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"Was sollten wir denn in einer Ampel?"

"Die Union kann entscheiden, wie sie will", sagt Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung zu möglichen Koalitionsgedankenspielen. Der ehemalige FDP-Chef plädiert trotz Krise für niedrigere Steuersätze und weniger Staat - und traut seiner Partei zu, nach der Bundestagswahl den Ausschlag für "eine vernünftige Politik" zu geben.

Wolfgang Gerhardt im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Wir sind jetzt verbunden mit Wolfgang Gerhardt, dem Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ich begrüße Sie am Telefon, guten Morgen, Herr Gerhardt!

    Wolfgang Gerhardt: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Gerhardt, zunächst einmal - wie enttäuscht sind Sie eigentlich von der Union und dem aktuellen politischen Kurs, den die Union fährt?

    Gerhardt: Ja, die Union ist etwas zu einer leicht sozialdemokratisierenden Partei geworden, das ist für uns klar. Die Union merkt das auch selbst. Wir haben ja in Hessen ein riesiges Wahlergebnis für die FDP auch mit aus diesem Kerngrund erzielt. Nun sind wir für uns selbst verantwortlich und die Union für sich auch. Wir werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - natürlich mit Blick auf die Bundestagswahl - eher bereit sein, mit der Union eine Koalitionsbereitschaft aufzuzeigen, weil die Schnittmengen doch dann am Ende vorhanden sind und weil wir natürlich auch, je besser wir abschneiden, umso höher auf den Kurs einer künftigen, bürgerlichen Koalition Einfluss nehmen können.

    Zurheide: Über Koalitionen wollen wir gleich noch sprechen. Ich würde gerne noch einen Moment bei der Union bleiben. Wissen Sie eigentlich auch ad personam, wo die Bundeskanzlerin steht? Ist es die Angela Merkel von Leipzig, wenn Sie an Angela Merkel denken, oder sehen Sie eher die Kanzlerin, die Hypo Real Estate verstaatlichte, die möglicherweise bei Opel einsteigen will? Wo verorten Sie die Bundeskanzlerin?

    Gerhardt: Die Kanzlerin ist eine Kanzlerin der großen Koalition, und alle, die sich vorgestellt haben, dass die große Koalition denn jetzt nötig sei, doch um entscheidende Veränderungen vorzunehmen, sehen sich jetzt enttäuscht. Das haben wir aber vorhergesagt. Die große Koalition ist groß an der Zahl, aber kleinmütig, um etwas zu verändern. Ich gehe allerdings davon aus, das sage ich auch ganz klar, dass Angela Merkel - wenn sie eine andere Machtoption haben will - sich zu einer Koalition mit der FDP bekennen wird nach der nächsten Bundestagswahl.

    Zurheide: Da haben Sie gesagt, was Sie gerne möchten, allerdings haben viele Beobachter gestern eher den Eindruck gehabt, dass Guido Westerwelle diese ganz harte Aussage zugunsten der CDU etwas aufgeweicht hat. Er will keinen Lagerwahlkampf. Ist das möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass die Union nicht so deutlich auf sie zugeht, wie sie sich das wünschen?

    Gerhardt: Nein, uns geht es ja um die Wähler. Um es ganz platt zu sagen: Die Union kann entscheiden, wie sie will - wir werden uns für eine solche Koalition aussprechen, weil ein großer Teil der Wählerschaft genau das will, und eher irritiert es, dass es die Union nicht klar tut. Wir müssen zunächst einmal auf eigene Rechnung Wahlkampf führen, mit unseren Zielen, mit unserem Personal und mit unseren politischen Vorstellungen. Die Koalitionsaussage ist eine Information für die Wähler, aber sie ist ja nicht der Inhalt unserer Politik.

    Zurheide: Das heißt, schwarz-gelb steht ganz eindeutig oben, dann könnte man fragen: Warum machen Sie es dann jetzt nicht schon in Hannover?

    Gerhardt: Der Kurs ist doch allen klar. Wir müssen das auch nicht jeden Tag äußern. Es ist eine bare Selbstverständlichkeit, wir spüren das in der Mitgliedschaft der FDP, die Wählerschaft denkt ähnlich, und wir werden das wie immer auf einem Parteitag vor der Wahl sagen. Westerwelle hat das im Übrigen auch gestern in seiner Rede klar gesagt. Wir müssen jetzt nicht dauernd sagen, was wir nicht wollen. Ich finde, man kann auch nicht mit fünf Themen Wahlkampf führen. Man muss eine Grundrichtung vorgeben. Das hat er gestern gemacht.

    Zurheide: Und wenn es dann für schwarz-gelb aus welchen Gründen auch immer nicht reichen sollte bei den Umfragen - wir beide wissen, was das bedeutet, es zeichnet sich ja im Moment ab, dass es vielleicht auch nicht reichen kann -, wollen Sie sich dann auch festlegen und sagen, "Ampel", "Jamaika", welche Präferenzen hätten Sie?

    Gerhardt: Im Grunde muss man ja sagen: Was sollten wir denn in einer Ampel? Welche Gemeinsamkeiten haben wir denn heute mit Grünen und SPD? Die wollen das glatte Gegenteil von uns, das erübrigt sich.

    Zurheide: Und jetzt haben Sie gerade gesagt, man muss zuspitzen in Wahlkampfzeiten. Das ist sicher richtig. Auf der anderen Seite kommt natürlich die Frage - und ich meine, Sie haben ja selbst auch irgendwann mal gesagt, die FDP muss aufpassen, dass sie nicht nur monothematisch wahrgenommen wird ... Im Moment hört man das Mantra "Steuern senken" - mag sein, als Identifikationsinstrument, aber ist es nicht eine Verengung, die vielleicht auch zu weit geht?

    Gerhardt: Wenn Sie das so hören wollen, wird jeder, der mich fragt, sagen, das ist eine Verengung. Ist doch gar keine! Das ist eine der Hauptpositionen von uns in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage, wir sprechen über Bürgerrechte, über Bildungspolitik, wir haben alles andere auch. Der Punkt kommt nur so hervor, weil alle anderen praktisch gegen unsere Vorstellungen argumentieren. Wir haben uns nicht auf Steuerpolitik verengt. Steuerpolitik ist aber eigentlich auch mehr, es ist eine Belohnung von Leistung, sie ist ein Verhältnis zwischen Bürger und Staat, sie drückt aus, wie man sich im Grunde eine Gesellschaft vorstellt, sie will motivieren, sie will die Mitte wiederbeleben. Es geht nicht nur um Steuerstufen.

    Zurheide: Sie selbst, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben allerdings irgendwann mal gesagt: Wir als FDP müssen uns da etwas mehr öffnen. Ist diese Öffnung, hat sie dann stattgefunden, so wie Sie das mal gewünscht haben?

    Gerhardt: Ich glaube ja. Wir sind in der Mitte der Gesellschaft, wir sind keine Randpartei in der Bundesrepublik Deutschland, wir sind stärker geworden. Wir können bei der Bundestagswahl den Ausschlag geben für eine vernünftige Politik.

    Zurheide: Kommen wir noch mal auf die Steuersenkungen. Sie kennen natürlich alle Gegenargumente, und die entscheidende Frage ist ja immer: Woran bindet man das? Man kann sagen: Wir machen es gerechter. Das ist ja die neue Oberlinie, die die FDP sagt, also, es wird innerhalb des Steuersystems etwas verändert. Man kann allerdings auch sagen: Wir senken die Steuerquote in Deutschland ab, sozusagen die volkswirtschaftliche Steuerquote. Würden Sie auch in der Krise so weit gehen, zu sagen, ja, auch die Steuerquote kann noch niedriger sein, als sie im Moment ist?

    Gerhardt: Ja, weil im Grunde eine Irritation natürlich in den jetzigen Zahlen liegt. Die jetzigen Zahlen, die diesen Milliardenausfall vorhersagen, sind der Abgleich mit früheren Schätzungen, aber nicht der Abgleich mit der Realität. Wir werden höhere Steuereinnahmen haben, minimal, nicht so sehr wie früher, aber wir können durchaus in den Einkommensgruppen das Ganze transparenter und - wie wir es empfinden - auch gerechter machen.

    Zurheide: Auf der anderen Seite stehen Investitionen in die Zukunft, Bildung ist ein Thema, wo mindestens der ein oder andere bei Ihnen auch sagt, da wird was getan werden müssen.

    Gerhardt: Ja.

    Zurheide: Das heißt, das wird dann nicht von staatlicher Seite gehen, oder was sagen Sie den Leuten, was soll der Staat weniger tun müssen?

    Gerhardt: Wenn wir in einer schwierigen Situation sind, müssen wir uns die Frage stellen, wie wir da wieder herauskommen, und das können wir nicht, wenn wir den Menschen nicht wieder eine Motivation vermitteln. Alles andere bringt uns überhaupt nicht weiter. Ein Staat, der eine Milliarden-Abwrackprämie für Autos auf den Markt gibt, der könnte dasselbe auch in Bildung umsetzen. Wenn immer geredet wird, wir hätten kein Geld für Steuersenkungen - wir geben genügend Geld für verschiedene Programme aus, aber nicht in den Bereichen, wo wir es tun sollten.

    Zurheide: Um da ein anderes konkretes Beispiel zu geben, Sie sagen, Sie als FDP würden nicht bei Opel investieren, sondern woanders. Richtig verstanden?

    Gerhardt: Richtig verstanden. Wir würden für Opel Bürgschaften geben und Überbrückungen, aber wir würden nicht eine Treuhandlösung machen, wir würden nicht mit staatlicher Intervention hineingehen.

    Zurheide: Da liegt dann auch der hessische Ministerpräsident falsch, der das ja mit Ihrem Koalitionspartner möglicherweise will?

    Gerhardt: Die FDP sieht das anders. Ich bin ja Hesse. Ich weiß, dass das in Rüsselsheim schwer drückt. Ich glaube nur, dass die Gefahr bestehen könnte, über eine Treuhandlösung dann am Ende eigentlich in die Pflicht genommen zu werden. Und das wäre etwas riskant. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, welche Entwicklungen wir bei möglichen Investoren haben. Sie hätten sich deutlicher äußern können, denn bisher ist Magna und ist Fiat in aller Munde, in allen Zeitungen, aber anscheinend nicht so konkret wirklich im Angebot.

    Zurheide: Sie haben ja gerade etwas Richtiges angesprochen. Man stellt sich die Frage, warum die Investoren nicht jetzt schon kommen, denn wenn der Staat einmal drin ist - dass er dann wieder rausgeht, das glaubt doch wohl kein Mensch, oder?

    Gerhardt: Ja. Aber er müsste wieder rausgehen. Er muss auch aus den Banken wieder rausgehen. Er muss eine Exit-Strategie entwerfen. Er ist ja auch nicht der bessere Banker. Zu glauben, der Staat könne das alles besser, da muss man viele Male auf die Landesbanken verweisen, die vom Staat kommen, auch auf die Kreditanstalt für Wiederaufbau, auch auf die staatliche Aufsicht, die nicht funktioniert hat. Nein, wir müssen jetzt neue Regeln setzen. Aber der Staat kann nicht alles andere ersetzen.

    Zurheide: Aber, das haben Sie gerade auch gesagt, die Regeln - das ist auch eine Lehre aus der Finanzkrise -, die muss der Staat möglicherweise deutlicher setzen, als er das in der Vergangenheit gemacht hat. Dass außerbinanzielle Abenteuer in irgendwelchen Ländern möglich sind, so etwas halten Sie auch für unzulässig?

    Gerhardt: Absolut, halten wir für richtig. Wir haben auch schon als FDP seit Jahren gesagt, wir sollten die Aufsicht an einer Stelle konzentrieren, nicht parallelisieren. Wir wollten die schon immer bei der Bundesbank haben. Das kann man auch anders organisieren, wenn das andere nicht möchten, aber wir sind der Auffassung als Liberale, dass der Staat der Regelgeber ist, und wenn Regeln nicht eingehalten worden sind, muss sanktioniert werden. Wenn sie nicht ausreichen, müssen sie neu gestaltet werden.

    Zurheide: Das war ein Gespräch mit Wolfgang Gerhardt, dem Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung, zum FDP-Parteitag. Herr Gerhardt, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Gerhardt: Ich danke Ihnen auch.