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"Weg mit diesen hohen Antragshürden!"

Die Anlaufschwierigkeiten beim Hartz-IV-Bildungspaket sind der kurzen Antragsfrist und den hohen Hürden geschuldet, meint die Sozialdezernentin der Stadt Köln, Agnes Klein (SPD). Schwierig sei, dass Einzelleistungen aus dem Bildungspaket jeweils extra beantragt werden müssten.

Agnes Klein im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.04.2011
    Friedbert Meurer: Das Bundesverfassungsgericht urteilte unlängst, Kinder aus Hartz IV-Familien brauchen mehr Unterstützung. Dann gab es viele Verhandlungen und schließlich führte Sozialministerin Ursula von der Leyen Bildungsgutscheine ein für die Kinder. Monatlich gibt es auf Antrag zehn Euro pro Kind, die für Sport oder Musikkurse eingesetzt werden können. Aber in den ersten Monaten hat fast niemand diese Gutscheine beantragt. Warum nicht? Das habe ich die Sozialdezernentin der Stadt Köln, Agnes Klein von der SPD, gefragt.

    Agnes Klein: Ja, es sind in der Tat sehr wenige, die bisher den Antrag gestellt haben. Wenn man alles zusammenaddiert, auch die Wohngeld- und Kinderzuschlagsberechtigten, könnten wir zirka 57.000 Berechtigte haben, wenn wir wirklich alle erreichen, und bis jetzt, bis heute haben 1.200 zirka den Antrag gestellt. Das ist bei Weitem nicht genug.

    Die Erklärung dafür liegt eigentlich in zwei Ursachen begründet. Die eine Ursache ist sicherlich die extrem kurze Frist. Es ist ja monatelang beraten worden über das Paket für Bildung und Teilhabe und dann soll es in wenigen Wochen sozusagen umgesetzt werden. Das kann eigentlich nicht funktionieren, insbesondere wenn man die Menschen erreichen will. Und der andere Punkt ist die hohe Hürde, nämlich alles muss einzeln beantragt werden.

    Meurer: Was wiegt denn schwerer, diese hohe Hürde, jeder einzelne Bildungsgutschein muss einzeln beantragt werden, oder?

    Klein: Es gibt einen Grundantrag auf Leistung für Bildung und Teilhabe und da muss dann angekreuzt werden, was man sozusagen benötigt. Der Antrag kann beim Jobcenter gestellt werden, und das tun ja auch einige, Tendenz steigend, muss man dazu sagen. Es ist noch nicht so lange her, da waren es nur 300, 400. Also man sieht ein bisschen, wie es anzieht, aber noch lange nicht genug. Und auch die Einzelleistungen aus dem Bildungspaket müssen noch mal extra beantragt werden.

    Meurer: Also wenn man konkret einen Schwimmkurs im Auge hat beispielsweise?

    Klein: Genau, wenn man einen Schwimmkurs im Auge hat. Aber was besonders schwierig ist, ist die Lernförderung. Ich nenne es mal so ein bisschen umgangssprachlich die Nachhilfe. Das muss noch mal extra von der Schule bescheinigt werden, und diese Antragshürden sind für viele Berechtigte einfach sehr, sehr hoch.

    Meurer: Man stellt sich auch vor, so ein Jobcenter könnte doch – sie stehen doch im monatlichen Briefverkehr beispielsweise – allen Berechtigten einen Brief schreiben und sie darauf hinweisen, bitte, denkt an diese Möglichkeit. Ist das in den Jobcentern in Köln nicht gemacht worden?

    Klein: Doch! Die Leute sind informiert worden. Es gab Informationsflyer, es gab Veranstaltungen in Schulen, das ganze ist ins Internet gestellt worden, aber man muss natürlich sagen, das ganze, in der kurzen Frist alle zu erreichen, ist eine sehr, sehr schwierige Aufgabe, und ich denke, das wird in nächster Zeit noch anziehen. Aber die zentrale Forderung lautet eigentlich, weg mit diesen hohen Antragshürden.

    Meurer: Wie sollen die Anträge künftig aussehen?

    Klein: Im Grunde ist ja schon im Gesetzgebungsverfahren von der kommunalen Seite von Anfang an gefordert worden, dass man das nicht über Einzelanträge laufen lässt, sondern Budgets bildet, die an den Schulen, an den Kitas, in den Sportvereinen, in den Musikvereinen gebildet werden, die da abgerufen werden können, und wir sozusagen die Möglichkeit haben, dieses Plus an Bildungspaket, was ich ausdrücklich durchaus positiv sehe, dass es das Bildungspaket grundsätzlich gibt – nicht, dass ich da falsch verstanden werde - dass wir das klug kombinieren mit dem Köln-Pass, den wir in Köln schon seit vielen, vielen Jahren erfolgreich haben.

    Meurer: Dann müssten also die Vereine die Kontrolle übernehmen, dass jetzt auch der richtige und Anspruchsberechtigte vor der Tür steht?

    Klein: Beispielsweise. Wir könnten natürlich auch die Vereine unterstützen, aber im Grunde, dass nicht die, die die Leistung benötigen, immer alles noch extra beantragen müssen, denn viele Menschen haben ja auch jede Menge Probleme, gerade die, die Hartz IV beziehen, also SGB II, SGB XII, und da sollte man das den Leuten sozusagen ein bisschen erleichtern, indem wir zugehende Systeme schaffen und nicht Antragshürden aufbauen. Im Übrigen haben wir dann auch viel Bürokratieaufwand.

    Meurer: Geben Sie dem Modell überhaupt noch eine Chance, Frau Klein?

    Klein: Ich hoffe, dass der Runde Tisch, zu dem die Bundesministerin, Frau von der Leyen, eingeladen hat, dass dieser Runde Tisch Erfolge zeigt und dass man da sozusagen in sich geht, insbesondere die Frist noch mal verlängert für rückwirkende Anträge - das ist, glaube ich, das Minimum -, aber auch die Antragshürden noch mal sehr genau überdenkt, ob man das nicht ein bisschen aufwandsärmer gestalten kann.

    Meurer: Selbst wenn der Aufwand geringer wird, Frau Klein, werden sich manche Eltern denken, zehn Euro pro Monat, was kriege ich dafür. Den besagten Schwimmkurs, glaube ich, nicht für zehn Euro. Nachhilfe ist teurer.

    Klein: Ja! Die Nachhilfe ist ja nicht begrenzt auf die zehn Euro. Die zehn Euro sind ja nur für das Teilhabepaket, also Schwimmvereine, Sportvereine, Musikschule und und und. Das ist in der Tat nicht besonders viel. Trotzdem, glaube ich, kann man was daraus machen, auch gerade in Köln in Kombination mit dem Köln-Pass. Die Lernförderung beispielsweise ist nicht begrenzt, auch der Höhe nach oder der Summe nach.

    Meurer: Manche sagen, gebt das Geld doch gleich den Vereinen und den Kindertagesstätten. Könnte man sich das alles mit den Bildungsgutscheinen nicht besser sparen?

    Klein: Genau so sehe ich das auch. Das war das, was ich mit Pauschalierung meinte. Das Geld sollte direkt an die Vereine gehen, an die Kitas, an die Schulen und die Menschen, die Kinder dort fördern, wo sie sind. Ich glaube, da ist allen viel, viel mehr geholfen, als dieses sehr, sehr aufwendige Antragssystem.

    Meurer: Geben Sie dieser Idee eine Chance politisch?

    Klein: Da das schon alles im Gesetzgebungsverfahren, im Vermittlungsausschuss rauf- und runterdiskutiert wurde und viele darauf aufmerksam gemacht haben, dass es besser wäre, wenn man es unbürokratischer lösen würde, das aber nicht sozusagen beachtet wurde, bin ich da skeptisch, ob man jetzt inne hält. Vielleicht sind die Zahlen dazu geeignet, hier noch mal etwas nachdenklicher zu werden und zu sagen, so geht es eigentlich nicht.

    Meurer: Wie viel Verwaltungsaufwand hat das ganze bisher bedeutet?

    Klein: Wir haben jetzt eine kleine Geschäftsstelle eingerichtet. Wir können ja in der Kürze der Zeit jetzt auch nicht viele zusätzliche Stellen und auch das Personal rekrutieren. Wir haben also eine kleine Geschäftsstelle von drei Leuten eingerichtet, in Kombination mit den Jobcentern, und haben das sozusagen auch in den Ämtern zusätzlich zur ohnehin bestehenden Arbeit jetzt geschultert. Aber wir gehen davon aus, jetzt bei der Stadt insgesamt in unserem Bereich oder in meinem Bereich jetzt, dass wir neun zusätzliche Stellen benötigen, die aber, wenn sie denn da sind – die sind ja auch refinanziert -, auch erst mal besetzt werden müssen.

    Meurer: Und da kommen ja noch die ganzen Stellen in den Jobcentern hinzu, oder?

    Klein: Ja. In dem Jobcenter kommt eine ähnliche Größenordnung hinzu, an Stellen etwas mehr, aber ähnlich, und auch im Sozialamt. Da sind ja die Wohngeld- und Kinderzuschlagsberechtigten auch noch verortet, die können ja nicht im Jobcenter ihre Anträge abgeben, sondern beim Sozialamt. Das sind 13.000 Berechtigte in Köln. Da kommt auch noch was dazu. Also es ist doch ein ziemliches Bürokratiepaket, was uns der Gesetzgeber da auferlegt hat.

    Meurer: Agnes Klein, Dezernentin für Bildung, Jugend, Sport und Soziales der Stadt Köln, bei uns im Deutschlandfunk. Frau Klein, herzlichen Dank und auf Wiederhören!

    Klein: Ja, ich bedanke mich! Auf Wiederhören!