Heinemann: Die Würfel sind gefallen, die Mitbestimmung neu geregelt. Künftig sollen Firmen schon von 200 und nicht erst von 300 Beschäftigten an einen Betriebsrat freistellen müssen. Die Wahl von Betriebsräten in Kleinbetrieben soll in zwei Stufen erfolgen und nicht wie zunächst vorgesehen in einer. Die Mitbestimmung bei der Arbeitsorganisation bleibt eingeschränkt. Die Reaktionen: die Gewerkschaften freuen sich und die Arbeitgeber machen entweder gute Miene zum aus ihrer Sicht bösen Spiel oder direkt lange Gesichter. Den politischen Gestaltungswillen habe die Bundesregierung beim Betriebsverfassungsgesetz den Gewerkschaften überlassen, meinte gestern eine Zeitung. Wenn das so ist, ist das kein Wunder. Im kommenden Jahr sind wieder Bundestagswahlen und in der SPD ist die acht Millionen Mark teuere Wahlwerbung des deutschen Gewerkschaftsbundes zugunsten des Machtwechsels noch in guter Erinnerung. - Am Telefon ist jetzt Peter Struck, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Struck: Guten Morgen Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Struck, sind Sie froh darüber, dass der Bundeskanzler nicht wieder "basta" sagen musste?
Struck: Der Bundeskanzler hat natürlich das entscheidende Wort gesprochen. Das ist ja völlig klar. Wenn es am Vorabend einer Kabinettssitzung, auf der ein Gesetzentwurf beschlossen werden soll, noch unterschiedliche Auffassungen gibt, dann muss der Regierungschef sich einschalten. Das ist geschehen. Ich will eine Bemerkung zu Ihrer Anmoderation machen, Herr Heinemann. Wir machen das Betriebsverfassungsgesetz nicht deshalb neu, weil die Gewerkschaften angeblich eine Campagne zu unseren Gunsten gemacht haben - sie haben eine Campagne gegen die unsoziale Politik der alten Bundesregierung gemacht -, sondern weil dieses Betriebsverfassungsgesetz seit 30 Jahren gilt und in der Tat auf die neuen Lebens- und Arbeitsverhältnisse umgeschrieben werden musste.
Heinemann: Allerdings weis man, dass wo ein Betriebsrat ist die Gewerkschaften nicht weit sind. Insofern war das doch vielleicht ein Konjunkturprogramm für Gewerkschaftsfunktionäre?
Struck: Nein, ganz und gar nicht. Die Gewerkschaften haben mit Recht darauf hingewiesen - das ist übrigens auch von den Arbeitgebern nie bestritten worden -, dass es Erneuerungs- oder Korrekturbedarf im alten Betriebsverfassungsrecht gibt. Der Arbeitsminister hat dazu Vorschläge entwickelt, die am Anfang auf Kritik auch des Wirtschaftsministers gestoßen sind. Jetzt ist eine Einigung erfolgt. Dieses Gesetz ist eine hervorragende Grundlage für die im nächsten Jahr stattfindenden Betriebsratswahlen. Das Kriegsgeschrei der Arbeitgeber war aus meiner Sicht völlig überzogen. Sie haben versucht, Positionen aufzubauen, die eigentlich niemals haltbar waren, die auch von vernünftigen Unternehmern eigentlich nicht vertreten worden sind, nach dem Motto: wir bekämpfen dieses Betriebsverfassungsgesetz, weil sonst unsere Wirtschaft zusammenbrechen würde. Das ist genauso absurd wie es vor 30 Jahren war, als das Gesetz zum erstenmal gemacht wurde.
Heinemann: Herr Struck, eine wirkliche Novelle, etwas wirklich neues, wie das Wort ja ankündigt, wäre zum Beispiel gewesen die Verlagerung von Lohn- und Kostenentscheidungen auf die Ebene der Betriebe, weg vom Tarifkartell. Dazu fehlte offenbar der Mut?
Struck: Nein, das geht auch nicht. Wir müssen bei unserem allgemeinen Tarifvertragsrecht bleiben. Eine Bindung sozusagen, die nur in dem Betrieb selbst erfolgt, würde nun wirklich den Interessen der Beschäftigten nicht entsprechen. Hier geht es darum, dass für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland einheitliche Bedingungen gelten und nicht Bedingungen, die nur für einen Betrieb vereinbart worden sind. Insofern ist das, was verabredet worden ist, aus der Sicht der Arbeitgeber viel zu weitgehend und aus der Sicht der Gewerkschaften nicht weitgehend genug. Deshalb glaube ich, dass wir mit diesem Gesetz auf einem guten Mittelweg sind.
Heinemann: Das Werk ist ziemlich kompliziert. Ein Beispiel: die Zahl der Betriebsräte soll in Betrieben ab 101 Arbeitnehmer erhöht werden. Von 101 bis 200 Arbeitnehmer sind sieben Mitglieder vorgesehen, bisher fünf. Da wäre ein Arbeitgeber, der 90 Angestellte beschäftigt, doch schön blöde, wenn er, auch wenn er es könnte, weitere 15 Leute einstellte?
Struck: Ich glaube das nicht. Das ist ein Argument, das in der Debatte immer auftauchte. Es ist ja so, dass auch heute schon ein Betriebsrat die Möglichkeit hat, wenn er vom Kollegen oder einer Kollegin im Betrieb angesprochen wird, die Arbeit zu unterbrechen und Betriebsratsarbeit zu machen. Ob das nun fünf oder sieben sind ist relativ egal. Das entscheidende ist eigentlich eher die Zahl der sogenannten freigestellten Betriebsräte, also solcher Frauen oder Männer, die nur Betriebsratsarbeit in dem Betrieb machen. Da hat es ja heftige Kämpfe um die sogenannte Freistellungsgrenze gegeben. Ich bin fest davon überzeugt, wenn das Gesetz gilt, dann werden sich die Arbeitgeber und die Unternehmer mit diesem Gesetz gut anfreunden können. Da wird auf keinen Fall jetzt eine Verweigerungshaltung, was die Einstellung neuer Mitarbeiter angeht, eintreten, denn man macht die Einstellung neuer Mitarbeiter nicht davon abhängig, ob fünf oder sieben Betriebsratsmitglieder in einem Betrieb sind, sondern ob es eine Gewinnentwicklung gibt, die zusätzliche Einstellungen erlaubt.
Heinemann: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" heftet das Werk heute in einem Leitartikel in der dicken Mappe deutscher Investitionshemmnisse ab. Glauben Sie, dass dieses doch etwas komplizierte Verfahren ausländische Investoren anlockt oder eher abschreckt?
Struck: Nein, ich glaube nicht, dass es abschreckt. Das ist ein Argument, das gab es wie gesagt vor 30 Jahren auch schon. Die Wirklichkeit zeigt, dass wir genügend ausländische Investoren hier in unserem Land haben. Das ist die alte Platte, die immer wieder gedreht wird, wenn es darum geht, Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Betrieben in Gesetze zu schreiben. Es wird sich alles viel, viel vernünftiger und ruhiger entwickeln als jetzt im Augenblick von den Arbeitgebern befürchtet wird. Für ausländische Investoren, die hier investieren wollen, geht es um ganz andere Fragen. Da geht es um die Frage, wie ist die Steuersituation in unserem Land. Wir haben die Unternehmenssteuern gesenkt und sind deshalb auch im europäischen Wettbewerb durchaus ein attraktiver Standort.
Heinemann: Wie erklären Sie es sich, dass die amerikanische Handelskammer in Deutschland im Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsrecht vor einer "Irritation ausländischer Investoren" warnt?
Struck: Das halte ich auch für das normale Feldgeschrei vor einem Gesetz, das immer diejenigen, die von dem Gesetz betroffen sind und glauben, negativ betroffen zu sein, anstimmen. Das ist eine überzogene Befürchtung, eine überzogene Darstellung.
Heinemann: Die Belastung für die Wirtschaft sei auch bei den Kosten zumutbar, sagte Werner Müller gestern. Das Signal lautet also: diese Bundesregierung belastet die Wirtschaft. Ist das eine gute Werbung für den Standort Deutschland?
Struck: Die Bundesregierung hat die deutsche Wirtschaft deutlich entlastet.
Heinemann: Und jetzt kassieren Sie diese Entlastung wieder ein?
Struck: Nein, absolut nicht. Herr Heinemann, wir haben den Körperschaftssteuersatz von 45 auf 25 Prozent gesenkt. Das bringt nun wirklich deutliche Entlastung. Das ist bares Geld für die Unternehmer. Da hat die Tatsache, dass man statt bei 300 jetzt bei 200 jemanden im Betriebsrat freistellen kann, nun wirklich untergeordnete Bedeutung.
Heinemann: Laut Institut der Deutschen Wirtschaft belastet die Reform die Betriebe mit 2,7 Milliarden Mark. Werner Müller hat diese Zahl gestern indirekt bestätigt.
Struck: Ich halte das für eine überzogene Zahl. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie sie korrekt zu Stande gekommen ist. Es ist alles im Vorfeld des Kampfes gegen dieses Betriebsverfassungsrecht von den Arbeitgebern genannt worden. Wir werden das alles im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens prüfen. Wir werden Anhörverfahren durchführen. Ich selbst werde auch noch mal zu einem Spitzengespräch mit der Fraktionsspitze die Vertreter der Wirtschaft und des DGB einladen. Ich halte diese Zahl jedoch für nicht realistisch und für überzogen.
Heinemann: Bisher hat aber noch keiner die Frage beantworten können, wieso überhaupt die Novelle, denn der soziale Friede in Deutschland war doch nicht gefährdet.
Struck: Doch. Ich habe sie am Anfang beantwortet, Herr Heinemann. Ich habe gesagt, vor 30 Jahren haben wir das alte Gesetz gemacht. Wir müssen einfach sehen, dass sich die Arbeitswelt anders entwickelt hat. Wenn Sie mal an Outsourcing von Betriebsteilen denken, wenn Sie daran denken, dass es eigentlich auch im Interesse der Arbeitgeber sein muss, dass die Betriebsräte oder die Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch mitbeteiligt werden sollten an Entscheidungsprozessen, wichtigen Entscheidungsprozessen in der Firma, dann musste hier eine Novellierung erfolgen. Es wäre ja auch falsch anzunehmen, dass es hier nur Gegensätze gibt zwischen den Betriebsräten einerseits und der Unternehmensleitung andererseits. Die Praxis ist ja anders. Es ist kein Arbeitnehmer daran interessiert, Investitionsentscheidungen in seinem Betrieb zu verhindern, sondern alle sind daran interessiert, dass der Betrieb sich weiterentwickelt, denn nur in einer solchen Situation sind die Arbeitsplätze gesichert.
Heinemann: Dennoch bei der Arbeitsorganisation bleibt die Mitbestimmung ja eingeschränkt. Ist die Vermehrung der Zahl der Betriebsräte für Ihre Partei ein Wert an sich?
Struck: Ja, es ist schon wichtig, dass der Betriebsrat in einer Größenordnung agieren kann, die es erlaubt, dass die Betriebsräte sich bestimmten Bereichen für die Kolleginnen und Kollegen widmen können, der eine für soziale Fragen, ein anderer für rechtliche Fragen und dergleichen zuständig ist. Ich glaube, dass wir eine gute Lösung gefunden haben.
Heinemann: Herr Struck, der Bundesarbeitsminister hat endlich einmal etwas hinbekommen, nach dem was der "Spiegel" mit einer schönen Alliteration als "Riesters Rentenreformruine" bezeichnet. Muss man sich jetzt um die Mitbestimmung des Bundeswirtschaftsministers am Kabinettstisch Sorgen machen? Werner Müller wäre ja um ein Haar der achte Abgänger dieser Bundesregierung geworden.
Struck: Erstens ist diese Kritik an Walter Riester absolut ungerecht. Riester hat eine ordentliche Rentenreform vorgelegt. Das wird sich auch im Laufe der weiteren Beratungen mit dem Bundesrat zeigen. Auch die Bürgerinnen und Bürger sind mit dieser Rentenreform einverstanden. Zweitens ist es falsch, dass Werner Müller hier mit irgendwelchen Rücktritten gedroht hätte. Die Zeitungen haben zwar versucht, diesen Eindruck zu erwecken, aber ich weis, dass er niemals mit einem solchen Schritt gedroht hat. Er hatte - und das ist absolut legitim - natürlich versucht, das was die Wirtschaft zu dem Gesetzgebungsverfahren geäußert hatte zu überprüfen, hat dann einige Anmerkungen dazu gemacht, in verschiedenen Gesprächen mit Walter Riester dann auch einiges an dem sogenannten Referentenentwurf geändert. Insofern ist weder Walter Riester zu kritisieren noch Werner Müller.
Heinemann: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Struck: Guten Morgen Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Struck, sind Sie froh darüber, dass der Bundeskanzler nicht wieder "basta" sagen musste?
Struck: Der Bundeskanzler hat natürlich das entscheidende Wort gesprochen. Das ist ja völlig klar. Wenn es am Vorabend einer Kabinettssitzung, auf der ein Gesetzentwurf beschlossen werden soll, noch unterschiedliche Auffassungen gibt, dann muss der Regierungschef sich einschalten. Das ist geschehen. Ich will eine Bemerkung zu Ihrer Anmoderation machen, Herr Heinemann. Wir machen das Betriebsverfassungsgesetz nicht deshalb neu, weil die Gewerkschaften angeblich eine Campagne zu unseren Gunsten gemacht haben - sie haben eine Campagne gegen die unsoziale Politik der alten Bundesregierung gemacht -, sondern weil dieses Betriebsverfassungsgesetz seit 30 Jahren gilt und in der Tat auf die neuen Lebens- und Arbeitsverhältnisse umgeschrieben werden musste.
Heinemann: Allerdings weis man, dass wo ein Betriebsrat ist die Gewerkschaften nicht weit sind. Insofern war das doch vielleicht ein Konjunkturprogramm für Gewerkschaftsfunktionäre?
Struck: Nein, ganz und gar nicht. Die Gewerkschaften haben mit Recht darauf hingewiesen - das ist übrigens auch von den Arbeitgebern nie bestritten worden -, dass es Erneuerungs- oder Korrekturbedarf im alten Betriebsverfassungsrecht gibt. Der Arbeitsminister hat dazu Vorschläge entwickelt, die am Anfang auf Kritik auch des Wirtschaftsministers gestoßen sind. Jetzt ist eine Einigung erfolgt. Dieses Gesetz ist eine hervorragende Grundlage für die im nächsten Jahr stattfindenden Betriebsratswahlen. Das Kriegsgeschrei der Arbeitgeber war aus meiner Sicht völlig überzogen. Sie haben versucht, Positionen aufzubauen, die eigentlich niemals haltbar waren, die auch von vernünftigen Unternehmern eigentlich nicht vertreten worden sind, nach dem Motto: wir bekämpfen dieses Betriebsverfassungsgesetz, weil sonst unsere Wirtschaft zusammenbrechen würde. Das ist genauso absurd wie es vor 30 Jahren war, als das Gesetz zum erstenmal gemacht wurde.
Heinemann: Herr Struck, eine wirkliche Novelle, etwas wirklich neues, wie das Wort ja ankündigt, wäre zum Beispiel gewesen die Verlagerung von Lohn- und Kostenentscheidungen auf die Ebene der Betriebe, weg vom Tarifkartell. Dazu fehlte offenbar der Mut?
Struck: Nein, das geht auch nicht. Wir müssen bei unserem allgemeinen Tarifvertragsrecht bleiben. Eine Bindung sozusagen, die nur in dem Betrieb selbst erfolgt, würde nun wirklich den Interessen der Beschäftigten nicht entsprechen. Hier geht es darum, dass für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland einheitliche Bedingungen gelten und nicht Bedingungen, die nur für einen Betrieb vereinbart worden sind. Insofern ist das, was verabredet worden ist, aus der Sicht der Arbeitgeber viel zu weitgehend und aus der Sicht der Gewerkschaften nicht weitgehend genug. Deshalb glaube ich, dass wir mit diesem Gesetz auf einem guten Mittelweg sind.
Heinemann: Das Werk ist ziemlich kompliziert. Ein Beispiel: die Zahl der Betriebsräte soll in Betrieben ab 101 Arbeitnehmer erhöht werden. Von 101 bis 200 Arbeitnehmer sind sieben Mitglieder vorgesehen, bisher fünf. Da wäre ein Arbeitgeber, der 90 Angestellte beschäftigt, doch schön blöde, wenn er, auch wenn er es könnte, weitere 15 Leute einstellte?
Struck: Ich glaube das nicht. Das ist ein Argument, das in der Debatte immer auftauchte. Es ist ja so, dass auch heute schon ein Betriebsrat die Möglichkeit hat, wenn er vom Kollegen oder einer Kollegin im Betrieb angesprochen wird, die Arbeit zu unterbrechen und Betriebsratsarbeit zu machen. Ob das nun fünf oder sieben sind ist relativ egal. Das entscheidende ist eigentlich eher die Zahl der sogenannten freigestellten Betriebsräte, also solcher Frauen oder Männer, die nur Betriebsratsarbeit in dem Betrieb machen. Da hat es ja heftige Kämpfe um die sogenannte Freistellungsgrenze gegeben. Ich bin fest davon überzeugt, wenn das Gesetz gilt, dann werden sich die Arbeitgeber und die Unternehmer mit diesem Gesetz gut anfreunden können. Da wird auf keinen Fall jetzt eine Verweigerungshaltung, was die Einstellung neuer Mitarbeiter angeht, eintreten, denn man macht die Einstellung neuer Mitarbeiter nicht davon abhängig, ob fünf oder sieben Betriebsratsmitglieder in einem Betrieb sind, sondern ob es eine Gewinnentwicklung gibt, die zusätzliche Einstellungen erlaubt.
Heinemann: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" heftet das Werk heute in einem Leitartikel in der dicken Mappe deutscher Investitionshemmnisse ab. Glauben Sie, dass dieses doch etwas komplizierte Verfahren ausländische Investoren anlockt oder eher abschreckt?
Struck: Nein, ich glaube nicht, dass es abschreckt. Das ist ein Argument, das gab es wie gesagt vor 30 Jahren auch schon. Die Wirklichkeit zeigt, dass wir genügend ausländische Investoren hier in unserem Land haben. Das ist die alte Platte, die immer wieder gedreht wird, wenn es darum geht, Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Betrieben in Gesetze zu schreiben. Es wird sich alles viel, viel vernünftiger und ruhiger entwickeln als jetzt im Augenblick von den Arbeitgebern befürchtet wird. Für ausländische Investoren, die hier investieren wollen, geht es um ganz andere Fragen. Da geht es um die Frage, wie ist die Steuersituation in unserem Land. Wir haben die Unternehmenssteuern gesenkt und sind deshalb auch im europäischen Wettbewerb durchaus ein attraktiver Standort.
Heinemann: Wie erklären Sie es sich, dass die amerikanische Handelskammer in Deutschland im Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsrecht vor einer "Irritation ausländischer Investoren" warnt?
Struck: Das halte ich auch für das normale Feldgeschrei vor einem Gesetz, das immer diejenigen, die von dem Gesetz betroffen sind und glauben, negativ betroffen zu sein, anstimmen. Das ist eine überzogene Befürchtung, eine überzogene Darstellung.
Heinemann: Die Belastung für die Wirtschaft sei auch bei den Kosten zumutbar, sagte Werner Müller gestern. Das Signal lautet also: diese Bundesregierung belastet die Wirtschaft. Ist das eine gute Werbung für den Standort Deutschland?
Struck: Die Bundesregierung hat die deutsche Wirtschaft deutlich entlastet.
Heinemann: Und jetzt kassieren Sie diese Entlastung wieder ein?
Struck: Nein, absolut nicht. Herr Heinemann, wir haben den Körperschaftssteuersatz von 45 auf 25 Prozent gesenkt. Das bringt nun wirklich deutliche Entlastung. Das ist bares Geld für die Unternehmer. Da hat die Tatsache, dass man statt bei 300 jetzt bei 200 jemanden im Betriebsrat freistellen kann, nun wirklich untergeordnete Bedeutung.
Heinemann: Laut Institut der Deutschen Wirtschaft belastet die Reform die Betriebe mit 2,7 Milliarden Mark. Werner Müller hat diese Zahl gestern indirekt bestätigt.
Struck: Ich halte das für eine überzogene Zahl. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie sie korrekt zu Stande gekommen ist. Es ist alles im Vorfeld des Kampfes gegen dieses Betriebsverfassungsrecht von den Arbeitgebern genannt worden. Wir werden das alles im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens prüfen. Wir werden Anhörverfahren durchführen. Ich selbst werde auch noch mal zu einem Spitzengespräch mit der Fraktionsspitze die Vertreter der Wirtschaft und des DGB einladen. Ich halte diese Zahl jedoch für nicht realistisch und für überzogen.
Heinemann: Bisher hat aber noch keiner die Frage beantworten können, wieso überhaupt die Novelle, denn der soziale Friede in Deutschland war doch nicht gefährdet.
Struck: Doch. Ich habe sie am Anfang beantwortet, Herr Heinemann. Ich habe gesagt, vor 30 Jahren haben wir das alte Gesetz gemacht. Wir müssen einfach sehen, dass sich die Arbeitswelt anders entwickelt hat. Wenn Sie mal an Outsourcing von Betriebsteilen denken, wenn Sie daran denken, dass es eigentlich auch im Interesse der Arbeitgeber sein muss, dass die Betriebsräte oder die Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch mitbeteiligt werden sollten an Entscheidungsprozessen, wichtigen Entscheidungsprozessen in der Firma, dann musste hier eine Novellierung erfolgen. Es wäre ja auch falsch anzunehmen, dass es hier nur Gegensätze gibt zwischen den Betriebsräten einerseits und der Unternehmensleitung andererseits. Die Praxis ist ja anders. Es ist kein Arbeitnehmer daran interessiert, Investitionsentscheidungen in seinem Betrieb zu verhindern, sondern alle sind daran interessiert, dass der Betrieb sich weiterentwickelt, denn nur in einer solchen Situation sind die Arbeitsplätze gesichert.
Heinemann: Dennoch bei der Arbeitsorganisation bleibt die Mitbestimmung ja eingeschränkt. Ist die Vermehrung der Zahl der Betriebsräte für Ihre Partei ein Wert an sich?
Struck: Ja, es ist schon wichtig, dass der Betriebsrat in einer Größenordnung agieren kann, die es erlaubt, dass die Betriebsräte sich bestimmten Bereichen für die Kolleginnen und Kollegen widmen können, der eine für soziale Fragen, ein anderer für rechtliche Fragen und dergleichen zuständig ist. Ich glaube, dass wir eine gute Lösung gefunden haben.
Heinemann: Herr Struck, der Bundesarbeitsminister hat endlich einmal etwas hinbekommen, nach dem was der "Spiegel" mit einer schönen Alliteration als "Riesters Rentenreformruine" bezeichnet. Muss man sich jetzt um die Mitbestimmung des Bundeswirtschaftsministers am Kabinettstisch Sorgen machen? Werner Müller wäre ja um ein Haar der achte Abgänger dieser Bundesregierung geworden.
Struck: Erstens ist diese Kritik an Walter Riester absolut ungerecht. Riester hat eine ordentliche Rentenreform vorgelegt. Das wird sich auch im Laufe der weiteren Beratungen mit dem Bundesrat zeigen. Auch die Bürgerinnen und Bürger sind mit dieser Rentenreform einverstanden. Zweitens ist es falsch, dass Werner Müller hier mit irgendwelchen Rücktritten gedroht hätte. Die Zeitungen haben zwar versucht, diesen Eindruck zu erwecken, aber ich weis, dass er niemals mit einem solchen Schritt gedroht hat. Er hatte - und das ist absolut legitim - natürlich versucht, das was die Wirtschaft zu dem Gesetzgebungsverfahren geäußert hatte zu überprüfen, hat dann einige Anmerkungen dazu gemacht, in verschiedenen Gesprächen mit Walter Riester dann auch einiges an dem sogenannten Referentenentwurf geändert. Insofern ist weder Walter Riester zu kritisieren noch Werner Müller.
Heinemann: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio