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Wege in den Terror

In ihrem Buch "Die Kinder des Dschihad" hat die Journalistin Souad Mekhennet den Gründen für die Radikalisierung von jungen Muslimen in Europa nachgespürt. Gemeinsam sei den untersuchten Schicksalen das Gefühl, aus der westlichen Gesellschaft ausgegrenzt zu sei. In Zukunft müsse man deshalb viel stärker mit den muslimischen Gemeinden zusammenarbeiten.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Sie sind jung, gut ausgebildet und lebten unauffällig in unserer Nachbarschaft. Sowohl die beiden verhinderten mutmaßlichen Bahnattentäter in Deutschland als auch die Mitglieder der aufgedeckten Terrorzelle in London unterschieden sich in vielen Dingen nicht von ihren Kommilitonen oder Arbeitskollegen. Und doch planten sie Terroranschläge, waren sie bereit, Menschen zu töten. Eine fremde Gedankenwelt. Die Wurzel für ihren tätlichen Hass auf die westliche Gesellschaft sind nur schwer nachzuvollziehen. Die Ursachenforschung für die Radikalisierung junger Muslime hat nicht nur in Deutschland gerade erst begonnen. Die Journalistin Souad Mekhennet ist Mitautorin des Buches "Die Kinder des Dschihad", das den Lebensweg junger Muslime in den Terror beschreibt, und sie begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen Frau Mekhennet!

    Souad Mekhennet: Guten Morgen!

    Heinlein: Einzeltäter oder nicht, auch die Motive sind nach wie vor unbekannt. Dennoch die Frage: Sind die beiden mutmaßlichen Bahnattentäter mit ihrer Vita, mit ihrem Lebensweg typisch für die Radikalisierung junger Muslime?

    Mekhennet: Man muss natürlich hier in dem Fall zunächst einmal etwas vorsichtiger sein, weil man noch nicht genug Informationen hat. Nach dem was ich weiß - mein letzter Stand ist von gestern Abend - hat sich der erste Festgenommene bis heute nicht eingelassen. Man hofft da viel mehr auf den zweiten Festgenommenen, der jetzt im Libanon ist, aber schon bereits seine Unschuld beteuert. Dennoch, von dem, was man bisher jedoch weiß, dass sie Studenten waren oder zumindest der erste Student gewesen ist und in welchen Kreisen er verkehrt hat, dass auch seine Familie schon im Libanon Kontakt hatte zu einer radikaleren Gruppierung, das sind alles Dinge, Bausteine, die dazu führen, dass Ereignisse wie zum Beispiel die Mohammed-Karikaturen diesen Mann sehr emotionalisiert haben. Wir wissen, dass er im Umfeld seiner Mitstudenten, aber auch auf einer Demonstration gegen diese Karikaturen sehr aufgefallen ist, weil er dagegen sehr heftig auch protestiert hatte. Das ist ein Punkt.

    Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass einer seiner Brüder Mitte Juli bei einem Angriff der Israelis ums Leben gekommen ist. Sein Bruder war Soldat in Tripoli am Meer und ist dabei ums Leben gekommen, was natürlich noch mal dazu geführt haben könnte, dass dort ein Schub gekommen ist. Allerdings wissen wir auch, dass diese Bombenplanung schon längere Zeit, bevor sein Bruder getötet wurde, angefangen hat.

    Heinlein: Braucht es einen solchen unmittelbaren Anlass, quasi eine Art Funke, damit ein junger Muslim sich radikalisiert und zum Attentäter wird?

    Mekhennet: Es gibt bei den Biographien, die wir beschreiben, in jedem dieser Fälle einen Anlass. Das ist entweder etwas, was im persönlichen Umfeld gewesen ist, dass man zum Beispiel irgendwann das Gefühl hatte, man gehört nicht dazu in dieser Gesellschaft - das war in Großbritannien vor allen Dingen so -, oder dass man zum Beispiel jemand verloren hat, der einem nahe stand, und man war auf der Suche nach etwas anderem und dann kam man eben in die Kreise von Leuten, die einen aufgenommen haben. Ich meine Sie wissen, wie das ist. Wenn man im Ausland als Student irgendwo hinkommt. Man spricht die Sprache nicht perfekt. Dann wendet man sich in erster Linie an Leute, die aus demselben Kulturkreis kommen, die einem dann auch noch bereitwillig Hilfe leisten wollen. Da kann es ihnen eben passieren, dass sie auch an Leute geraten, die ihnen nicht nur in der Sprache oder bei der Sprache helfen wollen, sondern dann auch noch sagen, komm ich nehme dich mit in die und die Moschee oder in den und den Zirkel oder Kreis und dann geraten sie eben eventuell an Leute, die eine andere Ausprägung des Islam vertreten.

    Heinlein: Frau Mekhennet, hat das insgesamt feindseliger gewordene Klima gegenüber Muslimen seit dem 11. September - das ist ja schon fünf Jahre her - dazu beigetragen, dass viele gerade junge Leute in Europa oder den USA sich ausgegrenzt fühlen - dieses Gefühl haben Sie ja gerade beschrieben - und sich deshalb dann abschotten und noch mehr radikalisieren?

    Mekhennet: In der Tat. Das ist so der Fall gewesen und ganz deutlich haben wir das gespürt nach den Anschlägen von London. Ich bin jetzt auch gerade erst wieder aus London zurückgekommen, wo das wieder der Fall gewesen ist, dass sich noch mehr junge Menschen abschirmen. Das liegt auf der einen Seite daran, dass man sagt, hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Gerade nach London sind viele junge Muslime, die vorher mit der Religion nicht sehr viel am Hut hatten, auf die Straße gegangen und haben gesagt: Moment mal, ihr macht einen riesigen Aufschrei hier, wenn diese Anschläge passieren, die schlimm sind und die wir verurteilen, aber was ist denn eigentlich mit der Verurteilung von Anschlägen im Irak oder was "ihr Briten" - in dem Fall hat man sich schon ausgegrenzt oder abgegrenzt - dort gerade veranstaltet an Menschenrechtsverletzungen. Wer verurteilt das? Welche Institution gibt es dafür? - Also man hat das Gefühl auf der einen Seite, oder diese jungen Leute haben das Gefühl, es wird mit zweierlei Maß gemessen in der Politik. Sie haben das Vertrauen in die Politik verloren. Auf der anderen Seite sorgt natürlich Abgrenzung oder Ausgrenzung aus der Gesellschaft dafür, dass man sich dann neu orientieren muss und dass man sich viel stärker wieder besinnt auf eine eigene Identität und die liegt dann nicht in der Identität der Eltern, nämlich dass man irgendwann mal aus Bangladesch oder aus Marokko oder der Türkei kam, sondern die liegt dann in der Religion, weil das verbindet. Als Moslem spielt es dann keine Rolle - das wird ihnen dann auch so erzählt -, ob man aus Pakistan, aus Afghanistan oder aus der arabischen Welt stammt; es sind alle gleich. Das ist natürlich etwas, was diese Leute dann zusammenschweißt.

    Heinlein: Sie fühlen sich stärker als Muslime und nicht als britische oder deutsche Staatsbürger, also die Gesellschaft, in der sie zum großen Teil geboren wurden?

    Mekhennet: Ja, das liegt einfach daran. Es klingt etwas paradox, aber Sie müssen sich vorstellen: Diese jungen Menschen sind aufgewachsen in Europa. Wir reden jetzt nicht von den mutmaßlichen Attentätern, den Libanesen. Aber wenn wir jetzt von der Generation sprechen, die hier aufgewachsen ist. Die haben gelernt in der Schule, dass es so etwas gibt wie Demokratie, dass es die Gleichheit gibt von Leuten, dass Menschenrechte gewahrt werden auf der Welt, und bekommen jetzt mit oder wachsen auf mit den verschiedenen Kriegen. Deswegen auch der Titel "Die Kinder des Dschihad", weil sie die Kriege wie Palästina, Tschetschenien, Bosnien und jetzt Irak und Libanon als Dschihad verstehen und sich selbst als Kinder des Dschihad bezeichnen und sich denken, Moment mal, es passieren solche Kriege. In den Irak wurde einmarschiert ohne UN-Mandat und welche Konsequenzen hatte das? Man hat das Gefühl oder sie haben das Gefühl, dass diese Politik, die ihnen dort vorgeschwärmt wird, nur für eine Gruppe von Menschen gilt, nämlich für diejenigen, die nicht Muslime sind. Deswegen identifizieren sie sich viel mehr; es ist auch so eine Art, sagen wir mal, ein bisschen Trotzreaktion, dass sie sich vielmehr dann mit der eigenen Religion identifizieren und darauf berufen und das ist dann die Zusammengehörigkeit.

    Heinlein: Was ist der Funke, der dann dazu führt, dass man vor dem Hintergrund dieser Gedankenwelt, die Sie gerade beschrieben haben, tatsächlich zum Terroristen wird, bereit ist, Menschen zu töten?

    Mekhennet: Das ist natürlich ein Prozess, ein Weg, der nicht alleine durch diese Sachen, die ich jetzt beschrieben habe, dazu führt, dass jemand dann tatsächlich bereit ist, Selbstmordattentäter oder aus deren Sicht Märtyrer zu werden beziehungsweise solche Anschläge zu verüben. Da denke ich, bedarf es - und das haben wir ja auch herausgearbeitet in diesen Porträts - noch einer Person oder Personen, die das noch einmal ein bisschen anheizen, wo noch mal eine Indoktrinierung stärker stattfindet. Wir haben gemerkt bei den Gruppierungen auch in London, bei den Anschlägen des 7. Juli gab es diese Führerpersönlichkeit Mohammed Sidik Khan, der also auch seine Zirkel abhielt in verschiedenen kleinen Räumen. Da gibt es also noch jemanden im Umfeld, einen, ich sage jetzt mal, Rekrutierer, der diese jungen Leute dann begleitet ein Stück weit und ihnen noch mehr Indoktrinierungsmaterial gibt. Da werden die ganze Zeit Videofilme von Kriegen angeschaut, wo Muslime leiden. Da werden so genannte Fatwas, Erlasse von selbst ernannten Scheichs benutzt als Begründung dafür, dass es doch erlaubt sei, auch in Europa Anschläge zu machen, weil man nun mal im Haus des Krieges sei, das heißt, weil man sich im Krieg befindet mit den Leuten, die ja auch in der islamischen Welt Krieg führen würden, und es sei dann nur gerechtfertigt, auch hier Anschläge zu machen. Da bedarf es aber tatsächlich noch mal eines Prozesses der Indoktrinierung.

    Heinlein: Frage zum Schluss. Wie kann man aus diesem Teufelskreis ausbrechen? Mehr Druck, Eindringen in die Milieus, Überwachung oder letztendlich doch nur der Versuch, diese jungen Muslime stärker zu integrieren?

    Mekhennet: Sehen Sie, ich denke der Punkt ist, dass man versuchen muss, diesen jungen Leuten wieder den Glauben an die Politik zurückzugeben. Ein Hauptgrund für diese ganze Radikalisierung ist oder liegt nun mal in der Außenpolitik. Ein Hauptgrund liegt nun mal in den ungelösten Konflikten in der islamischen Welt. Ich denke, man muss einfach versuchen, in erster Linie diesen Rekrutierern die Argumente aus der Hand zu nehmen. Das ist das eine! Auf der anderen Seite denke ich auch, dass man in Zukunft viel stärker mit den muslimischen Gemeinden zusammenarbeiten muss, Konzepte erstellen muss, wie können wir das verhindern, was können wir tun. Kameras helfen ihnen im Zweifelsfall, wenn so etwas passiert wie jetzt, wo Gott sei Dank die Bombe nicht hoch geht und wo sie dann identifizieren wollen, wer hat es getan. Aber Kameras schützen uns aber nicht davor zu verhindern, dass Leute noch einmal zu solchen Mitteln greifen werden. Da müssen wir wirklich ehrlich eine Debatte darüber führen, wie führen wir unsere Außenpolitik, die europäische Außenpolitik auch, was können wir tun, um diesen Leuten den Glauben wieder zurückzugeben an die Institutionen.