handball. Im Fernsehen oder in der Halle." Doch selbst in der deutschen Handballhochburg ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen, seitdem Holstein Kiel in der Zweiten Fußball-Bundesliga für Furore sorgt.
    Zahlreiche Fans jubeln am 31.01.2016 während eines Public Viewings im Hauptbahnhof in Kiel (Schleswig-Holstein) beim Finale der Handball-EM zwischen Deutschland und Spanien. 
    Seit Jahren werden bei jeder EM und WM in der der Eingangshalle des Kieler Hauptbahnhofs die Spiele der deutschen Nationalmannschaft auf einer Großbildleinwand gezeigt. (dpa)
    Neben José Lorentzen steht ihr Vater Lutz Schäfer. Er ärgert sich darüber, dass Fußball so viel stärker vermarktet wird als jenen Sport, den er selber 30 Jahre lang betrieben hat: "Wenn ich mir so angucke, was die Handballer so leisten, die machen eine EM oder WM innerhalb von zwei Wochen und verdienen nicht so viel und die Fußballer machen das in vier Wochen und dann jaulen sie auch noch rum!"
    Der 48-Jährige hofft, dass die nun zu Ende gehende WM dem Handball in Deutschland Rückenwind gibt. Allerdings gehe es nicht darum, wie viele Menschen sich zum gemeinsamen Schauen der Spiele in der Öffentlichkeit versammeln. Ziel sei die "Jugendarbeit. Von Jugend und dann hocharbeiten". Selbst im Handballland Schleswig-Holstein haben viele Vereine Probleme, Nachwuchs zu finden. Das betrifft die Spieler von Kinder- und Jugendmannschaften genauso wie die Trainer heißt es vom Landesverband.
    Schulsport Handball
    Auch die SG Wift Neumünster kennt dieses Problem. Wobei der Verein in der 80.000 Einwohnerstadt noch relativ gut dasteht. Das könnte auch an der Kooperation mit zwei Schulen liegen: "Handball ist halt immer der Sport – man kennt ihn irgendwoher, so von der Schule, von Freunden. Aber so 'ne Klasse besteht aus 20 Leuten. 15 spielen Fußball und höchstens zwei spielen Handball irgendwie". - "Selbst hier oben?" - "Ja. Ja, auf jeden Fall."
    David Wozniak betreut an diesem Abend zusammen mit Moritz Müllenbach das Training der männlichen C-Jugend. Zu den 12 an diesem Abend versammelten Spieler gehört auch Oskar. Im Alter von drei Jahren hat er mit dem Handball angefangen: "Also, ich meine, Handball hat mich viel, also meine Freunde sagen, sozialer gemacht. Weil ich mehr mit Teamsport zu tun hatte."
    Moritz Müllenbach (links) und David Wozniak. 
    Moritz Müllenbach (links) und David Wozniak engagieren sich bei der SG Wift Neumünster als Handball-Trainer. (Dlf/Johannes Kulms)
    In seiner Schulzeit hätte Handball allerdings kaum eine Rolle gespielt, stattdessen stand vor allem Basketball und Fußball auf dem Sport-Lehrplan. Doch der 14-Jährige sieht Anzeichen dafür, dass die WM den Handball populärer macht: "Zwei Freunde von mir haben jetzt angefangen mit Handball. Weil die die WM geguckt haben und die fanden das halt total cool, dass man sehr viel da machen kann. Ich meine, es ist ja nicht nur Handball, es ist ja auch turnen und alles mögliche andere."
    Neumünster ist eine Stadt mit hohem Migrantenanteil. Doch der bildet sich bei diesem Handballtraining nicht ab. Insgesamt gebe es in den Vereinen zu wenig Jugendliche mit Migrationshintergrund, räumt auch der Schleswig-Holsteinische Handballverband ein. Das könne auch daran liegen, dass der Sport in vielen Herkunftsländern der Familien keine große Rolle spiele, so Geschäftsführer Sascha Zollinger. Der Bielefelder Sportsoziologe Klaus Cachay fordert die Vereine auf noch stärker den Kontakt mit Schulen zu suchen um dort eben auch Jugendliche mit Migrationshintergrund anzusprechen.
    In ganz Deutschland gibt es Vereine, die in den letzten Jahren verstärkt auch versuchen, Flüchtlinge für den Handball zu begeistern. Zum Beispiel die HSG am Hallo aus Essen. Der Verein startete 2016 einen Aufruf, dem dutzende Flüchtlinge folgten. Acht von ihnen spielen heute fest in den verschiedenen Mannschaften des Vereins, sagt der Vorsitzende Alexander Gerke. Durch eine noch engere Kooperation mit den Essener Schulen sollen mehr Migranten in den Sport gebracht werden. Ob die Handball-WM dabei Unterstützung leisten kann?
    Hoffnung auf mehr Unterstützung
    In Neumünster hat C-Jugend-Trainer Moritz Müllenbach nach dem Turnier vor allem einen Wunsch an Verbände und die Politik: "Eindeutig die Unterstützung. Wenn man sieht, wie viel Fußball an sich kriegt. Jetzt nicht Geldtechnisch, sondern generell sponsortechnisch und wenn man das mit Handball vergleicht, das ist nichts. Also, wir zum Beispiel suchen noch einen Sponsor dafür, dass wir Trainingsanzüge kriegen für die Jungs. Aber das ist schwer zu finden weil es gibt nicht viele, die Handball sponsern."
    "Einen ganz großen Applaus für unsere Nationalmannschaft, für unsere Jungs!" Dagegen dürften auch die Fans im Kieler Handballbahnhof nichts einzuwenden haben. Auch nach der Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Norwegen ist sich diese Anhängerin sicher: "Also: Handball ist immer vorne!"