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Weder Allheilmittel noch Teufelswerk

Glorifizierung auf der einen, Dämonisierung auf der anderen Seite: Die polarisierenden Bilder zeigen, dass die Diskussion über die Chancen und Risiken von Technik niemals nur rational geführt wird. Denn Technik ist auch eine soziale Angelegenheit, so das Fazit einer Tagung in Tutzing.

Von Peter Leusch |
    "Fukushima, das war ein Zusammentreffen von einem Naturereignis, dem Tsunami, und einer Unterschätzung der Risiken von Atomkraftwerken in Japan. In Deutschland hat man auf dieses Ereignis so reagiert, dass man einen Systemwechsel bei der Energieversorgung in relativ kurzer Zeit mit breiter Akzeptanz der Bevölkerung aufgrund des Eindrucks der Katastrophe und ihrer Wirkung beschlossen hat."

    Mit Fukushima, so Stephan Schleissing vom Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaft an der Universität München, stand Technik im Zeichen der Katastrophe. Atomenergie sei nicht beherrschbar, entschied man in Deutschland. Sie verheißt zwar eine unerschöpfliche Energiequelle, doch die Entsorgung des radioaktiven Mülls belastet das Erdreich über Jahrtausende.

    Diese tiefe Ambivalenz gilt für die Technik im Allgemeinen: Ihren Segnungen und Errungenschaften, die wir nicht missen möchten, stehen unübersehbar negative, auch lebensgefährdende Seiten gegenüber: Die Technik hat buchstäblich Berge versetzt und Flüsse umgeleitet, sie hat aber auch ganze Landstriche verwüstet und Wälder vernichtet. Kohlekraftwerke liefern die Energie für Industrie und großstädtisches Leben, moderne Verkehrsmittel überwinden Zeit und Raum - doch beide zusammen drohen das Weltklima aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Gentechnologie verspricht erhöhte Therapiechancen für bislang unheilbare Leiden, für Aids und Alzheimer, - doch Eingriffe ins Erbgut bergen unübersehbare Risiken.

    Die Technik trage einen Januskopf, schrieb der Philosoph Hans Jonas, da in ihr Positives und Negatives, Lösung und Krise, Fortschritt und Katastrophe unaufhebbar ineinander verschränkt seien. Und man kann sich von dieser Problematik nicht freimachen, denn Technik durchwirkt den gesamten Alltag, erläutert der Zeithistoriker Dirk van Laak von der Universität Gießen:

    "Was auffällt, ist, dass Technik sich in die Alltagsroutinen der Bürger einschleicht, sie soll das Leben erleichtern, sie soll eine arbeitsteilige Gesellschaft ermöglichen, das trifft insbesondere für die Infrastruktur, für alle Einrichtungen der Ver- und Entsorgung, des Verkehrs und der Kommunikation zu. Und wenn hier, aus welchem Grund auch immer, etwas hapert oder blockiert, wenn es nicht mehr funktioniert, dann sind merkwürdige Prozesse zu beobachten, wie etwa bei den Stromausfällen, in New York 1965 und nochmals 1977, wo binnen kurzem die gesellschaftlichen Spielregeln außer Kraft zu treten drohten."

    Es kam zu regelrechten Plünderungen in New York. Mit dem technischen Defekt kollabierte zeitweilig auch die soziale Ordnung. Dabei hatte die Geschichte der Technik 150 Jahre zuvor ganz anders begonnen, mit einem grandiosen Siegeszug von Wissenschaft und Technik im Laufe des 19. Jahrhunderts, der den Glauben an den Fortschritt befeuerte: Eine bessere Welt schien möglich, schien machbar. Und mit Hilfe der Technik würde der Mensch sie im neuen, im 20 Jahrhundert erschaffen. Dirk van Laak:

    "Man war begeistert von Bauwerken, die in die Höhe gingen, man war vom Fliegen begeistert, von medizinischen Fortschritten, und das sich in der Zwischenkriegszeit zu einem eigenen Weltbild verfestigt, viele dachten nur noch vom Technischen, vom Energetischen her, und kamen aus dem Planen gar nicht mehr heraus, planten munter weg, das Mittelmeer trocken zu legen, oder Landengen zu sprengen und die Erde nach dem Vorbild des Menschen, dem Nutzwert für den Menschen neu zu gestalten."

    Auch wenn sich Wissenschaft und Technik ganz säkular geben – beide gelten als Inbegriff einer aufgeklärten und nüchtern rationalen Sicht der Welt - so entdeckt eine tiefer gehende Reflexion religiös geprägte Motive und Bedeutungsschichten. Christian Schwarke dazu, er lehrt evangelische Theologie an der Technischen Universität Dresden.

    Natürlich ist es so, dass wir sehr viele Techniken entwickeln, weil wir religiöse Utopien dort umzusetzen, Vorstellungen vom gelungenen Leben, vom guten Leben, vom Heil – das sind alles alte Menschheitsvorstellungen, die wir mit unserer Technik schon partiell versuchen umzusetzen, und es wäre hilfreich, sich solche Aspekte zu vergegenwärtigen und nicht zu meinen, weil wir alle furchtbar vernünftig sind, darf das alles nicht sein - weil sie uns dann von hinten durch die Brust ins Auge überfallen - das merken wir permanent, dass solche Bilder hineinspielen, weil man damit nicht vernünftig umgehen kann, da sie Ausdruck von Ängsten oder von übertriebenen Hoffnungen sind.

    Ernsthafte Zweifel erwuchsen dem religiös unterfütterten Fortschrittsglauben und der Verherrlichung der Technik erstmals 1912 als die vermeintlich unsinkbare Titanic sank und viele Menschen mit sich in die Tiefe riss. Zwei Weltkriege stellten die Technik in den Dienste von Tod und Zerstörung. Spätestens mit der Atombombe war für viele aus dem Hoffnungsträger Technik, aus der Lichtgestalt ein Todesengel geworden: Technik als Organ des Weltuntergangs, Technik als Teufelszeug. Und diese Dämonisierung von Technik birgt ebenso ein verkapptes theologisches Erbe, das auch in der Gegenwart weiter wirkt.

    Glorifizierung der Technik auf der einen, Dämonisierung auf der anderen Seite, die polarisierenden Bilder bezeugen, dass die Diskussion über Technik, über ihre Chancen und ihre Risiken, niemals nur rational und frei von Gefühlen, von Hoffnungen und Ängsten geführt wird. Und gerade Ängste folgen nicht den Gesetzen von Logik und Wahrscheinlichkeit.

    Damit hat sich der Entscheidungstheoretiker Wolfgang Gaissmaier auseinandergesetzt, er arbeitet am Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin:

    "Was passiert, ist, dass wir uns häufig nicht vor den Dingen, die wirklich gefährlich für uns sind, sondern viel mehr Angst haben vor Dingen, die uns eigentlich nicht so stark bedrohen: Nehmen sie dieses Beispiel Flugzeug versus Auto – Soll ich mit dem Flugzeug fliegen oder mit dem Auto fahren. Wenn Sie einen Überseeflug haben, sagen mir mal von Berlin nach New York, dann ist der ungefähr so gefährlich wie eine 20 km lange Autofahrt. Das heißt wenn Sie mit dem Auto lebend am Flughafen ankommen, liegt der gefährlichste Teil der Reise bereits hinter Ihnen."

    Dennoch wissen wir, dass Menschen viel mehr Angst davor haben, sich in ein Flugzeug zu setzen als in ein Auto: Trotz der hohen Geschwindigkeit weiß sich der Mensch – Steppenbewohner über Jahrmillionen - immer noch am Boden, zum Fliegen ist er nicht geschaffen.

    Wolfgang Gaissmaier hat auch herausgefunden, dass viele Europäer und noch mehr Nordamerikaner nur unzureichendes Rüstzeug mitbringen, um Sachverhalte in der komplexen Welt zu begreifen. Viele könnten schlichtweg Statistiken nicht richtig lesen beziehungsweise die Bezugsgrößen einordnen, obwohl Tabellen und Tortendiagramme, Zahlenwerte und Vergleiche zur Einschätzung von Risiken in der hochkomplexen Welt allenthalben herangezogen werden.

    "Ich denke, eine Grundvoraussetzung ist, dass wir den Menschen beibringen, mit Unsicherheit umzugehen, es ist ein Skandal, dass wir in der Schule immer noch fast ausschließlich die Mathematik der Sicherheit lehren, über ganz viele Jahre hinweg, wobei wir davon bis auf die Grundrechenarten später gar nicht mehr so viel brauchen. Die Mathematik der Unsicherheit dagegen, die Statistik, wird nur sehr wenig und sehr speziell unterrichtet, dabei könnte man daran die spannenden Fragen unserer Zeit, also Klimawandel, Energiewende und Gesundheitssystem aufziehen und unterrichten und ein spannendes Fach hier haben; das findet nicht statt."

    Allerdings spielen bei der gesellschaftlichen Reaktion auf technische Katastrophen, bei der Entstehung von Angstwellen noch andere Faktoren eine Rolle, auf die Dirk Helbing, Soziologe an der ETH Zürich, aufmerksam macht.

    "Da muss man eben festhalten, dass solche Ereignisse auch Vertrauen und soziales Kapital zerstören, das aber auch einen Wert hat, ein Wert, der allerdings nicht materieller Natur ist, und von Versicherungen nicht berücksichtigt wird, aber berücksichtigt werden sollte, denn sonst gehen wir zu hohe Risiken ein."

    Vertrauen ist eine soziale Kraft, gerade in einer hochkomplexen Welt, wo nicht jeder alles und überall selber nachprüfen und kontrollieren kann. Deshalb verzeiht es eine Gesellschaft nicht, wenn sie falsche Sicherheitsversprechen erhalten hat, insbesondere von Seiten der Politik.

    Inzwischen ist allerdings ein Umdenken im Gange, was das Konzept und den Einsatz von Technik selber betrifft, erläutert Dirk Helbing, der an komplexen Simulationsmodellen arbeitet. Es findet ein Paradigmenwechsel statt. Bis her dominierte ein Top-down-Konzept. Von oben nach unten sollte eine zentralistische Steuerung den Einsatz von Technik dirigieren und alle aufkommenden Risiken meistern. Doch dieses Modell ist in der Praxis allzu oft gescheitert.

    "Ein schönes Beispiel ist eigentlich die Verkehrssteuerung, da hat man in der Vergangenheit Rechenzentren gehabt, die sind groß und teuer, und die sammeln die Informationen aus der gesamten Stadt, und daraus versucht man dann die optimale Verkehrssteuerung als Ampelschaltung abzuleiten. Dann gibt man sozusagen das Kommando raus an die Ampeln und das Schema wird implementiert, top down, also man versucht, das zu machen was für alle am besten ist. Aber das funktioniert nicht. ... denn die Variabilität des Verkehrs ist so groß, dass Mittelwerte letzten Endes nicht aussagekräftig sind."

    Das Technik-Konzept einer zentralen Steuerung von oben entspricht auf politischer Ebene einem autoritären Regierungssystem, wo ein vielleicht wohlmeinender Diktator bis in alle Winkel durchregiert und doch letztendlich alles an den Interessen, Bedürfnissen und Freiheitswünschen der Bürger vorbei geht.

    "Und deswegen funktioniert ein Ansatz viel besser, der an Flexibilität orientiert ist, und sich an die lokalen Bedürfnisse in Echtzeit anzupassen versucht, mit lokalen Daten, mit lokalen Koordinationsansätzen, indem man einen Paradigmenwechsel vollzieht von einem Top-down-Management zu einem Bottom-up-Management, wo die Verkehrsflüsse letzten Endes die Ampel steuern."

    Die Ideen von Netzwerk und dezentraler Selbstorganisation erobern langsam auch die Welt der Technik. Aber auch das neue Konzept einer Bottom-up-Technik spricht nicht über den sozialen Faktor, die gesellschaftliche Akzeptanz und Integration von bestimmten Technologien.

    So hält sich hartnäckig das Missverständnis, es handle sich bei all dem um eine rein technische Angelegenheit, nach der Devise: die Technik hat neben ihren positiven Effekten bestimmte Risiken und Probleme verursacht, die Technik wird sie selber lösen, konkret gesprochen: die Autoabgase belasten Klima und Umwelt, die Industrie entwickelt schadstoffärmere Fahrzeuge – und die Gesellschaft könne sich heraushalten, brauche über ihr Verkehrsverhalten nicht weiter nachzudenken. Dieses Missverständnis einer rein technischen Lösung haftet auch dem Thema Energiewende an. Doch der Verzicht auf Atomenergie und der Ausbau der erneuerbaren Energien gelingt nur, wenn die Gesellschaft diesen Wechsel auf allen Ebenen akzeptiert und mitträgt, weil zum Beispiel großflächige Windkraftanlagen und neue Stromleitungen das Bild vom ländlichen Raum und das Leben dort nachhaltig verändern.

    Technik, so ein erstes Fazit der Tagung, ist weder Allheilmittel und noch böser Dämon, sie ist aber auch nicht neutral. Technik ist vielmehr eine soziale Angelegenheit. Stephan Schleissing:

    "Ein kluger Soziologe hat einmal gesagt: die Technik ist ein sozialer Körper. Das heißt, es ist vollkommen unsinnig, Technik und soziale Prozesse voneinander unabhängig und entkoppelt zu beschreiben. Das bedeutet, dass Technik zunächst immer noch als ein Mittel verstanden wird, das selber zwar nicht einfach neutral ist, also für x-beliebige Zwecke eingesetzt werden kann, aber einen sozialen Diskurs nötig hat, über die Ziele, für die bestimmte Techniken und Technologien eingesetzt werden."