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Wechsel an der EZB-Spitze
Draghis Erbin

Christine Lagarde war Chefin des Internationalen Währungsfonds und steht seit heute an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Damit ist die Französin eine der wichtigsten Geldpolitikerinnen weltweit. Die Juristin gilt als Freundin unkonventioneller Ideen - und die sind nun auch in Sachen Geldpolitik gefragt.

Von Victor Gojdka | 01.11.2019
Christine Lagarde, die erste Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF)
Christine Lagarde will als EZB-Chefin mehr mit Bürgern ins Gespräch kommen. (dpa/ picture alliance / Jean Nicholas Guillo)
Wenn man Christine Lagarde verstehen will, dann muss man die Sache mit dem Zebrateppich kennen. Als die Juristin in Frankreich Finanzministerin wurde, da hat sie erst mal ihr Büro umgestaltet. Alter Teppich raus – neuer Teppich rein. Und zwar ausgerechnet: 50 Quadratmeter Zebramuster.
"Ja, ich wollte Energie in mein Büro bringen – und ein bisschen Freude."
Lockere Geldpolitik dürfte weitergehen
Unkonventionell, das ist Lagarde. Und die unkonventionellen Mittel in der Geldpolitik – also Anleihekäufe und Negativzinsen – die dürften mit ihr weitergehen. Sagt Anlagestratege Chris-Oliver Schickentanz von der Commerzbank:
"Sie ist durchaus eine Freundin einer weiter aggressiv unterstützenden Geldpolitik. Von daher gehe nicht davon aus, dass wir dort einen abrupten Wechsel sehen."
Manchen an der Börse schmeckt das gar nicht. Sie wünschen sich lieber heute als morgen eine striktere Zinspolitik. Mehr Verständnis für die deutsche Position in dieser Sache. Aber, immerhin: Christine Lagarde dürfte mehr Diskussionen in der Zentralbank zulassen als ihr Vorgänger Mario Draghi. Wie wichtig ihr "querdenken" ist, das hat sie vor Jahren deutlich gesagt:
"Als Managerin und Ministerin habe ich immer eine Person im Team, die komplett anders ist als der Rest. Einen Troubleshooter, der manchmal auch Ärger macht, eine andere Ausbildung hat. Wenn sich ständig alle einig sind, kommt man nicht vorwärts."
Mehr Diskurs mit Bürgern?
Lagarde dürfte nicht nur in der EZB den Diskurs ankurbeln. Auch außerhalb der Zentralbanktürme will sie mit den Bürgern ins Gespräch kommen:
"Good leadership is not only about setting priorities, it’s also about listening to all voices. Not just expert voices, but all voices."
Bei guter Führung, sagt Lagarde, geht es darum, nicht nur Experten zuzuhören - sondern allen. Einen Dialog der Zentralbanker mit den normalen Leuten also? Börsenhändler Stefan Scharffetter von der Baader-Bank hat das in den vergangenen Jahren schmerzlich vermisst:
"Letztendlich kommt immer nur an: ‚Ich bekomme auf meinem Sparkonto keine Zinsen mehr.‘ Und dann ist der Buhmann schnell ausgemacht. Da die Politik zu erklären und die Gründe zu erklären, halte ich für eine ausgesprochen sinnvolle Idee."
Gesucht: Unkonventionelle Ideen
Doch Reden ist nicht alles, Lagarde dürfte schnell handeln müssen. Brexit und Handelsstreit hängen wie dunkle Wolken über der europäischen Wirtschaft. Die Zinsen allerdings kleben an der Nulllinie. Viel weiter lassen sie sich nicht drücken, sagt Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe von der Uni Frankfurt:
"Wenn man sich heute fragt, welche Pfeile hat die EZB noch im Köcher, welche kann Frau Lagarde noch herausziehen, dann muss man ziemlich viel Fantasie haben, um sich etwas auszudenken. Sicher ist nur, dass der Instrumentenkasten der EZB ausgereizt ist."
Aber wer, wenn nicht Lagarde, sollte die Kreativität für ganz neue Lösungen haben. Für einen neuen, umstrittenen Zebra-Teppich in der Geldpolitik sozusagen.