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Wege aus der Wirtschaftskrise

    Durak: Bundesfinanzminister Hans Eichel, er legt heute seinen Haushaltsbericht für 2002 vor. Und was auch immer er an mehr oder weniger trauriger Bilanz präsentieren wird, die Union fordert die Bundesregierung angesichts der Finanz- und Wirtschaftsmisere auf, den gesamten Entwurf für 2003 neu zu formulieren. Die Bundesregierung - wir haben es gehört - oder einige Politiker, sie haben ihre Wachstumsprognosen nun ja selbst heruntergeschraubt und eine neue, ja sagen wir mal Zählkategorie eingeführt: ein bisschen Neuverschuldung. Diese wird nun nicht mehr ausgeschlossen, andere Korrekturen ebenso. Wie also heraus aus der Finanz- und Haushaltskrise, wenn man dies so bezeichnen will? Dazu am Telefon bei uns der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende und Finanzexperte seiner Partei, Friedrich Merz. Schönen guten Morgen Herr Merz!

    Merz: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Was spricht denn gegen ein bisschen Neuverschuldung?

    Merz: Frau Durak, es ist ja schon einigermaßen erstaunlich, was da in den letzten zwei Tagen passiert. Da räumt der Bundeswirtschaftsminister mit fast einem Halbsatz nur die gesamte Finanzpolitik dieser Bundesregierung ab, indem er lapidar erklärt, es kann wohl ein bisschen mehr werden. Damit ist die gesamte Politik von Herrn Eichel der letzten Jahre Makulatur, denn die Bundesregierung selbst, die rot/grüne, hat doch auf ihre Fahnen geschrieben, sie sei nun die erste Bundesregierung seit langer Zeit, die ernst macht mit dem Sparen. Sie sehen an diesen Beispielen der letzten Tage und an den Zahlen, die uns zum Jahresbeginn begleiten, dass wir ein tiefes strukturelles Problem haben. Wir sind in einer schweren Wachstums- und Beschäftigungskrise in unserem Land, übrigens anders als die meisten anderen europäischen Länder. Daraus kommt man nicht, indem man nur schöne Papiere, Wiesbadener Erklärungen oder wie immer sie heißen, verabschiedet. Da kommt man nur heraus, wenn man die Politik insgesamt ändert. Das wird auch der Bundesfinanzminister nicht mehr leisten können. Da muss der Bundeskanzler, da muss der Bundeswirtschaftsminister in seiner gesamten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik eine Kurskorrektur vornehmen.

    Durak: Die Frage haben Sie bisher noch nicht beantwortet. Was spricht gegen ein bisschen Neuverschuldung, Herr Merz?

    Merz: In der gegenwärtigen Lage, in der wir sind, wird beides eintreten. Wir werden höhere Schulden haben. Wir werden eine höhere Arbeitslosigkeit haben. Die Bundesregierung wird immer wieder zu höheren Steuern und Abgaben greifen müssen. Ich finde wir müssten es wirklich ernst meinen mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union und wir dürfen nicht noch weiter in die Verschuldung. Frau Durak, zur Erinnerung: die rot/grüne Bundesregierung hat ja die Gesamtverschuldung des Bundes in den vier Jahren, in denen sie jetzt regiert, nicht gesenkt, sondern sie ist weiter gestiegen und jetzt soll sie noch weiter steigen. Das heißt, wir schieben eine noch größere Hypothek für die nachfolgende Generation vor uns her. Das hat mit Nachhaltigkeit in der Politik, geschweige denn in der Finanzpolitik, nichts mehr zu tun. Deshalb sind wir so strikt gegen höhere Steuern, aber deswegen sind wir auch so strikt gegen höhere Verschuldung.

    Durak: Nicht ganz vergessen, Herr Merz: ein Blick in die jüngste Vergangenheit sind die Gedanken des damaligen Kanzlerkandidaten Stoiber, von sich aus bis an den Rand der drei Prozent zu gehen. Nun sind die Zeiten andere. Auch die Union, also Ihre Partei, hat sich offenbar besonnen. Den Stabilitätspakt haben Sie angesprochen. Die drei Prozent waren ja ursprünglich gedacht als geldmarktpolitisches Regulatorium, unter sehr viel besseren Rahmenbedingungen damals entwickelt und bestimmt. Nun ist die Lage anders. Ist es wirklich zwingend, wegen dieser drei Prozent die gesamte Wirtschaftspolitik daran zu orientieren?

    Merz: Die drei Prozent sind ja in den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union eingeführt worden, um für konjunkturell schwierige Zeiten einen finanzpolitischen Puffer zu haben, um sozusagen auch antizyklische Finanzpolitik machen zu können. Die drei Prozent kann man nur einhalten, wenn man in konjunkturell guten Zeiten dafür sorgt, dass die Haushalte ausgeglichen sind. Die EU-Kommission geht ja wie ich finde zurecht auch von Überschüssen in konjunkturell guten Zeiten aus, damit in konjunkturell schlechten eben maximal drei Prozent Verschuldung ausgeschöpft werden. Sie haben völlig zurecht gesagt, auch Edmund Stoiber, unser Kanzlerkandidat, war der Auffassung - ich war es mit ihm -, dass wir die Spielräume in schlechten Zeiten - und wir hatten bereits letztes Jahr ein schlechtes Jahr - ausschöpfen müssen, damit man mit antizyklischer Finanzpolitik wieder auf die Beine kommt und damit man wieder Wachstum und Beschäftigung bekommt. Jetzt haben wir eine geradezu fatale Entwicklung einer sich gegenseitig verstärkenden Krise in der Finanzpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik, in der Sozialpolitik. Sehen Sie sich sämtliche öffentlichen Haushalte an, die öffentlichen Haushalte des Bundes, der Länder, der Gemeinden, die öffentlichen Haushalte der sozialen Sicherungssysteme, Rentenversicherung, Krankenversicherung. Wir werden in absehbarer Zeit über die Pflegeversicherung sprechen, weil deren Reserven in einem rasanten Tempo aufgebraucht werden und demnächst entweder Beitragssatzerhöhungen oder Leistungskürzungen anstehen. Dies alles hat eine gemeinsame Ursache. Die gemeinsame Ursache ist eine fehlende Konzeption in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der rot/grünen Bundesregierung, die mit ihrer Sprunghaftigkeit bis heute nicht in der Lage ist, ein Vertrauen in die Stetigkeit der Politik wieder herzustellen. Daraus folgt hohe Arbeitslosigkeit, daraus folgt das niedrigste Wirtschaftswachstum in der gesamten Europäischen Union mit allen weiteren Konsequenzen für Steuern, Abgaben und Verschuldung. Deswegen will ich es noch einmal sagen: hier gibt es nicht ein finanzpolitisches oder gar nur finanztechnisches Problem, sondern wir haben ein fundamentales Problem der Wirtschaftspolitik in Deutschland und der Bundeskanzler muss dieses Problem lösen, indem er endlich einmal sagt nach über vier Jahren in der Regierungsverantwortung, welche Wirtschaftspolitik er eigentlich will.

    Durak: Herr Merz, wenn denn die Regierung, wenn rot/grün das Vertrauen verspielt hat, könnte die Union doch diese Lücke gut ausfüllen mit eigenen Alternativen. Sie sagen: keine Neuverschuldung, keine höheren Staatsausgaben, also sparen. Wo?

    Merz: Ja, Frau Durak, und auch hier muss klar sein, dass die Alternative nicht in der Wahl zwischen zwei Übeln besteht. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung uns jetzt unter Druck setzt und sagt, ihr könnt selber dazu beitragen, dass das Problem gelöst wird, indem ihr unseren Steuererhöhungsvorschlägen zustimmt. Der Sachverständigenrat hat im letzten Jahr in seinem Jahresgutachten eine Liste von 20 Vorschlägen gemacht, wie man aus der Krise herausfinden kann. Steuererhöhungen sind nicht dabei gewesen. Wenn man sich die 20 Vorschläge anguckt, dann sind sie im wesentlichen, nicht alle, aber im wesentlichen deckungsgleich mit den Vorschlägen, die die Union seit Monaten, um nicht zu sagen seit Jahren macht, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Wir brauchen eine andere Arbeitsmarktpolitik. Es muss in diesem Lande der Grundsatz wieder gelten, dass derjenige, der arbeitet, mehr Geld verdient als derjenige, der nicht arbeitet und soziale Leistungen bekommt. Die sozialen Leistungen sind zum Teil, nicht alle, aber sie sind zum Teil zu hoch. Sie verweigern im Grunde genommen Anreize, um wieder eine Beschäftigung anzunehmen. Es richten sich zu viele Menschen in der Arbeitslosigkeit ein, weil die Kombination aus Sozialeinkommen und Einkommen in der Schattenwirtschaft zu hoch ist. Das weiß die Bundesregierung. Sie weiß dies seit langem und ändert daran nichts. Sparvorschläge allein lösen das Problem nicht. Um es auf einen Nenner zu bringen: wir brauchen mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und dafür müssen die Bedingungen verbessert werden.

    Durak: Das wissen ja alle, aber wie. Zum Beispiel Staatsausgaben kürzen, Subventionsabbau, eine Variante. Sie haben selbst von einer Rosskur gesprochen. Bezieht sich das auch darauf?

    Merz: Ja, das bezieht sich auch darauf. Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel sagen: Der Bundeshaushalt des laufenden Jahres 2003 wird über 77 Milliarden € Subventionen in die Rentenversicherung leisten müssen, damit die Rentenversicherung ihre Leistungen noch aufrecht erhalten kann. Das heißt im Klartext: wir brauchen eine Rentenreform, damit der Bundeszuschuss nicht von Jahr zu Jahr weiter ansteigen muss. Das ist fast ein Drittel der Ausgaben des Bundes insgesamt an laufendem Zuschuss in die Rentenversicherung. Die Probleme in diesem Lande werden nicht gelöst, indem wir nur neue Finanzierungsquellen erschließen, sondern wir müssen sie strukturell lösen. Dazu gehört die Rentenversicherung, dazu gehört die Krankenversicherung. Sehen Sie sich die explodierenden Beiträge in den Krankenversicherungen an. Ich habe die Pflegeversicherung angesprochen. Wir könnten über Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt für Arbeit sprechen. Die Anreize sind falsch gesetzt, damit die Menschen noch eine Beschäftigung wieder annehmen. Das Thema Niedriglohnsektor hat die Bundesregierung vier Jahre verweigert. Jetzt haben wir endlich letztes Jahr im Dezember eine gemeinsame Lösung miteinander herbeigeführt. Das ist ein erster kleiner Schritt, aber es ist eben nur ein erster, es ist auch nur ein kleiner. Es muss ein viel größerer folgen!

    Durak: Noch mal zu den Rentenversicherungen, die Sie angesprochen haben. Das würden Sie unter Subventionsabbau rubrizieren. Gehen denn die Sozialpolitiker Ihrer Partei mit Ihnen dort den gleichen Weg?

    Merz: Ja, wir sind uns untereinander einig. Natürlich gibt es sogenannte versicherungsfremde Leistungen. Die muss der Bund über Steuermittel ausgleichen. Deswegen hat es immer einen Bundeszuschuss in die Rentenversicherung gegeben. Aber wir sind über diesen Zustand längst und weit hinaus. Sie sehen an dem Finanzierungsbedarf der Rentenversicherung, dass es sich hier um ein massives Problem in der Rentenversicherung handelt. Noch einmal die Zahlen: Wenn wir über 77 Milliarden € aus dem laufenden Etat, der rund 250 Milliarden € ausmacht, in die Rentenversicherung zahlen müssen, dann ist das der größte Ausgabenblock im gesamten Bundeshaushalt. Der zweitgrößte ist der Schuldendienst. Wenn ein Land sich so bindet in seinen beiden größten Ausgabenblöcken, Rente und Schuldendienst, dann bleibt für Investitionen kaum noch was übrig, dann bleibt für aktive Politikgestaltung kaum noch etwas übrig und dann sind eben die Probleme nur verschoben und nicht gelöst. Das ist eines der größten strukturellen ungelösten Probleme, das wir gegenwärtig in Deutschland haben, und das weiß die Bundesregierung. Deswegen müsste längst in der Altersversorgung etwas anderes geschehen sein. Krankenversicherung ist ein weiteres Thema. Ich habe die Pflegeversicherung angesprochen. Sie sehen in diesem Bereich die explosive Kraft der Ausgaben und da nützt es überhaupt nichts, über kleinere Subventionen zu sprechen. Wir können über Steinkohle sprechen, wir können über das eine oder andere sprechen. Wenn nicht die großen Blöcke wieder neu sortiert werden, dann hat es keinen Sinn, über kleine Einheiten zu reden.

    Durak: Wenn denn, Herr Merz, Bundeszuschüsse da oder dort gekürzt, gesenkt werden sollen, wer füllt dann diese finanzielle Lücke: der Bürger?

    Merz: Sehen Sie, wir haben vor viereinhalb Jahren einen demographischen Faktor in der Rentenversicherung gehabt. Der hätte eine langfristig stetige Altersgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit herbeigeführt. Der ist abgelöst worden durch einen willkürlichen, jederzeit wieder veränderbaren Faktor durch die rot/grüne Bundesregierung. Wir hätten uns mit der Beibehaltung dieses Faktors drei Jahre Ökosteuer ersparen können. An diesem Beispiel sehen Sie, wie absurd die Politik dieser Bundesregierung ist. Sie führt nicht nur zu keinen geringeren Ausgaben; sie führt zu höheren Ausgaben völlig unkontrollierten Ausmaßes auf der Seite des Bundeshaushaltes. Ich spreche jetzt nur über den Bund; wir haben noch gar nicht über die Länder und über die Gemeinden gesprochen.

    Durak: Das schaffen wir heute auch nicht mehr, Herr Merz!

    Merz: Sie sehen an dem Abschluss, der jetzt im öffentlichen Dienst gemacht worden ist. Ich kann mich als Bundespolitiker zurücklehnen und sagen, OK, macht mal, uns betrifft es im Grunde genommen nicht in diesem Umfang. Länder sind hart betroffen, für die Gemeinden ist es eine Katastrophe, was da stattgefunden hat. Dies alles lässt die öffentlichen Ausgaben noch weiter aus den Fugen und noch weiter aus dem Ruder laufen. Die rot/grüne Bundesregierung hat keine wirtschaftspolitische Konzeption. Das ist unser Vorwurf und dabei wird es auch bleiben.

    Durak: Die konkreten Konzepte der Union, die können wir im Sommer erwarten?

    Merz: Nein! Gucken Sie mal, wenn Sie das lesen, was wir am vergangenen Samstag in Göttingen verabschiedet haben, die Göttinger Erklärung mit neun verschiedenen Punkten für eine Wiederherstellung einer leistungsfähigen Volkswirtschaft, dann ist der erste Punkt "Wiederherstellung eines funktionsfähigen Arbeitsmarktes und mehr Wachstum in Deutschland". In der Steuerpolitik dürfen die Fehler nicht wiederholt werden. Zum 1. Januar 2003 sind massive Steuererhöhungen in Kraft getreten. Wir diskutieren bereits über das nächste Paket massiver Steuererhöhungen. Frau Durak, wer soll denn in diesem Land noch investieren, wer soll hier noch arbeiten, wenn von Jahr zu Jahr die Steuerlast steigt? - Es müssen die Menschen, es muss die Bundesregierung endlich mal begreifen, dass immer höhere Steuern und immer höhere Verschuldung zu immer niedrigerem Wachstum und immer höherer Arbeitslosigkeit führt. Wer diese Grundzusammenhänge nicht mehr sieht, der wird aus der Krise nicht herausfinden.

    Durak: Friedrich Merz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Finanzexperte seiner Partei. - Herzlichen Dank Herr Merz für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio