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WDR-Journalistin plädiert für Doppelpass

Die türkischstämmige WDR-Moderatorin Asli Sevindim hat sich gegen die so genannte Optionspflicht für Jugendliche mit zwei Staatsbürgerschaften ausgesprochen. Zwar würden sich viele junge Türken aus pragmatischen Gründen für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden. Gleichwohl gewinne die Journalistin den Eindruck, dass die deutschen Behörden mit Optionspflicht und Fragebögen immer mehr Hürden aufbauen würden, um Einbürgerung zu verhindern.

Moderation: Friedbert Meurer | 11.07.2008
    Friedbert Meurer: In diesen Tagen und Wochen erhalten junge Deutsch-Türken hierzulande Post von den Behörden. Erstmals greift nämlich für den Geburtsjahrgang 1990 die so genannte Optionspflicht. Noch haben sie meist zwei Staatsbürgerschaften; jetzt sollen sie sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr entscheiden. Asli Sevindim ist die erste türkische Moderatorin der "Aktuellen Stunde" im WDR. Das ist eine viel beachtete regionale Fernsehsendung in Nordrhein-Westfalen. Und außerdem ist sie auch Mitglied im Integrationsbeirat der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Guten Morgen Frau Sevindim.

    Asli Sevindim: Guten Morgen.

    Meurer: Ich lese aus einem älteren Interview, das Sie gegeben haben, Sie sind in Duisburg geboren, mit einem Deutschstämmigen verheiratet, haben aber nur einen türkischen Pass. Wollen Sie nicht Deutsche werden?

    Sevindim: Ich glaube Deutsche wird man, jedenfalls so wie ich es verstehe, nicht nur, indem man eine Staatsbürgerschaft annimmt oder ein Papierstück unterschreibt, sondern indem man sich zu bestimmten Werten bekennt, indem man zu einem Gemeinwesen beiträgt, indem man der Gesellschaft etwas gibt, einen Beitrag leistet, durchaus einen politischen, einen sozialen Beitrag leistet. Es ist eben viel, viel mehr als eine Unterschrift oder eine Zusicherung auf einem Papierstück, wie ich finde.

    Meurer: Nur damals in der hitzigen Diskussion vor 1999 und 1990 hieß es auch von den türkischen Verbänden, die Staatsbürgerschaft sei sehr wichtig für die Integration. Ist sie gar nicht so wichtig für die Integration?

    Sevindim: Ich denke die Staatsbürgerschaft ist doch ein ganz wichtiges Zeichen und auch ein Ausdruck der Integration. Nur wir sind ja jetzt im Moment in Deutschland in der traurigen Situation, dass es immer weniger Einbürgerungen gibt. Ich würde mir an der Stelle mal die Frage stellen, woran das liegt. Wir erfinden neue Regelungen. Wir erfinden neue Fragebögen, Fragekataloge, an denen deutsch-deutsche Staatsbürger scheitern. Da fragt man sich: Muss man die im Nachhinein ausbürgern? Wir kümmern uns aber wenig darum, wie es gelingen kann, Menschen zusammenzubringen, wo die Gemeinsamkeiten liegen, wo man Angebote machen kann. Ich denke die Bereitschaft, sich einbürgern zu lassen, wäre doch deutlich größer, wenn man vielleicht die alte Staatsbürgerschaft nicht aufgeben müsste. Es gibt genügend Menschen, denen das doch ein Anliegen ist, die Verbundenheit mit dem Herkunftsland auch noch irgendwo ausdrücken zu können. Das muss nicht verhindern, dass man sich der neuen Heimat oder der neuen Staatsbürgerschaft gegenüber ebenso loyal verhält.

    Meurer: Kann man die gesunkene Zahl der Einbürgerungsanträge auch so interpretieren, dass die Integration einen Schritt zurückgegangen ist?

    Sevindim: Ob sie zurückgegangen ist weiß ich jetzt nicht. Ich denke aber schon, dass eine gewisse Ernüchterung da ist, Enttäuschungen. Gefühle spielen da natürlich eine Rolle. Integration funktioniert ja nicht über gesetzliche Regelungen allein, sondern auch über das Gefühl, irgendwo anzukommen, willkommen zu sein, das Gefühl zu haben, man will mich hier durchaus. Das kann ich ja auch zum Ausdruck bringen durch Regelungen oder eben auch genau verhindern. Wenn ich einen Fragenkatalog aufstelle oder Gesinnungsfragen stelle, mit denen ich deutlich mache, ich unterstelle dir erst mal grundsätzlich, dass in deinem Kopf irgendetwas lauert, was einer Einbürgerung entgegensteht, oder ich unterstelle dir grundsätzlich, dass du anders denkst, dann muss ich mich ja nicht wundern, wenn Menschen sich verschließen. Ich bin da eher eine Anhängerin einer positiven Verstärkung und würde eher zu einer Erleichterung tendieren.

    Meurer: Nun ist der Fragebogen das eine, Frau Sevindim. Das andere ist diese so genannte Optionspflicht. Wenn die jungen Leute aufgefordert werden, entscheidet euch jetzt zwischen 18 und 23: deutsche Staatsbürgerschaft oder türkische Staatsbürgerschaft, ist das denn ein Signal gegen Türken?

    Sevindim: Es ist zumindest das Signal für diese jungen Leute, dass der Zustand, in dem sie bislang gelebt haben und wahrscheinlich auch sehr gut gelebt haben und völlig problemfrei gelebt haben, plötzlich unnormal ist. Das heißt diese Menschen werden wieder aus einem Zusammenhang gerissen und werden plötzlich wieder vor die Situation gestellt "das ist nicht korrekt; ihr müsst euch jetzt für uns oder gegen uns entscheiden". Das ist doch eigentlich die anormale Situation.
    Im Übrigen ist die doppelte Staatsangehörigkeit in Deutschland keine Ausnahme. Es gibt Ausnahmeregelungen für EU-Staaten. Es gibt die Ausnahmeregelungen für die Schweiz und auch für andere Staaten, mit denen es vertragliche Vereinbarungen gibt. Da in Deutschland aber die größte Gruppe der Einwanderer doch die der Türkeistämmigen sind, kommt natürlich schon ein merkwürdiges Gefühl auf, wenn dann wieder "die Türken" im Fokus sind.

    Meurer: Da sagt die CDU, da wird es eben zu einem Massenphänomen. Bald werden insgesamt 50.000 davon betroffen sein.

    Sevindim: Ja! Und was soll darin schlimm sein, wenn man Menschen nicht grundsätzlich unterstellen würde, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit immer ein Problem darstellt und immer im Grunde einen Loyalitätskonflikt herbeiführt? Wenn die Menschen sich jetzt entscheiden müssen. Diese jungen Leute sind hier geboren. Die haben die doppelte Staatsangehörigkeit. Jetzt müssen sie sich entscheiden. Es ist so viele Jahre gut gegangen. Was sollte jetzt an Problemen auftauchen? Ich habe diese Lösung eigentlich von Anfang an für ein Problem gehalten. Sie war eigentlich eine Konstruktion, die ein Kompromiss war - und zwar kein besonders gelungener Kompromiss.

    Meurer: Wie sieht dieser Loyalitätskonflikt aus?

    Sevindim: Ich finde es gibt ihn nicht! Er wird ja konstruiert von anderer Seite. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft wird dann unterstellt, da könne man sich im Zweifelsfall gar nicht entscheiden, welchem Staat man gegenüber loyal sein wollte. Das ist doch eine Konstruktion! - Hier leben so viele Menschen, die sich hier wohl fühlen, die eine Verbindung zu ihrem Herkunftsland haben, aber auch ganz klar sagen, meine Lebensmitte ist hier, hier fühle ich mich wohl, hier trage ich zum Beispiel durch Ehrenamt oder bürgerschaftliches Engagement zum gesellschaftlichen Prozess bei. Ich nenne Ihnen jetzt mal ein Beispiel; das ist natürlich ein relativ oberflächliches Symbol, aber doch ein sehr schönes. Während der Fußballeuropameisterschaft haben ganz viele Menschen das zum Ausdruck gebracht, indem sie an ihren Autos eine deutsche und eine türkische Fahne hatten. Ich glaube nicht, dass da irgendjemand großartig zerrissen gewesen wäre.

    Meurer: Wie viele deutsch-türkische Jugendliche beziehungsweise Erwachsene ab 18 werden sich Ihrer Meinung nach, wenn die Optionspflicht bleibt, für die deutsche und wie viele für die türkische Staatsbürgerschaft entscheiden?

    Sevindim: Da muss man glaube ich ganz realistisch sein. Ich denke, dass am Ende natürlich auch der Pragmatismus überwiegt. Wer hier lebt, wer hier geboren ist, wessen Eltern hier leben, der hat wahrscheinlich auch noch Geschwister, Partnerschaft, Beruf, der wird sich sicher dann aus pragmatischen Gründen und ich finde dann auch aus vernünftigen Gründen natürlich für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden. Warum soll ich mir selber noch Fallstricke legen oder Schwierigkeiten aufbauen und mir immer wieder Visa-Probleme einfangen und Ähnliches mehr, indem ich mich dann für das Herkunftsland entscheide. Aber jetzt stellen Sie sich mal die Debatten in diesen Familien vor. Dann gibt es auch noch wahrscheinlich Dinge wie Erbrecht im Herkunftsland zu klären und Ähnliches mehr. Wir starten ein Problem. Wir eröffnen Debatten im Kreise von Familien, die eigentlich sehr, sehr überflüssig sind.

    Meurer: Was sind denn so die Diskussionen in den türkischen Familien über mögliche Nachteile, wenn man die türkische Staatsbürgerschaft abgibt? Sie haben das Erbrecht genannt. Das wäre ein Thema.

    Sevindim: Genau. So etwas ist natürlich auch vertraglich durchaus zu regeln und ist glaube ich zum großen Teil geregelt. Aber es gibt natürlich immer Fehlinformationen oder fehlende Informationen. Da ist immer die Aussage "oh nein, es geht gar nicht, wir haben Besitz in der Türkei" oder "du kriegst vielleicht mal etwas von der Tante oder von der Oma vererbt". Da weiß man es nicht. "Kann ich mir dann noch ein Ferienhaus in der Türkei kaufen?" Das sind natürlich Fragen, die die Menschen bewegen. Auf der anderen Seite ist es natürlich so eine Art von Verbundenheit. Das ist noch so ein bisschen der Link zu der Verwandtschaft, zu Menschen, die einem wichtig sind, zu einem Herkunftsland. Das ist vielleicht auch der Respekt vor der Herkunft der Eltern, auch vor nostalgischen Gefühlen. Das sind natürlich schon wichtige Dinge, die Menschen bewegen und die nicht unbedingt dazu beitragen, dass man sich dann völlig frei, entspannt und lustig für eine andere Staatsbürgerschaft entscheiden kann.

    Meurer: Wenn Sie sagen, Frau Sevindim, die meisten jungen Leute werden sich aus Pragmatismus für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden, kann man dann sagen, so ein wichtiges Thema ist die Optionspflicht jetzt auch nicht?

    Sevindim: Ich denke es ist schon ein wichtiges Thema, weil dieses Optionsmodell ja deutlich macht, wie wir in dieser Gesellschaft mit Menschen umgehen, die einen anderen Hintergrund haben oder deren Familien mal von woanders zu uns gekommen sind. Ich glaube, dass eine Gesellschaft und dass ein Land, das stark und selbstbewusst ist und davon ausgeht, dass es wirklich was zu bieten hat - und das hat dieses Land ja -, - mit seinen Werten, mit demokratischen Prinzipien, mit Rechtsstaatlichkeit -, das sind absolute Hit-Faktoren, nenne ich das jetzt mal ganz populistisch. Mit denen würde ich so souverän und so selbstbewusst umgehen, dass ich sagen würde, die Menschen müssten mir ja eigentlich hier den Laden einrennen, um diese Staatsbürgerschaft zu kriegen. Warum mache ich eigentlich so ein Riesen Problem daraus? Warum muss ich überall noch eine Tür schließen und da noch eine Hürde aufbauen? Eigentlich muss doch das Interesse sein, dass Menschen, die hier langfristig leben und sich hier auch wirklich zurecht finden und gerne hier leben, die Staatsbürgerschaft mehr als wünschen. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass wir darum immer mehr Hürden aufbauen, um es weniger möglich zu machen. Und die sinkenden Einbürgerungszahlen scheinen mir das ja auch zumindest zum Teil zu bestätigen. Das finde ich äußerst schade.

    Meurer: Die deutsch-türkische Fernsehjournalistin Asli Sevindim bei uns im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören!